Er selbst nennt sich einen „vielseitigen“ Menschen. Dass er „für den Verfassungsschutz gearbeitet“ haben will, ist ihm so wichtig, dass er es ungefragt erwähnt. Es ist Montag, der 5. Juli 2021 gegen 19:40 Uhr, als wir auf dem Richard-Wagner-Platz an den Kopf der „Bürgerbewegung Leipzig 2021“ herantreten und ihn um ein kurzes Statement bitten. Die Frage, ob er ein langjähriges, führendes NPD-Mitglied in Rheinland-Pfalz gewesen sei, scheint für Volker Beiser keine Überraschung zu sein.

Ganz im Gegenteil. Fast scheint es, als ob es für den heutigen Immobilienmakler normal sei, von etwa 1996 bis 2006 – so die noch auffindbaren Erwähnungen und Rundschreiben mit Beisers Namen – in einer Partei führende Positionen eingenommen zu haben. Die sich in diesen Jahren neben der bekannten Hetze gegen Zuwanderer vor allem mit einem befasst: Strukturen in den sogenannten „neuen Bundesländern“ aufzubauen.Während der Zuspruch auch im Westen wächst. Lakonisch führt der Verfassungsschutzbericht Rheinland-Pfalz 2006 aus: „Im rechtsextremistischen Parteienspektrum stieg in Rheinland-Pfalz 2006 die Mitgliederzahl der „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) nach 2005 erneut an und folgte damit dem Bundestrend“. (Verfassungsschutzbericht 2006, Rheinland-Pfalz)

Expansionsgebiet Ost

Es sind die 90er Jahre, die von Wiedervereinigungsschmerzen, De-Industrialisierung im Osten, einhergehenden Arbeitsplatzverlusten und einem „Kulturschock“ geprägt sind. Die alten Autoritäten, der staatlich verordnete Antifaschismus und die kleine, enge Ordnung in den Schrebergärten und Hoffesten mit Stasibegleitung ist weg und wird von neuem Recht und Richtern, flirrenden Konsummöglichkeiten, weiten Reisen gen Westen, neuen Miet- und Arbeitsverhältnissen regelrecht überflutet.

Für viele Menschen ist plötzlich oben unten und umgekehrt, mancher wird sich nie wieder wirklich zurechtfinden und aus der Zeit fallen. Mancher davon ruft heute bei „PEGIDA“ Parolen, wie „absaufen“ oder „ausschwitzen“, wenn es um ihnen fremde Menschen geht – verhärtet und eigensüchtig geworden sind sie in dieser Zeit, ihren Militarismus haben sie aus der Zeit davor.

Die Gewalt bricht sich an vielen Stellen Bahn. Auch freigelassen durch einen Staat, der vom allgegenwärtigen drohenden Volkspolizisten zum anfangs meist unterbesetzten, abwesenden Polizeibeamten zu wechseln versucht. Nahezu immer kommt die neue Gewalt von rechts in dieser Zeit.

Es scheint keine Konsequenzen mehr zu geben, auch nicht für brutalste Straftaten. So manches auch schwere Delikt wird nie angezeigt, Faustrecht scheint besser als nicht ermittelnde Polizisten. Für die Jugend ist es eine oft gesetzlose Zeit, in der manche vormals gesellschaftlich hochgestellte Eltern keine Vorbilder mehr sind.

Vor allem junge Menschen, die sich als nicht-rechts und befreit vom autoritären Gegängel der Jahre zuvor verstehen, werden sich später an die 90er auch als die „Baseballschlägerjahre“ erinnern. An Hetzjagden marodierender Springerstiefel-Nazis gegen alles, was alternativ, links oder fremd scheint.

Revierkampf, „national befreite Zonen“, Ängste, mit bunten Haaren durch die Leipziger Innenstadt oder in den falschen Club zu gehen – manchmal genügt es schon, zur falschen Zeit am falschen Badesee zu sein, das falsche Mädchen anzuschauen oder an einer Straßenecke falsch abzubiegen.

Szenen, von denen sich Jahrzehnte später im Film „Als wir träumten“ nach dem gleichnamigen Roman des Leipzigers Clemens Meyer einige wiederfinden werden.

Beisers Jugendjahre

Szenen, die der von 1996 bis mutmaßlich 2006 stellvertretende NPD-Vorsitzende Reinland-Pfalz, Volker Beiser, selbst wohl nie erlebt hat – obwohl er mit dafür verantwortlich ist, mindestens indirekt.

Denn es gibt die, die im wiedervereinigten Land ihre Chance sehen, das menschenfeindliche Rüstzeug und die Ideologie „Deutschland den Deutschen“ lautstark zu propagieren. Die den Boden bereiten für brennende Häuser, Hass und Todesopfer. Und jene, die in dieser Zeit mehr und mehr beginnen, aus dieser Ideologie heraus Menschen zu bedrohen, zu bedrängen und zu erschlagen. Scheinbar legitimiert durch eine Propaganda, die wie vor allem im 3. Reich in wertes und unwertes Leben trennt.

Die Sprache der Zeit, in welcher rings um das Jahr 1998 herum der vom Verfassungsschutz mitverantwortete NSU in Thüringen entsteht, ist in nationalistischen Kreisen ein offenes „Heil Kameraden“, so die Begrüßungsformel eines Büro-Schreibens an NPD-Mitglieder, welches der LZ vorliegt.

Und den heute „Frieden, Freiheit, Souveränität“ skandierenden Leipziger „Bürgerbewegten“ Volker Beiser als stellvertretenden Vorsitzenden und Büromitarbeiter der NPD Rheinland-Pfalz ausweist.

Zwei von drei Schreiben stammen aus der Feder seines damaligen Landesvorsitzenden Wilhelm Herbi, der noch im Jahr 2016 öffentlich gegen Zuwanderung hetzt und dabei Abtreibungen als „Kindermord“ dieser gegenüberstellt.

Volker Beisers Ex-NPD-Chef Wilhelm Herbi 2016. Video: Youtube

Der „große Austausch“ oder die „Umvolkung“ in rheinischer Version, die Botschaft ist klar: Man soll Frauen das Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper entziehen, dann hat man zukünftige Arbeitskräfte. Ein Gedanke, der direkt aus dem 3. Reich kommt.

Recherchen von „Exif“ zeigen zudem eine Verbindung von Beisers ehemaligen Chef Herbi zu Doris von Sayn-Wittgenstein mindestens bis 2016.

So bewarb laut „Exif“ die AfD-Politikerin Sayn-Wittgenstein die von Herbi veranstaltete Versammlung am 1. Mai 2016 in Bretzenheim mit den Worten: „AUFRUF ZUR TEILNAHME am Gedenken für die bestialisch geschundenen, gequälten, ermordeten deutschen Opfer der alliierten Weltverbrecher des bei immer noch gegen Deutschland aufrechterhaltenden Feindstaatenklauseln bis heute nicht friedensvertraglich beendeten Zweiten Weltkriegs.“

Der "Friedensvertrag" im Wandel der Zeit. Hier bei der Bürgerbewegung Leipzig am 28. Juni 2021. Foto: LZ
Der „Friedensvertrag“ im Wandel der Zeit. Hier bei der Bürgerbewegung Leipzig am 28. Juni 2021. Foto: LZ

Am Montag, 21. Juni 2021, sprach Sayn-Wittgenstein auf der von Volker Beiser angemeldeten Versammlung bei der „Bürgerbewegung Leipzig“. Auf diesen Versammlungen selbst wird seit Monaten von mangelnder „Souveränität“ und „Freiheit“ Deutschlands und „der Volksgemeinschaft“ orakelt, mindestens einmal taucht auf Beisers Versammlung das Schild „Friedenvertrag Jetzt!“ auf.

Wittgenstein und die „Bewegung Leipzig“ scheinen sich einig und die zugrundeliegende Ideologie ist vor allem eines: rechtsextrem.

Das dritte Schreiben vom 17. Januar 1998 ist eine Einladung zum gemeinsamen Kameradschaftsabend mit der DVU im Gasthaus „Zum Trifels“ in Leinsweiler. Themen des geselligen Zusammenseins neben „dem Ansturm auf Europa“ unter anderem „Die Multikultur vernichtet nicht nur eure Arbeitsplätze, sie frisst auch eure Seelen!!“ oder die Frage „Muß deutsche Reinkultur wieder zur Grundlage der allgemeinen Gesetzgebung werden?“

Gedanken, von denen sich Beiser auf LZ-Nachfrage scheinbar distanziert, indem er so tut, als sei die zehnjährige Mitgliedschaft in einer extremistischen Partei eine Jugendsünde und soweit normal. „Jeder hat eine Vergangenheit, die habe ich hinter mir. Und weiter geht’s.“, so Beiser am 5. Juli 2021 (siehe Video).

Das kurze Gespräch mit Volker Beiser am 5. Juli 2021 auf dem Wagner-Platz. Video: Zeit Online, Henrik Merker & LZ

Was bleibt…

Wenn da nicht die alten Reflexe, das alte Denken wäre, was den Ex-NPD-Kader – der nach bisherigen Informationen nie einen Aussteigerprozess durchlaufen hat – bis heute einholt. Die Taten in Würzburg nutzt Volker Beiser am 29. Juni 2021, um die „Schleusenöffnung“ von „Tante Merkel“ zu kritisieren. Noch immer träumt er von „einem Volk“, suggeriert eine homogene Volksgemeinschaft mit einem Ziel und einem Willen auf seinen Versammlungen.

Und seine Gegner möchte er am liebsten aus der Stadt jagen.

Für den 12. Juli 2021 hat Beisers Bewegung „den Holländer“ Edwin Wagensveld nach Leipzig als Redner geladen. Seine größte Zeit hatte der vorbestrafte Waffenhändler bei PEGIDA, welche 2021 auch vom sächsischen Verfassungsschutz als das erkannt wurde, was sie immer war: extremistisch und gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet.

Nun soll er der zuletzt noch 60 Teilnehmer/-innen starken Demonstration Beisers zahlenmäßig auf die Beine helfen. So wie es zuvor erfolglos André Poggenburg oder Doris Sayn-Wittgenstein taten.

Für Volker Beiser selbst hat sich so eigentlich gar nichts geändert trotz all der Jahre. Noch immer geht es gegen „die da oben“, gegen „das System“ und Antifaschisten. Und das Seit an Seit mit der rechtsradikalen bis -extremen Szene bei der „Bürgerbewegung Leipzig“.

Was die „Zeit“ im „Störungsmelder“ am 10. Juli 2021 zu diesem Vorgang schreibt, kann man hier nachlesen.

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