Leipzig und seine Dichter, das ist ein ganz schweres Kapitel. Ein hartes Brot sowieso. Das wusste schon Lessing. Aber während an Goethe, Schiller und Gellert zumindest mit öffentlichen Denkmälern erinnert wird, verschwinden die jüngeren Autorinnen und Autoren regelrecht. Wenn sich nicht ein paar engagierte Vereine kümmern, bekommen sie nicht mal eine kleine Würdigung im öffentlichen Raum. Am Dienstag, 31. August, wird nun endlich auch Wolfgang Hilbig gewürdigt.

Leipzig würdigt am 31. August, 11 Uhr, in der Spittastraße 19 den Schriftsteller Wolfgang Hilbig (1941–2007), der dort von 1982 bis 1985 lebte. Ihm zu Ehren enthüllen die Kulturamtsleiterin Dr. Anja Jackes und der 2. Vorsitzende der Wolfgang-Hilbig-Gesellschaft e.V., Volker Hanisch, an seinem 80. Geburtstag eine Gedenktafel an seinem früheren Wohnhaus.

Dazu lädt die Stadt Leipzig auch all jene ein, die bei dieser Würdigung dabei sein wollen. Die Veranstaltung wird musikalisch untermalt vom Gitarristen Uli Singer. Interessierte Leipzigerinnen und Leipziger sind herzlich eingeladen.

„Einer der wichtigsten deutschen zeitgenössischen Autoren“

„Der Lyriker und Romanschriftsteller Wolfgang Hilbig gilt als einer der wichtigsten deutschen zeitgenössischen Autoren“, versucht das Kulturamt Hilbigs Rolle für Leipzig und die (ostdeutsche) Literatur auf den Punkt zu bringen. „Eines seiner bekanntesten Werke ist der 1993 erschienene Roman ‚Ich‘ über einen Lyriker, der als Spitzel für die Stasi arbeitet. Das Buch wurde von der Kritik als ‚Gesellschaftsroman über die Endzeit der DDR‘ und vor allem als ‚ein Fest für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur‘ gelobt.

Wolfgang Hilbig war Leipzig und der Region auf vielfältige Weise und zu verschiedenen Zeitpunkten seines Lebens verbunden. Er hat aber vor allem das literarische Leben mitgeprägt und zahlreiche Autorinnen und Autoren wie Clemens Meyer maßgeblich mitbeeinflusst. 2002 wurde Wolfgang Hilbig mit der bedeutendsten deutschen Literaturauszeichnung, dem Georg-Büchner-Preis, geehrt.“

Das Jahr 1986 und die Stauseelesung

So klingt das, wenn es offiziell klingen soll. Da bleibt kaum noch Platz für das, was Wolfgang Hilbig tatsächlich mit Leipzig verbunden hat – bis auf die Wohnung in der Spittastraße 19, wo er von 1982 bis 1985 wohnte, bevor er in den Westen übersiedelte. Mit einem Reise-Visum übrigens.

Die Machthaber in Ostberlin hatten so langsam begriffen, was für einen Bockmist sie da 1976 angerichtet hatten, als sie Wolf Biermann einfach ausbürgerten und dann auch noch einige der besten und namhaftesten Autor/-innen in den Westen abschoben, die entweder gegen Biermanns Ausbürgerung protestiert hatten oder jetzt endgültig die Nase voll hatten von diesem Land.

Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik: Das sächsische Meer (2003). Foto: Ralf Julke
Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik: Das sächsische Meer (2003). Foto: Ralf Julke

Nicht wenige bereuten den Schritt nach Westen

Was einige bereuten. Das darf man nicht vergessen. Das waren fast alles keine Autor/-innen, die im treudoofen Blick des westdeutschen Feuilletons nur gegen die DDR-Führung kämpften, weil ihnen die Freiheit fehlte. Die meisten teilten durchaus den Traum einer besseren, menschlicheren Gesellschaft ohne Ausbeutung. Und sie schrieben auch deshalb, weil sie das Land ändern wollten. Menschlicher machen. Sie hatten sehr hohe menschliche Ideale.

Zensur und Stasi waren immer präsent

Aber sie bekamen es gerade deshalb immer wieder mit der Zensur zu tun. Mit der Stasi sowieso. Als die Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik 2003 das Feature „Das Sächsische Meer“ als CD veröffentliche, konnte auf dieser CD auch aus den Stasi-Akten zitiert werden, die von der legendärsten aller Lesungen in der DDR berichteten, der Stauseelesung von 1968 auf dem Elsterstausee bei Leipzig.

Die fand deshalb auf einem Fahrgastschiff auf dem Elsterstausee statt (der damals noch mit Wasser gefüllt war), weil der Dichter Siegmar Faust dort Kapitän war. Etwa 30 Gäste hatte die Lesung, in deren Folge Siegmar Faust und Kristian Pech vom Studium exmatrikuliert wurden, Andreas Reimann und Siegmar Faust wurden sogar zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Und auch Wolfgang Hilbig war dabei und geriet damit dauerhaft ins Visier der Stasi.

Der Lebens-Chancen in der DDR beraubt

Im Ergebnis hatte er praktisch keine Möglichkeiten, in der DDR ein Buch zu veröffentlichen. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich vor allem als Heizer, bis er Ende der 1970er Jahre beschloss, als freier Schriftsteller zu leben. Für seinen ersten Lyrikband „Abwesenheit“, der 1979 im S. Fischer Verlag erschien, hängte ihm die Staatsführung gleich mal ein Devisenvergehen an – etwas, was man so auch mit dem viel berühmteren Stefan Heym praktizierte.

Erst machte man die Veröffentlichung des Buches in der DDR unmöglich, dann versagte man die Einwilligung zur Veröffentlichung im Westen. Und wenn das Buch trotzdem erschien, wurde den Autoren ein Devisenvergehen angehängt.

Wie ein Land geistig ausblutete

Das war noch in der Nach-Biermann-Zeit. So richtig war da im vergreisten ZK die Botschaft immer noch nicht angekommen, dass das Land gerade dabei war, geistig auszubluten. Selbst die literarischen Debatten in „Sinn und Form“ und „Neue Deutsche Literatur“ flachten ab. In anderen Publikationen gab es sie schon gar nicht mehr.

Denn wenn jeder Widerspruch zur offiziellen Politik der Parteiführung mit Gefängnis und Abschiebung bedroht war, schmolz logischerweise auch noch das letzte Vertrauen.

Und mit Hilbig verlor das Land ebenfalls einen begnadeten Dichter, einen, der durchaus verstand, selbst in scheinbar einfachen Narturgedichten die ganze Verzweiflung des Lebens in einem Land festzuhalten, das alle Farbtöne außer Grau unter Verdacht stellte.

Greifbare Verzweiflung im Gedicht

Im Booklet zu „Das Sächsische Meer“ wird auch Hilbigs Gedicht „Das Ende der Jugend“ aufgeführt, in dem er wohl treffend wie kaum ein Anderer das Verzweifeln an diesem Land zum Ausdruck brachte, das gerade die Niederschlagung des Prager Frühlings bejubelt hatte und vor den Augen der Leipziger die Paulinerkirche gesprengt hatte: „es kamen schwarze sommer bald und selten / rote sonnen – wolken waren gelbliches gewüchs / und lang vergeblich glaubte ich noch ich ertrügs / dächt ich mir heitre sommer über meine welten …“

Da steckt, wie man merkt, auch die Katastrophe des Leipziger Südraums drin, der – genauso wie der Elsterstausee – der Kohle geopfert wurde.

Erst spät kam Hilbig zu Ehren

Erst 1983 gab es immerhin eine (wenn auch stark zensierte) Prosa-Auswahl von Wolfgang Hilbig im Reclamverlag. Das war auch das Jahr, in dem er seinen großen Literaturpreis erhielt.

Und dass er nun auch in Leipzig eine Würdigung erhält, hat mit der emsigen Arbeit der 2011 gegründeten Wolfgang-Hilbig-Gesellschaft e. V. zu tun, die ihren Sitz in der Max-Planck-Straße in Leipzig hat.

Die Gedenktafel, die am Dienstag eingeweiht wird, wurde von der Leipziger Künstlerin Franziska Neubert gestaltet.

Enthüllt wird sie am Dienstag, 31. August, um 11 Uhr an der Spittastraße 19. Teilnehmer/-innen der Veranstaltung werden gebeten, die aktuellen Hygiene- und Abstandsregeln zu beachten.

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