Dieser Tage wurde ich von einem Journalisten gefragt: „War in Afghanistan alles umsonst?“ Meine spontane Antwort lautete: „Ja, denn nichts war umsonst in Afghanistan.“ * Eine nur auf den ersten Blick widersprüchliche Erwiderung. Schließlich hat der seit 20 Jahren andauernde Krieg allein Deutschland bis zu 50 Milliarden Euro und viel zu viele Menschenleben gekostet. Am Ende steht nun: Die Taliban, die 2001 entmachtet wurden, haben die Herrschaft wieder übernommen – samt einer ausgebildeten Armee und vollen Waffenarsenalen.
Natürlich ist die Lage nicht dieselbe wie vor 20 Jahren. Ob und was sich an der religiös-ideologischen Ausrichtung der Taliban verändert hat, ist schwer abzuschätzen. Auch sollte niemand vergessen, dass die Taliban ab 1979 von den Vereinigten Staaten groß gemacht wurden, um gegen die Besetzung Afghanistans durch die damalige Sowjetunion zu kämpfen.
Doch all das, was seit 2001 mit dem Krieg in Afghanistan beabsichtigt war, ist nicht erreicht worden: die Zerschlagung des Terrorismus, der Aufbau eines Staatswesens, das sich an den Grundwerten der Menschenrechts-Charta orientiert, eine Befriedung der innergesellschaftlichen Konflikte.
Unstrittig ist, dass sich im Schatten des Krieges Bildungsinitiativen entwickelt haben, Frauenrechte implementiert werden konnten, Infrastrukturen aufgebaut wurden. Doch weder konnte eine Nachhaltigkeit entstehen, noch wurde am Hindukusch Deutschlands Freiheit verteidigt. Schon vor 10 Jahren war das jetzige Desaster absehbar. Margot Käßmann hatte recht, als sie am 1. Januar 2010 ausrief: „Nichts ist gut in Afghanistan.“
Kaum jemand bestreitet, dass der Afghanistaneinsatz der NATO-Staaten in einem Fiasko endete. Politiker/-innen führen entschuldigend ins Feld, dass auch die Nachrichtendienste die schnelle Implosion der Regierung und der Armee Afghanistans nicht vorausgesehen hätten.
Doch wer sich auf einen BND verlässt, ist von allen guten Geistern verlassen – vor allem, wenn er keine friedenspolitische Perspektive aufzuweisen hat und als wichtigste Botschaft ausgibt: „2015 darf sich nicht wiederholen“ (Armin Laschet und die Vize-Vorsitzenden der CDU) – was so viel heißen soll: Niemand wird reingelassen. Das offenbart eine Umsonstigkeit, die teuer und politisch fatal ist und an deren Ende ein unwürdiger Umgang mit den afghanischen Ortskräften steht.
Niemand sollte vergessen: Schon am 14. Mai 2021 forderten viele Afghanistankenner – darunter ehemalige Botschafter und Generäle der Bundeswehr – in einem eindringlichen Aufruf und in voller Kenntnis der dramatischen Lage von der Bundesregierung eine „zügige und unbürokratische Aufnahme afghanischer Ortskräfte und ihrer Familienangehörigen parallel zum laufenden Abzug des deutschen Kontingentes“.
Zu diesem Zeitpunkt war noch kein Denken an eine schnelle Ausreise der Ortskräfte. Stattdessen wurden aus Afghanistan Geflüchtete aus Deutschland abgeschoben – und weiß Gott nicht nur Kriminelle. Gleichzeitig wurde das Schreckensszenario einer Massenflucht nach Deutschland befeuert.
Dieses Verhalten liegt allerdings in der Konsequenz des verfehlten Afghanistaneinsatzes und unterstreicht nur, wie umsonst der Einsatz war. Denn selbst das Erreichte bricht jetzt wie ein Kartenhaus zusammen. So bleibt am Schluss die Frage: Wann nehmen wir endlich von der als „Verantwortungsethik“ kaschierten Illusion Abschied, man könne mit militärischen Interventionen und in kurzer Zeit Gesellschaften und die religiöse Grundorientierung von Menschen so mal eben transformieren?
Wer bedenkt, wie schwer wir uns nach 1989/90 noch immer mit dem neuen Deutschland tun, muss erkennen: Menschen ändern sich nicht auf Befehl und schon gar nicht im Angesicht von Gewehrläufen, sondern aufgrund von Erfahrung friedlichen Zusammenlebens, zu dem auch der Feind gehört. So bleibt als Hoffnung, dass diese Lehre Gott sei Dank auch den Taliban nicht erspart bleiben wird.
* Unter der Überschrift „War in Afghanistan alles umsonst?“ erscheint in der neuesten Ausgabe von „IDEA. Das christliche Spektrum“ Nr. 34.2021 ein Pro und Contra. Das Pro habe ich selbst geschrieben, das Contra Volker Klein, CDU-MdB.
Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de
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