Hat ihm da die Technik einen Streich gespielt oder waren tatsächlich bösgesinnte Menschen am Werk, die da in der vergangenen Woche über den E-Mail-Verteiler des beliebten Leipziger Schriftstellers Gunter Preuß die Nachricht über sein Ableben verbreiteten, obwohl er – zwar schwer krank – trotzdem noch putzmunter sogar dem Nachbarn bei der Beseitigung von Sturmschäden half? Er weiß es selbst nicht. Aber er hat dazu einen seiner bekannt nachdenklichen Texte geschrieben. Hier ist er.
Ein Brief an die Freunde
Gunter Preuß
Lützschena, den 10.7.2021/ 19:35 Uhr
Liebe Freunde,
nach dem unsäglichen Dilemma um meine vorzeitig in die Öffentlichkeit geratene Todesanzeige soll nun schnell der Schwamm drüber sein. Wir wissen also selbst nicht so recht, wie das passieren konnte, ob da der Initiator von innen ungewollt oder aber von außen gewollt der finale Auslöser war. Ein allseits in Anspruch genommener Vorzug der Technik ist, dass man alles an (auch eigenes) Missgeschick auf sie schieben kann.
(Wie ich soeben – heute kurz nach 17 Uhr –, nach ein paar Schritten im Grünen, erfahre, ist eine oder sind mehrere erneute Falschmeldung/-en zu meinem Tod im Umlauf. Also kommt diese ausgemachte Böswilligkeit – wie soll man so was nennen? – doch von außen. Nur sind mir in unserer Lage alle Hände gebunden. Infolgedessen ein paar Worte zum Stand der Dinge, die ich gestern und heute in Unkenntnis des Geschehens verfasst habe.)
(Folgender Text ist gestern und heute Vormittag entstanden.)
Mir ist, seitdem ich Mitte März von dieser tückischen Chose heimgesucht und infolge beherrscht wurde, die Welt eine andere geworden. Gewöhnt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und mein eigener Steuermann zu sein, ist nun das eingetreten, was ich immer gefürchtet habe, weitgehende vom Tun und Lassen weiterer Menschen (von denen auch solche, die manchmal instinktiv oder auch bewusst die Schwäche des anderen nutzen, um sich überlegen zu zeigen) und dem Krankheitsverlauf abhängig zu sein. Und wo dem einen Menschenschlag eine gewisse seelische Robustheit hilfreich sein kann, hat der unsichtbare Eindringling bei meiner schon immer mal weniger und mal mehr wackelnden Psyche anscheinend ein passendes Spielfeld gefunden.
Entschuldigt, wenn ich nun noch nachdenklicher (für manchen umständlicher) bin als gewöhnlich, aber die Situation lässt mich die Dinge, lebenslang betrachtet und hin und her gewälzt, in manchem wieder anders sehen. – Ja und die Zeit geht im Allgemeinen im „Sauseschritt“ an uns oft unbeachtet vorbei. (Eigentlich sind es ja die Geschehnisse, die die einen der Vorsehung zuordnen und die anderen dem Zufall.) Ist sie uns nicht wohlgesonnen, meint man, sie käme nur schleppend voran und wäre gar inmitten des Missbefindens stehen geblieben. Im Wohlbehagen allerdings scheint sie uns davonzurennen, und wenn wir dann von Glück reden, war es doch nur ein Zwinkern zwischen zwei Augenblickchen.
Ich sehe mich schon lange als Wanderer in einer Welt zwischen den Welten und als Steppenwolf Hessescher Schöpfung in dem unlösbaren Konflikt zwischen Freiheit und Geborgenheit. Noch dazu ist der Spielraum, der mir im Alter und durch Krankheit noch bleibt, arg beschnitten. Dem Menschen, wenn er en masse (und durchaus auch einzeln) als Gottes eitle Schöpfung auftritt, bereits von Kind an zutiefst abgeneigt, bin ich hin und wieder doch gern mit ihm zusammen, wohl wissend, dass wir alle aus einer Herde sind.
Vor allem mit solchen, für die ich ein Gefühl von erworbener Verwandtschaft habe und mit denen ich das bisschen Dasein nicht nur vertrödeln kann. Denn Zeitdiebe, die „grauen Herren“ also – das haben schon die Kinder aus Endes Roman „Momo“ erfahren – gibt es en gros, sie werden gezielt und dabei fleißig mutierend vermehrt, und wenn du nicht aufpasst, haben sie dir bei suggerierter Zufriedenheit deine Lebenszeit gestohlen.
Leider – ich bedaure es wirklich, weil ich trotz allem noch wach und voller Neugier auf Mensch, Gott und die Welt bin und der Kontakt mit Mitmenschen durch nichts ersetzt werden kann – ist mir auch die nahe stehende kleine Gesellschaft versagt. Mein Dasein im Abendlicht habe ich mir dann doch anders vorgestellt: zwar spätherbstlich, aber nicht so kümmerlich und schmerzlich. Natürlich weiß man, dass das Alter, wenn es denn einem geschenkt wird, seine ganz eigene Malaise hat, rechnet aber nicht damit, dass es sich gar so unversöhnlich und zänkisch zeigt.
Dabei ist das Zurechtkommen und Aushalten mit mir selbst wohl das Schwerste. Es ist, als rumorte in mir ein böser Geist, der Freude am Quälen seines von ihm ausgesuchten Spielpartners hat. (Die Metapher mag auch hier und da persönlich gemeint sein, berührt aber ein grundlegendes Problem, das auch weiterhin in der Ablage „Der Preuß ist schwierig“ seinen Platz haben und mit mir verstauben soll.)
Dieser Abende passierte es, dass der Nachbar klingelte: Sturm und Regen hatten Äste einer unserer Koniferen niedergedrückt und seinem Auto in der Hofdurchfahrt die Passage versperrt. Um weiteren Trouble zu vermeiden, entledigte ich mich (recht gedankenlos eigentlich) der Sauerstoffzufuhr, griff zur Motorsäge und schaffte das Problem aus der Welt. Für mich war das eine Herkulesaufgabe, die mich einerseits gestärkt und andererseits geschwächt zurückließ. Wenn ich (was sehr schwer ist) von mir und meinem Zustand abgelenkt bin, geht es mir etwas besser als im „Leerlauf“.
Vor allem meine Nächte, in denen Körper, Geist und Seele Siesta machen wollen, sorgen dann für Gräuel. Dabei bin ich, von Geburt an wahrlich nicht üppig mit Wohlbefinden und Gesundheit beschenkt, einiges gewöhnt. Und dennoch hab ich mich durchgeboxt, nicht immer als Gewinner, wobei mein schwerster Gegner ich selber war. (Aber, so meine ich, ein Sieg über sich selbst bringt den eigentlich achtbaren und auf Dauer ertragreichen Gewinn. Es wäre viel getan, wenn den Leuten beigebracht würde, erst einmal gegen sich selbst in den Kampf zu ziehen, als gegen einen vermeintlichen Feind.)
Wer alles hat sich nicht schon über das eigene Ende den Kopf zerbrochen? Auch ich habe immer wieder versucht, was da auf mich zukommt in Gedanken zu fassen und schriftlich festzuhalten. Doch das Mysterium des Todes will nicht so recht in das des Lebens passen. Jedenfalls nicht so, dass wir diese Urangst aus uns verbannen und uns beruhigt zurücklehnen können. (Und für solche Mantras aus dem Billigangebot des Freien Marktes wie Alles wird gut, Alles geschehen lassen oder Wir schaffen das bin ich nicht der Käufer.)
Mit einsetzendem Verstand lehren uns schon die ersten Erfahrungen (manchmal sehr schmerzhaft), dass die Theorie eben doch eine ganz andere Sache ist als die doch von so vielerlei realen Bedingungen abhängige und störungsanfällige Praxis.
In Karl Valentins Bonmot „Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist“, das sich mir nach jeder finsteren Nacht neu aufzwingt, steckt bei allem Sarkasmus noch ein Quäntchen Hoffnung. ̶ Mein lieber Karl, müsste ich nun zu bedenken geben, du weißt es doch selbst: Dem Schlimmen sind (auch vom Guten) keine Grenzen gesetzt. Am klügsten kommen wohl die Stoiker (gibt´s die denn noch?) mit dem Unfassbaren zurecht; vor allem aber die Zeitgenossen, welche in geschäftiger Gedankenlosigkeit alles so nehmen, wie es so daherkommt und so dahingeht.
Ja, und rückblickend stellt sich noch einmal die Sinnfrage: Was könnte es nun mit dem Leben an sich und dem deinen im Allgemeinen und Speziellen auf sich haben? Für den Suchenden und Einsichtigen erübrigt sich die Antwort, die er mit seinem Denken und Tun immer wieder neu gegeben hat. Ansonsten bliebe da nur der Blick ins strukturierte Chaos des Alls, das vielleicht ein Nichts ist.
Mit Wünschen, dass Ihr weiter dafür sorgt, dass es Euch gut bis erträglich geht und ihr insgesamt weitgehend unbeschädigt durch eine Zeit kommt, deren Spuren – wenn auch mit edlem Schuhwerk getreten – sich leicht zu Abgründen vertiefen können …
Seid herzlich gegrüßt von Eurem Preuß
Und ohne einen meiner Unsinn-Sprüche geht Ihr mir nicht ins Bett:
Wenn wir uns wirklich einen Fortschritt zum Besseren abverlangen wollten, müssten wir uns unserem besseren Wissen und Gewissen von Heute, Gestern und Vorgestern stellen und noch vor Morgen anfangen, unser aller Bemühen in jeder Hinsicht zuallererst auf das Selbst des Menschen zu konzentrieren.
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