Volker Beiser hat sich wieder etwas beruhigt, wenn es um die „Leipziger Zeitung“ geht. Zumindest las der Führer der „Bürgerbewegung“ am 28. Juni 2021 nicht wieder aus der LZ vor oder erregte sich über den durch uns attestierten Realitätsverlust bei ihm. Es waren andere Themen wichtig. Der Gegenprotest auf dem Richard-Wagner-Platz zum Beispiel, der jedoch dieses Mal nicht vor Ort, dafür dezentral auf der Marschroute unterwegs war. Und natürlich Würzburg. Aktuell eine Art neuer Code für alle ausländerfeindlichen Menschen im Land, dass die Flüchtlingspolitik 2015 ein Fehler war. Ein Code, die die 70 Teilnehmenden sofort verstanden und eifrig Kerzen entzündeten.
Heuchelei kann die „Bürgerbewegung“ neben Falschinformationen also auch. Denn der Hinweis seitens Beiser auf den angeblichen Grund für die Tat von Würzburg, das Jahr 2015 „als die Schleusen aufgemacht wurden“, durfte natürlich nicht fehlen, als es um die schreckliche Tat am Freitag letzter Woche, die drei getöteten Frauen und Verletzten ging. Landauf, landab tobt seither alles, was rechts ist vorrangig im Netz, da es sich beim Täter um einen 24-jährigen Somalier handelt.
Dass der Mann, welcher 2015 aus einem seit rund 30 Jahren im Bürgerkrieg liegenden Land nach Deutschland kam, bereits psychische Auffälligkeiten vor der Tat zeigte, könnte eher auf Probleme in der psychologischen Betreuung und den entsprechenden Früherkennungen bei Kriegsflüchtlingen generell hindeuten.
Die Anzeichen dafür zeigte der Mann übrigens schon Jahre zuvor, während seines ersten Aufenthaltsortes in Chemnitz, Sachsen, wie seit heute bekannt ist. Mal wieder haben also Behörden die Warnsignale übersehen und nicht adäquat mit einer sozial-psychologischen Betreuung reagiert.
Für Rechtsradikale ist der Weg kürzer, jedes Drama, jedes Problem dieser Art wird zum mehr oder minder offen formulierten „Ausländer raus“. Bei Beiser, der natürlich betonen musste, angeblich ausländische Freunde zu haben, wäre es die alte NS-Lösung, verhaltensauffällige Menschen dauerhaft in eine psychiatrische Einrichtung zu verbringen und „nie wieder rauszulassen“.
Die zweite Schein-Lösung – der Abschiebung – die ohne das ausländerfeindliche Momentum nicht funktioniert, ließ Beiser gestern aus. Doch zum 32-jährigen Deutschen, der am Montag dieser Woche in Erfurt bei einem Messerangriff zwei Menschen schwer verletzte, kein Wort seitens Beiser außer einem einmaligen „Erfurt“. Stattdessen eine Trauerkerzenaktion im Gedenken an die Opfer von Würzburg, nicht ohne den Hinweis, dass daran „Tante Merkel“ die Schuld trage.
Danach gings für die „Bürgerbewegung Leipzig“ zum Rundgang durch die Stadt, der an vielen Stellen auf kleinere Blockaden seitens des zahlenmäßig kleineren, dezentral agierenden Gegenprotestes traf (siehe Video).
Sprache, Sinn und Unsinn
Wovon der Hauptredner der „Bewegung“ eine Menge versteht, sind Andeutungen, Verdrehungen, Falschbehauptungen und Teil-Lügen. Vor etwa zwei Wochen erklärte er am 19. Juni 2021 auf dem Augustusplatz, die Coronakrise sei allein schuld an der steigenden Zahl der privaten Insolvenzen in diesem Jahr. Dass diese 2021 steigen, hat jedoch vor allem mit einer Art Warte- und Nachholeffekt zu tun.
Seit dem Juli 2020 lag seitens der Bundesregierung eine lange angekündigte Neuregelung bei Privatinsolvenzen endlich vor und trat zum 1. Oktober 2020 in Kraft. Diese ermöglicht nun, bereits nach drei statt sechs Jahren eine private Überschuldung durch eine Insolvenzmeldung zu beenden. Wer also bereits 2020, 2019 oder 2018 überschuldet war, tat gut daran abzuwarten, bis das neue Gesetz in Kraft trat.
Was die Zahl seither logischerweise steigen ließ, zumal sich aufgrund des überschaubaren Entschuldungszeitraums auch mehr getraut haben könnten, diesen Schritt zu wagen. Was bei Beiser also das Drama des Jahres und vorgebliche Schuld der Coronapolitik ist, bei welchem nur „das Volk“ diesen armen Menschen helfen könne (Beiser), ist in Wahrheit eine deutliche Erleichterung für alle, die in Schulden geraten sind.
Am 28. Juni nun fanden andere Fakenews neben Worten wie „Volksgemeinschaft“ den Beifall seiner „Bewegung“.
So äußerte er: „Wir haben hier eine Fakepandemie“. Hätte man nichts gegen das SARS-CoV2-Virus unternommen, „wir hätten von dieser sogenannten Pandemie nichts gemerkt, glaubt mir das.“ Angesichts der 90.768 Todesfälle und weiteren Long-COVID-Erkrankungen trotz Abwehrmaßnahmen wäre es beim Glauben an den Prediger Beiser wohl zu mehr Fällen gekommen. Vielleicht unbemerkter anfangs, doch lange hätte wohl das (Ver)schweigen und Kleinreden als „normale Grippe“ (Beiser) nicht geholfen.
Zumal es dazu einer wirklich aufwendigen, weltweiten Vertuschungsaktion aller Regierungen bedurft hätte. Geheime Massengräber in Brasilien und anderswo inklusive.
Der immerwährenden Betonung der Friedlichkeit seiner „Bürgerbewegung“ ließ Volker Beiser am 28. Juni 2021 nach einem seit jeher von Rechtsradikalen bekannten Hieb gegen die „Schmierfinken“ von der Presse eine Drohung folgen, die ebenso wenig friedfertig wie frei von Rachegedanken war.
„Euch werden wir jagen, bis ihr aus der Stadt seid“, rief er via Megafon auf die andere Seite des Wagner-Platzes, dahin, wo sonst der Gegenprotest steht. Dabei bezeichnete er alle Beteiligten daran als „Faschisten“ – eine Umdeutung von Antifaschismus, an welcher er nicht allein arbeitet.
Geschlossene rechte Kreise statt „Mitte“
So wundert es wenig, dass eine etwa 15-köpfige Abordnung der „Bürgerbewegung“, wenn auch führerlos, am Freitag vergangener Woche gegen 10 Uhr zur besten Arbeitszeit vor dem Leipziger Landgericht aufzog, um Jürgen Elsässer vom rechtsradikalen „Compact Magazin“ durch eine Ansammlung bis etwa 12 Uhr zu unterstützen.
Dessen Verlag sieht sich gerade mit einer Klage von „Leipzig nimmt Platz“ (LnP) konfrontiert, bei der er beim Hauptverhandlungstermin in etwa 1,5 Wochen mit echten Belegen beweisen müsste, dass LnP mit gewaltbereiten Menschen zusammenarbeitet. Wenn er nicht vorher zurückzieht und bestätigt, diese in seinem Magazin getätigte Äußerung nicht zu wiederholen.
Wohin also der harte Kern der „Bürgerbewegung Leipzig“ politisch tendiert, dürfte angesichts der klar rechtsradikalen Publikation „Compact“ wenig Interpretationsspielraum bieten. Nach dem Gerichtstermin hielt Elsässer beschützt von zwei Bodyguards noch eine kleine Ansprache an Volkers Volk, was mit lautem Applaus endete.
Einen weiteren im Geiste vereinten Mitstreiter aus Chemnitz begrüßte Volker Beiser dann gestern gleich liebevoll mit Vornamen und bedankte sich für dessen Engagement. Michael „Michel“ Wittwer, Youtuber und 2019er Stadtratskandidat für die rechtsextremistische Partei „Pro Chemnitz“ (heute Teil der „Freien Sachsen“) begleitete erneut als filmender Teilnehmer inmitten der Demonstration das Geschehen.
Eine freundschaftliche Begrüßung, der sich auch Teilnehmende seiner „Bewegung“ gern anschlossen. Unterwegs tat Wittwer dann das, was er wohl für die Dokumentation des Zeitgeschehens hält: unter anderem filmte der Besitzer eines Fakepresseausweises eine längere Portraitaufnahme eines LZ-Journalisten und veröffentlichte diese zeitgleich via Livestream auf seinem Kanal.
Ob er dabei einen Fehler gemacht hat, wird nun nach einer Anzeige gegen ihn im nächsten Schritt die Polizei zu bewerten haben.
Wenn Volker Beiser also seinen Spruch „Nicht links, nicht rechts, wir sind die Mitte“ (oder wahlweise „wir sind Menschen“) immer und immer wieder benutzt, zeigt das vor allem, dass er das Selbstwert- und Gruppengefühl der Teilnehmenden mit dieser Lüge stärken will. Und die meist 50 bis 70 Teilnehmer/-innen machen die von Volker Beiser initiierten Verdrehungen gern mit.
So haben vor allem zwei stets teilnehmende jüngere Frauen eine Freude daran, neben der einzigen wirklich eigenen Parole „Schützt eure Kinder vor dieser Spritze“ (was wohl bei nur einer Spritze für Millionen Impfungen wirklich richtig wäre), gemeinsam mit anderen die Parolen des Gegenprotestes aufzugreifen und beispielsweise „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“ zu skandieren.
Problematisch wird diese Spiegelung des Gegenprotestes als Immunisierung gegen Kritik, wenn man weiß, dass dieselben jungen Damen erst unlängst in Zwönitz inmitten von „Pro Chemnitz“-Kadern von PC-Chef und „Freie Sachsen“-Vorstand Martin Kohlmann bis zum Neu-Chemnitzer Michael Brück (Die Rechte Dortmund) ihre meist gleichen Schildchen hochhielten (Minute 1:04 bei Spiegel TV, Youtube).
Alle drei Organisationen gelten als rechtsextremistisch, mehr Neonazi geht eigentlich nicht mehr. Selbst in Sachsen.
Nachtrag der Redaktion: Aufgrund der vielen Hinweise die Ergänzung, dass natürlich noch weitere Personen wie beispielsweise „Schwester Anja“ regen Kontakt zu dem Leipziger Neonazi Alexander Kurth und den Ex-AfDler André Poggenburg unterhält.
Auch sie unterstützte am vergangenen Freitag Jürgen Elsässer vor dem Leipziger Landgericht und nimmt regelmäßig an den Demonstrationen der „Bürgerbewegung Leipzig“ teil.
Volkers Volk am 28. Juni 2021
Video: LZ
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