Die Reaktionen waren ziemlich einhellig, als am 3. Juni 2021 vom heutigen „Comeback in Leipzig“ von André Poggenburg bei der „Bürgerbewegung 2021“ zu lesen war. Von „was will er?“ bis „Muss man ihn kennen?“ reichten die Reaktionen der Leserschaft der LZ. Nur einer war so gar nicht zufrieden mit der LZ-Ankündigung seiner Person. André Poggenburg wetterte eifrig los auf seinem Facebookaccount, offenbar, um noch einmal unter den letzten seiner Anhänger für Stimmung zu sorgen. Wie viele es heute bei der „Bürgerbewegung“ ab 19 Uhr auf den Richard-Wagner-Platz schaffen und wie breit der von „Leipzig nimmt Platz“ aufgerufene, vom Alexis-Schumann-Platz kommende Gegenprotest wird, könnte noch einmal die Mehrheitsverhältnisse der gestrigen Landtagswahl nachspiegeln.
20:40 Uhr: André Poggenburg und Leipzig + Video
Das wird wohl keine Liebe mehr, zumindest nicht, wenn es um seine Demonstrationsambitionen geht. Als sich der Demozug auf den Rückweg begibt, haben Gegendemonstranten auch noch den Richard-Wagner-Platz besetzt, sodass sich die „Bürgerbewegung“ nun Richtung Jahnallee aus der Innenstadt entfernen musste.
Die Versammlungen sind mittlerweile alle beendet, mit dem Abbruch der Demonstration kurz nach der Runden Ecke hatte die neurechte Bewegung aufgegeben. Die Polizei reagierte heute zurückhaltend und abwartend – von besonderen Härten ist auf keiner Seite etwas bekannt geworden bislang.
Auch wenn es die Blockierten traditionell nicht so sehen: es war ein friedlicher Verlauf am heutigen 7. Juni 2021 in Leipzig. Was Poggenburg davon hält, wird man sicher bald sauber formuliert für seine Anhänger auf Facebook lesen können.
In der Realität haben ihm heute viele Menschen deutlich gemacht, dass sie keine Lust auf seine rechtsradikalen Tiraden haben.
Video: Stopp und Rückzug der „Bürgerbewegung“ in Leipzig
20:20 Uhr: Blockade und Abbruch bei der „Bürgerbewegung“
Das waren dann mit Hin- und Rückweg vielleicht 500 Meter. Auf dem Innenring führt nun eine Blockade des Gegenprotestes zum Abbruch des „Spazierganges“ der „Bürgerbewegung“ um Volker Beiser und einem sichtlich erregten André Poggenburg.
Leipzig hat Platz genommen, die Demo ist geplatzt.
20:15 Uhr: Ausweichroute?
Es gibt eine, nur ob sie funktioniert, weiß wohl niemand. Statt weiter auf dem Fußweg am Ring entlang, soll es nun laut Polizei direkt an der „Runden Ecke“ links lang Richtung Thomaskirche gehen. Ob das der zahlenmäßig deutlich größere Gegenprotest zulässt, ist natürlich offen.
20 Uhr: Kein Durchkommen
Am Ring Höhe Käthe-Kollwitz-Straße ist derzeit Schluss mit dem Spaziergang. Nach nur gut 200 Metern kam der Spaziergang der „Bürgerbewegung Leipzig“ zum Stehen – der Gegenprotest hat die Fußwege der gesamten Kreuzung am Ring umlagert. Die Polizei hält sich derzeit zurück – es ist Stillstand angesagt.
Offenbar überlegen die Polizeikräfte, eine Ausweichroute zu finden.
19:40 Uhr: André Poggenburg hat die übliche Schallplatte dabei
Die Linken fallen dem Volk in den Rücken – so Volker Beiser in seinem soeben zu Ende gegangenen Redebetrag vor dem Volk. Gut „Völkchen“, denn die Menge bleibt bei unter 100 Menschen, darunter mal wieder Personen, denen man die Friedlichkeit förmlich ansieht.
André Poggenburg hingegen hat die größeren Bögen im Blick. Der gestern aus dem Landtags Sachsen-Anhalt Gewählte hat etwas gegen den Verfassungsschutz (seit dieser tatsächlich begonnen hat, rechtsextreme Strömungen bis in die AfD hinein zu beobachten natürlich), die großen Konzerne und dann folgt sein Lieblingsthema: die Gewalt von „Linksfaschisten“ und der mangelnden Redebereitschaft auf der auch heute im Gegenprotest Versammelten.
Aber auch international kann André Poggenburg. Israels Politik sei darauf aus, sich „Lebensraum im Osten“ zu verschaffen. Es sind wohl eben solche Formulierungen, entlehnt aus der NS-Zeit, die zu Einschätzungen führen, dass Poggenburg eben ein Rechtsradikaler ist. Denn, so findet er den Vergleich angemessen, „das hatten wir schon einmal“. Den Anwesenden, die frenetisch applaudieren, scheint die innewohnende Verharmlosung der von Deutschland ausgegangenen Kriegsgräuel mit Blick auf die Lage in Israel gar nicht aufzufallen.
Da ist sie wieder – die Frage nach einem guten Geschichtsunterricht und ob die „Bürgerbewegung“s-Teilnehmer/-innen währenddessen immer Kreide holen waren.
Noch ein bisschen „Corona-Kritik“ hinterher: Er leugne die Corona-Pandemie nicht, aber sie werde für eine neue Qualität von Zwangsmaßnahmen missbraucht. Dass diese gerade überall gelockert werden – nun gut, was sollen die Details. Krönung der Verdrehungen dann noch hinterher, denn die Gegenprotestler seien die „Verharmloser der NS-Zeit“.
Na dann – das kleine Grüppchen möchte nun Richtung Thomaskirche loslaufen. Aus dem Gegenprotest haben sich bereist viele herausgelöst und sind „verschwunden“. Erwartet wird, dass es auf der Laufstrecke Blockadeversuche geben wird.
19:25 Uhr: Realitäten
Genau berechnen werden wir es im Rahmen des Livetickers nicht, aber wo heute auf dem Richard-Wagner-Platz die Mehrheit steht ist wohl geklärt. Auf der Seite der Höfe am Brühl haben sich rund 500 Gegendemonstranten eingefunden, während sich auf der anderen Seite „Bürgerbewegungs“-Anmelder Volker Beiser über die Leipziger Zeitung und unsere Berichterstattung vor rund 75 Getreuen beschwert.
Woher wir den „Realitätsverlust“ bei ihm nähmen, scheint für ihn nicht nachvollziehbar. Gern noch einmal die Kurzfassung unseres zurückliegenden Beitrages: wer vor 50 Menschen vom Volkswillen und den bald noch viel mehr hinzukommenden Anhängern erzählt, sollte sich selbst die heutigen „Massen“ anschauen, die sich nun bei André Poggenburg eingefunden haben.
Die Realität ist dann wohl das, was man sehen und zählen kann – alles andere Wunschglauben eines nationalistischen Redners.
19 Uhr: Erste Impressionen vom Gegenprotest
Während des Demonstrationszuges ist Leipzig nimmt Platz auf dem Weg über die Karli auf etwa 400 bis 500 Personen angewachsen. So viel Gegenprotest hat die „Bürgerbewegung“ in den ganzen letzten Monaten nicht erlebt. Mittlerweile ist LnP am Wagnerplatz eingetroffen.
Video: LZ
18:50 Uhr: Von Schweinefleisch und Geschichte
Einen Rassisten möchte sich André Poggenburg nicht nennen lassen, so ließ er auf Facebook von sich hören. Das muss man auch gar nicht, es genügt, sich so anzuschauen, mit wem er – von Legida bis „Die Rechte“ und Ex-NPD-Kadern wie Alexander Kurth – so in den letzten Jahren zusammen auf der Bühne stand.
Monatelang forderte das Ex-AfD-Mitglied im Jahr 2019 und Anfang 2020 in Leipzig für die „ADPM“ (Aufbruch deutscher Patrioten Mitteldeutschland) auf dem Simsonplatz den „Dexit“ und meldete Versammlungen an, wo der „Mann mit dem Hut“ (Legida) schwadronierte und teils der virtuelle Stahlhelm vor lauter Gestrigkeit herumging.Immer einen Schuss muslimfeindliche Rhetorik, verkappte bis offene Ausländerfeindlichkeit und dann noch ein bisschen Kindergarten-Schnitzelkrieg Seite an Seite mit der BILD als vorgeblichen Kampf um die abendländische Kultur – so haben die meisten Leipziger/-innen André Poggenburgs bisherige Auftritte in der Messestadt in Erinnerung.
Und natürlich unvergessen: seinen brennenden Wunsch, einmal in Connewitz demonstrieren zu dürfen. Was ihm auch gelang, wenn auch nur mit rund 20 Teilnehmer/-innen.
„Er“ ist wieder da
Einen Tag nach der Landtagswahl ist zumindest klar, als was Poggenburg dieses Mal nach Leipzig kommt. Als abgewählter Landtagsabgeordneter, bald quasi wieder Privatmann. Eingeladen hat ihn wahrscheinlich Volker Beiser, Vormann, Anmelder und Hauptredner der „Bürgerbewegung Leipzig 2021“ – einer Vereinigung, die seit Wochen mit 50 bis 100 Menschen vor dem Naturkundemuseum oder auf jenem Wagnerplatz wie heute die „Revolution“ vorantreiben und alles ändern will. In den letzten Tagen verfassten sie sogar erste Ziele und gaben diese auf Telegram bekannt.
Wenn man es nicht besser wüsste, liest es sich, als ob Legida zurück wäre und würde ihre nationalistischen Parolen verbreiten. Zu lesen steht hier: „Wir beenden das Schubladendenken in LINKS, RECHTS oder MITTE. Unsere Bürgerbewegung vereinigt sämtliche politischen Richtungen. Auch bilden wir einen Querschnitt der gesamten Bevölkerung.“
Schaut man sich die Bilder der letzten Versammlungen an, darf man mit Fug und Recht sagen: nein. Unter diesen Demonstranten war keiner, den man auf der Sonnenseite des Lebens wähnen würde. Auch progressive Kräfte fehlten völlig und einige der Versammlungsordner machten eher den Eindruck von Rotlichtgestalten oder Menschen mit einschlägigen Hafterfahrungen.
Die „Bürgerbewegung“ fordert …
Eine Auswahl ihrer Ziele und Forderungen gab es dann auch noch. Darunter die Klassiker jeder volksdeutschen und national-sozialistischen Bewegung, wie: „ein freies und souveränes Deutschland, eine echte Verfassung, eine Politik vom Volke aus und den Erhalt und Wahrung von deutscher Kultur sowie Traditionen“.
Nach der Unterstellung, Deutschland sei kein freies Land (mit Sitz in der UNO usw.) also die bekannte Forderung nach bundesdeutschen Volksentscheiden (denn in den Ländern gibt es sie natürlich) und die allseits bekannten „deutschen Traditionen“.
Schweinefleischfan André Poggenburg ist also kein grundloser Gast am heutigen Tage.
Es folgen noch – meist von Menschen, die noch nie einer Stadtratsversammlung von innen beigewohnt haben – „eine bürgernahe Politik durch vertrauensvolle Volksvertreter“ und – es ist ein Muss!: „die strikte Rückabwicklung straffälliger Migranten sowie keine weitere Aufnahme neuer Migranten“.
Diese neue Formulierung des alten NPD-Satzes: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ kennt man nun seit PEGIDA/Legida in dieser geschickten Abtönung der „Straffälligkeit“ – umgehend demaskiert hier natürlich durch die Ablehnung jeglicher Migration.
Was dann genau „ein Systemwechsel für Deutschland“ sein soll, bleibt Geheimnis der namenlosen „Bürgerbewegungs“-Verfasser (Kommunismus?), während man sich über das Bankensystem jederzeit unterhalten könnte. Krönung und Abschluss des „Programms“ ist und bleibt jedoch die „Erklärung der historischen Entwicklung Deutschlands im Schulunterricht“.
Um hier nicht ins Uferlose zu gehen, nur so viel dazu: Das wird im Schulunterricht ganz gut erklärt. Nur das ist hier nicht gemeint. Denn natürlich möchten Menschen, wie auch viele in der AfD, die glauben, dass es Deutschland eigentlich schon seit 1.000 Jahren gibt (irgendwer hat ihnen was von Römischen Reich deutscher Nation geflüstert) und dass „ein Volk“ als Herrenrasse irgendwo den Wäldern Germaniens entsprungen sei, gern „die ganze deutsche Geschichte“ erzählen. Auch wenn es keine „deutsche“, sondern ein Mix aus keltischer, slawischer und anderer Einflüsse ist.
Um die späte Paulskirchenversammlung 1848, die noch spätere Reichsgründung 1871 und den relativ schnellen Anspruch nach einem „Platz an der Sonne“ nebst zwei zweiten Plätzen bei einem globalen Kriegsgemetzel unter industriellem Auslöschungsversuchs ganzer Menschengruppen wenigstens ein bisschen im Gewaber von vorgeblichen tausend Jahren zum „Vogelschiss“ herunterzureden.
Ein Wunsch, der stets – fragt man Anhänger solcher Überlegungen – eher darin mündet, dass ihnen bei „deutscher Kultur“ so und so nur Goethe, Schiller und Heine einfallen, während sie den Namen Lessing lieber vergessen.
Heute jedenfalls geht es für die Geschichtsfreunde von der „Bürgerbewegung“ und André Poggenburg vom Wagnerplatz auf dem Fußweg des Innenstadtrings bis zur Thomaskirche und zurück. Wenn Leipzig nicht Platz nimmt und sie friedlich stoppt.
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