Millionen Menschen migrieren jährlich in ein neues Land – sie flüchten vor Krieg, Verfolgung oder einer unsicheren Zukunft. Doch auch am Ankunftsort warten Probleme auf die geflüchteten Personen: häufige Ortswechsel, Angst vor Abschiebung, eine prekäre wirtschaftliche Lage, mangelnde Privatsphäre in Gemeinschaftsunterkünften oder der Verlust ihrer Heimat mitsamt dem familiären und sozialen Netzwerk. Viele Eltern fühlen sich erschöpft und überfordert – denn sie müssen sich nicht nur in dieser Situation zurechtfinden, sondern auch für ihre Kinder da sein.
Mit dem Programm „Families Make the Difference“ bietet International Rescue Committee (IRC) Kurse für geflüchtete Väter und Mütter an. Diese sollen als Hilfestellung dienen, um den Stress zu bewältigen und sie im Umgang mit ihren Kindern zu unterstützen. IRC ist eine humanitäre Hilfsorganisation, die Nothilfe leistet und geflüchtete Personen sowie die aufnehmenden Gesellschaften unterstützt. Die Organisation arbeitet in über 40 Ländern weltweit.
Kurse im Leipziger Osten
Nun hat sie sich mit dem Programm „Families Make the Difference“ auch einen Standpunkt in Leipzig aufgebaut – in Zusammenarbeit mit dem FiA (Frauen in Arbeit). Das Interkulturelle Frauen- und Begegnungszentrum im Leipziger Osten ist ein Projekt des Soziokulturellen Zentrums Frauenkultur Leipzig.
Hier, in der Konradstraße 62, arbeitet auch Hanieh Babaei – Hana genannt. Sie kam 2014 aus dem Iran nach Deutschland und ist seit 2019 Kursleiterin bei „Families Make the Difference“. Hana bietet Kurse in Persisch und Kurdisch Sorani an. Ihre Teilnehmer/-innen kommen aus Afghanistan oder dem Iran beziehungsweise Kurdistan.
„Oft fragen Leute, warum die Kurse nicht in Deutsch sind. Die Leute sollen doch Deutsch lernen“, erzählt Marina Gysin, IRC-Projektleiterin im Bereich Schutz und Teilhabe. „Aber die Muttersprache ist nun mal ein Zugang und auch sensible Themen können so besser besprochen werden. Außerdem wollen wir ja alle Personen erreichen, ob sie nun fünf Tage oder fünf Jahre in Deutschland sind.“
Knapp acht Wochen dauern die Kurse, bei denen in einem extra Raum Kinderbetreuung angeboten wird. Leiterin Hana lässt die letzten zwei Jahre Revue passieren: „Die Kurse können wirklich sehr unterschiedlich sein. Jeder Kurs hatte seine schönen und seine schwierigen Seiten.“
Einmal habe sie eine Gruppe von Teilnehmerinnen geleitet, die alle aus Afghanistan kamen. „Es war teilweise schwierig, ihnen zu erklären, dass man in Deutschland nicht so streng sein darf bei der Erziehung, vor allem der Töchter. Dass Mädchen in Deutschland die gleichen Freiheiten haben wie Jungen konnten einige Mütter anfangs nur schwer akzeptieren, was ich auch verstehen kann bei diesem Kulturbruch.“
„Aber auch wenn am Ende nur eine Person die Sachen zu Hause umsetzt, die ich vermittle, dann macht mich das sehr glücklich“, so Hana. Viele Teilnehmer/-innen hätten ihr bereits mitgeteilt, dass ihnen die Einheiten zum Umgang mit Stress und die darin vorgestellten Entspannungsübungen gutgetan hätten. Durch den Kurs haben die Eltern auch weitere Anlaufstellen für Familien kennengelernt, etwa zur Beratung und Unterstützung bei psychischen Belastungen von Kindern.
Psychische Probleme und ungewohnte Geschlechterrollen
Derartige Angebote wurden vor allem während der COVID-19-Pandemie immer essenzieller. Schulen und Kindergärten wurden geschlossen, Sport- und Freizeitangebote fallen weg. Die Kinder sehen dadurch ihre Freunde nur selten oder gar nicht. Laut aktueller Studien zeigt jedes dritte Kind nach einem Jahr Pandemie psychische Auffälligkeiten.
Doch auch und vor allem in dieser Zeit hat das Projekt „Families Make the Difference“ versucht, geflüchtete Familien zu unterstützen. „Das war teilweise aber sehr kompliziert“, so Hana. „Für Zoom und ähnliche Anwendungen braucht man ja auch technische Kenntnisse. Eine Gruppe von afghanischen Frauen, die ich hatte, besaß diese Kenntnisse überhaupt nicht.“ Außerdem sei es schwierig gewesen, die Aufmerksamkeit während des Kurses aufrechtzuerhalten, wenn hinter dem Bildschirm der normale Alltagswahnsinn abläuft. Aber es habe irgendwie funktioniert.
Khadijeh und Lea konnten 2020 noch einen Präsenzkurs bei Hana besuchen. Die drei Frauen stehen bis heute in Kontakt, auch um sich beim Durchdringen des deutschen Bürokratie-Dschungels unter die Arme zu greifen. Khadijeh flüchtete 2015 mit ihren zwei Töchtern und ihrem Mann aus Afghanistan: „Hier in Deutschland in diese neue Kultur zu kommen, war sehr schwierig.“
Lea pflichtet ihr bei. Sie ist Jüdin und kommt aus dem Iran. 2019 kam sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern – Junge und Mädchen – nach Deutschland: „Aber auch das Deutschlernen ist ziemlich schwierig und auch dass man vor allem am Anfang keine Kontakte hatte. Und wenn man kein Deutsch kann, wird das Kontakteknüpfen noch schwieriger.“
„Ich kenne das alles ja auch“, so Hana. „Die Sprache, die Kultur, das Wetter. Wenn man als Kind nach Deutschland kommt, ist es vielleicht noch einfacher, das alles hier zu verinnerlichen und zu verstehen. Aber als Erwachsener in ein komplett fremdes Land zu kommen – da fühlt man sich wie ein neugeborenes Kind.“
Ein Kursschwerpunkt, der auch im Gespräch mit den drei Frauen immer wieder zur Sprache kommt, ist die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen.
„Ich komme aus einem Land, in dem es einen großen Unterschied macht, ob du Mädchen oder Junge bist. In Deutschland ist das nicht so“, sagt Teilnehmerin Lea. „Deshalb war der Kurs vor allem für die Entwicklung meiner Tochter hier in Deutschland sehr gut.“ Sie habe die Ideen aus dem Kurs immer zu Hause mit ihrem Mann besprochen und gut in der Familie umsetzen können.
Und auch Khadijeh erzählt von ihren Fortschritten: „Der Kurs hat mir die Kultur in Deutschland nähergebracht. Ich habe gelernt, wie Sachen hier laufen, und war weniger überrascht, wenn ich ungewohnte Sachen gesehen habe oder von meiner Tochter gehört habe, wie es in der Schule ist.“ Für ihre Kinder, die hier aufwachsen, später hier leben und arbeiten, sei es wichtig, dass auch sie ihre Erziehung und Ideen etwas überdenkt.
Ein Blick nach vorn
Während Teilnehmerin Lea bei passender Gelegenheit nach Israel ziehen möchte, will Khadijeh in Deutschland bleiben. Doch auch das ist nicht so einfach, wie es klingt: „Ich suche schon lange nach einer Ausbildung. Aber da ich ein Kopftuch trage und noch nicht perfekt Deutsch kann, habe ich seit zwei Jahren keine Chance.“
Auch Kursleiterin Hana kennt diese ewige Suche nach Akzeptanz: „Ich kann mittlerweile sehr gut Deutsch reden, habe die deutsche Staatsbürgerschaft und schon viele Jobs gemacht. Das wurde teils positiv angenommen, aber oft ist es egal, wie viel Mühe du dir gibst und wie hart du arbeitest – du wirst nicht akzeptiert. Mein Name und mein Aussehen machen mich trotzdem zur Ausländerin.“
Das Prinzip der Integration ist ein schwieriges, das Problem der Diskriminierung und Intoleranz aber das viel Größere. „Es tut einfach weh, weil man das Gefühl hat, dass alles, alle Mühen umsonst sind“, so Hana. „Trotzdem sage ich mir selbst und meinen Teilnehmerinnen immer, dass sie nicht aufgeben dürfen, sich immer wieder motivieren müssen. Vor allem Frauen versuche ich zu sagen, dass sie weiterkämpfen müssen, lauter werden müssen.“
Das Projekt „Families Make the Difference“ wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration noch bis 31. Dezember 2021 gefördert. Eine Weiterfinanzierung wird angestrebt.
„Projekt unterstützt geflüchtete Eltern bei Stressbewältigung und Erziehung“ erschien erstmals am 30. Juli 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 93 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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