Politik macht und schafft täglich Tatsachen. So diese, dass das Frachtdrehkreuz Flughafen Leipzig/Halle dank nächtlicher Flugerlaubnisse und diverser weiterer Vergünstigungen in den vergangenen Jahren wuchs. Und weiter ausgebaut werden soll. Seit Ende Juni liegen die Ausbauplanungen vor, doch der Widerstand wächst. Nicht nur bei den rund 60-70 Aktivist/-innen von „CancelLEJ“, die in der heutigen Nacht die Zufahrt bei der DHL am Flughafen blockierten.
Es gibt Petitionen mit mehr als 10.000 Unterschriften, die Umlieger-Kommunen des Flughafens haben Änderungen über Änderungen eingereicht und bereits heute, vor der Erweiterung des auch vom Militär emsig genutzten Airports kann man „beim Flughafen Leipzig/Halle von der lautesten stadtnahen nächtlichen Lärmquelle Deutschlands (sprechen). Und dies bei einem Flughafen in dicht besiedeltem Gebiet. Der DHL Hub am Flughafen Leipzig/Halle liegt direkt an Wohngebieten in Schkeuditz.”
Allein von den Lärmemissionen, „die durch Starts und Landungen sowie Bodengeräusche erzeugt werden, sind im Großraum Leipzig/Halle ca. 1,5 Mill. Menschen betroffen. Eine weitere Zunahme der Belastung muss verhindert werden.“
So beschrieben es die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ und das „Aktionsbündnis gegen Flughafenausbau LEJ“ im Juni dieses Jahres. Die mit dem Ausbau steigenden CO2-Werte auf im Jahr 2032 geschätzt 3,3 Millionen Tonnen sind zudem im Vergleich zum Jahr 2018 (also quasi „pandemiebereinigt“) mit 1,99 Millionen Tonnen noch einmal 60 Prozent mehr.
Hinzu kommt also tatsächlich eine fundamentale Frage: liegt die Zukunft der Menschheit angesichts der Klimaveränderungen wirklich im kerosingetriebenen Frachtflugverkehr, nicht zuletzt in jenem, der Militärgerät um die Welt fliegt und Güter zur raschen Vernutzung aus China herbeiholt?
Während Bundesverfassungsgerichte die noch aktuelle Bundesregierung auf die fehlende Zukunftsfestigkeit ihrer Klimakrisenmaßnahmen hinweisen und Klimabündnisse an die Landesregierung Sachsen schreiben, geht die CO2-Kurve in Sachsen am Flughafen Leipzig/Halle vor allem wegen des DHL-Fracht-Betriebes wohl steil nach oben. Ganz davon abgesehen, dass nun die Lufthansa unpassenderweise auch noch Billigflüge zwischen Leipzig und München anzupreisen versucht.
Lärm, CO2, Ausbauplanungen und der radikale Widerstand
Während Bürgermeister/-innen der Region Nordsachsen also damit befasst sind die Ausbauschäden für ihre Kommunen zu mildern und Initiativen mit Petitionen und Appellen an die sächsische Landesregierung als Herrin des Verfahrens herantreten, sind junge Menschen deutlich radikaler. Wie schon bei „Ende Gelände“ in den Braunkohletagebauen Sachsens oder dem Hambacher Forst setzen sie auf Aktionsformen wie Besetzungen, Blockaden, Eroberung von Gelände.
Sie wissen um die Wirkung, die Konsequenzen für sich selbst und die Empörung derer, die solchen Entwicklungen meist teilnahmslos zuschauen und sich eigentlich ertappt fühlen, wenn sie dann poltern „aber das neuste IPhone kaufen“. Das tun diese jungen Menschen nicht mehr, sie haben auch begonnen, ihre Lebensweisen in Sachen Ernährung, Kleidung und Reisen zu ändern.
Und sie verbringen ihre Zeit – so ja auch gern ein Wunsch der „Alten“ – wieder draußen statt vor dem heimischen PC: auf der Straße, im Wald und des Nachts vor den Toren der DHL.
Und so teilt das Bündnis „CancelLEJ“ zur etwa eine Stunde währenden Blockade der LKW-Zufahrt der DHL mit: „Die aktuelle Blockade-Aktion ist der bisher radikalste Protest gegen den Ausbau des Flughafens. Mit der Aktion soll gezielt die Nachtarbeit bei DHL gestört werden, da der Flughafen aufgrund seiner durchgängigen Nachtfluggenehmigung schwere Lärmbelastungen in den umliegenden Ortschaften verursacht. Der Flugbetrieb ist bereits jetzt eine akute Gesundheitsgefahr für die Anwohner/-innen der gesamten Region.“
Und weiter „Wir erklären uns solidarisch mit den Protesten der Anwohner/-innen und gehen einen Schritt weiter, um den Forderungen mehr Gehör zu verschaffen. Statt weiterer Ausbauten brauchen wir einen Rückbau von Flughäfen und Flugverkehr allgemein!“, so die Pressesprecherin Kira Zweig von „CancelLEJ“.
„Wir brauchen den Systemwandel, hin zu einer bedürfnisorientierten Wirtschaftsweise. Mit unserer heutigen Aktion nehmen wir den sozial-ökologischen Wandel nun selbst in die Hand!“, so Katta Klee, ebenfalls Pressesprecherin der Aktionsgruppe.
Klee, Zweig und die Polizei gegen 2 Uhr
Wie schon 2019 bei der Besetzung des MIBRAG-Braunkohletagebaus „Peres“ bei Neukieritzsch hat sich gegen 1 Uhr am heutigen 10. Juli die DHL ebenfalls zu einer Strafanzeige gegen die jungen Menschen entschlossen. Sie wissen also sehr genau, warum ihre Wortmeldungen von Frau Klee und Frau Zweig vorgebracht werden. Denn selbst wenn mal einige LKW eine Stunde oder eine halbe an der Zufahrt warten müssen, geht es natürlich gleich um „Millionen“, die hier als Schaden für die DHL und ihre Aktionäre entstehen.
Logistik ist ein eng verzahntes Geschäft, Zeitabläufe sind sozusagen sekündlich getaktet – nicht mehr lang und es wird autonom und ohne Menschen funktionieren. Ob dann das „Arbeitsplatzargument“ der Konzerne noch zieht, sei dahingestellt – der Klimaschaden hingegen könnte bis dahin die „Millionenschäden“ der DHL wie einen Kindergeburtstag erscheinen lassen.
Schon in der Nacht wollte das Unternehmen die Summe mit 1,5 Millionen Euro ganz genau wissen – eine Zahl, die sie im Zweifel gerichtlich belegen müsste und aktuell erst einmal abschrecken soll.
Zumal die Aktivisten laut Landtagsabgeordneten Marco Böhme (Die Linke) vor Ort eine Versammlung angemeldet hatten. Und die DHL kurz darauf eine andere, freie Zufahrt öffnete und die LKW so passieren konnten. Woher also der eilig in die Runde geworfene Schaden rührt, wird sich noch herausstellen müssen.
02:20 Abtransport zum Polizeirevier folgt jetzt mit Bus, weil von keinem ID Festgestellt wurde. Ich beende damit auch meine Teilnahme vor Ort. pic.twitter.com/bUT2PtAxf3
— Marco Böhme 🏳️🌈🚩🏴 (@BoehmeMarco) July 10, 2021
Also lassen wir den jungen Menschen, deren Identitäten gerade (02 Uhr am 10. Juli 2021) noch immer geprüft und die teils in die Leipziger Polizeizentrale an der Dimitroffstraße gebracht werden, die letzten Worte aus ihrer Mitteilung.
„Der Ausbau eines Frachtflughafens inmitten der Klimakrise steht für die Aktivist/-innen exemplarisch für ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, welches auf Profitinteressen von Konzernen wie DHL ausgerichtet ist. Dies bedeute auch den Zwang zu einem fortwährenden wirtschaftlichen Wachstum, von dem nur einige wenige profitieren.“
Schräg gegenüber der Polizeiwache, auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz startet übrigens ebenfalls heute ab 10 Uhr die „KlimaFair“-Messe. Nach der Braunkohletagebaubesetzung waren zu diesem Zeitpunkt noch Menschen in der Polizeistation, welche die Polizei in Gewahrsam genommen hatte. Sie hatten sich geweigert, ihre Identität preiszugeben.
Vielleicht winken ja einige Gäste der „KlimaFair“ wie die Bundestagsspitzenkandidaten Leipzigs, Luisa Neubauer und der sächsische Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) wenigstens mal rüber.
Oder thematisieren das Geschehen am Flughafen Leipzig / Halle in den Diskussionsrunden auf der Bühne.
Weitere Informationen:
www.nachtflugverbot-leipzig.de
www.buendnislej.website/?page_id=68
twitter.com/flughafenausbau
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