Auch wir haben die Pressemitteilung der INSM zum Grünen Parteitag bekommen mit der seltsamen Überschrift „Soziale Marktwirtschaft braucht kreativen Wettbewerb statt übergriffiger Verbote“. Seltsam, weil sie wie altbacken wirkte. Als würde diese Lobbytruppe noch immer im Jahr 1958 festhängen. Dass sie es wohl tatsächlich tut und auch noch eine gehörige Portion Antisemitismus in der aufgelegten Anzeigenkampagne steckt, darüber haben andere Kollegen an diesem Wochenende schon geschrieben.
Michael Koß zum Beispiel in der „Zeit“. „Das Infame an diesem antisemitisch konnotierten Vorwurf ist, dass Baerbock und den Grünen damit die Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft bestritten wird. Man hat sich nämlich ausweislich der Logik der Anzeige nicht nur getäuscht, wenn man höhere Weisheiten unters Volk bringen zu können glaubt, man gehört eigentlich gar nicht zu diesem Volk“, schreibt er dort.Und genau so war es von der INSM, die nichts weniger verfolgt als eine soziale Marktwirtschaft, auch gemeint. Sie redet von Markt und Wettbewerb, wenn sie eigentlich Deregulierung, Senkung der (Reichen-)Steuern und eine Beschneidung des Staates fordert.
Genau jenes Staates, der eigentlich den Rahmen setzen muss dafür, dass Deutschland die Pariser Klimaziele schafft und all sein Knowhow einbringt, das Land komplett klimaneutral zu machen. Also endlich – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert – auch Verantwortung für die jüngere Generation übernimmt.
Was eigentlich auch all die Unternehmen der Metall-, Elektro- und Automobilindustrie schaffen müssten, die die INSM finanzieren und das Geld bereitgestellt haben, dass die INSM jetzt eine derart rabiate Anzeigenkampagne zum Parteitag der Grünen auffahren konnte.
Denen die Kampagnenmacher mal wieder – auch das ein uraltes Muster – eine Verbotspolitik unterstellen, wohl wissend, dass das bei einem um seinen Wohlstand besorgen Bürgertum immer Wirkung zeigt. Man denke nur an Klaus Staeks eindrucksvolles Plakat aus den 1970er Jahren: „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen.“
Doch die Masche funktioniert noch immer. Jedenfalls aus Sicht der INSM: „Statt Menschen und Wirtschaft einen Rahmen für Markt und Wettbewerb zu geben, wird immer häufiger versucht, das parteipolitisch gewünschte Ziel und den Weg dorthin festzulegen und mögliche Alternativen zu verbieten. Der an diesem Wochenende stattfindende Parteitag der Grünen ist dafür ein gutes Beispiel. Statt es dem Wettbewerb der Automobilhersteller zu überlassen, die umwelt- und klimaschonendste Antriebstechnik hervorzubringen, wollen die Grünen schon jetzt festlegen, dass ab 2030 nur noch Elektroautos neu zugelassen werden dürfen. Ob Fahren, Fliegen, Steuern oder Wohnen: Verbote und Auflagen dominieren den Entwurf des Wahlprogramms. Vor dem Trend, politische Ziele mit Verboten durchzusetzen.“
Wer die Tricksereien der deutschen Autokonzerne um ihre Abschalttechnik in den Motoren verfolgt hat und ihren Unwillen, die gesetzlich vorgegebenen Abgasnormen zu erreichen, dürfte so seine Zweifel daran haben, dass die Autokonzerne es ohne klare gesetzliche Vorgaben schaffen, wirklich klimaneutrale Autos zu bauen.
Die „freiwilligen Selbstverpflichtungen“, mit denen es CDU-Regierungen immer wieder versucht haben, sind sämtlich gescheitert. Sie waren nichts als Augenwischerei, die dem Wähler suggerieren sollte, die auf Gewinn bedachten Konzerne würden das schon umsetzen, wenn man sie einfach auf Ehrenwort verpflichtet.
Aber wirkliche Änderungen gibt es nur, wenn sich Geschäftsmodelle gegenüber echtem Klimaschutz nicht mehr rentieren. Das ist übrigens nicht erst eine Idee der Grünen, das fordern Klimaschützer und Wissenschaftler schon lange: Das Verhalten der Unternehmen und Konsumenten ändert sich erst, wenn Klimazerstörung einen saftigen Preis bekommt, wenn also z. B. CO2 richtig bepreist wird.
Aber hinter der INSM-Kampagne steckt noch mehr, nicht nur das Ansprechen eines tiefsitzenden Antisemitismus und der Versuch, die Grünen zu einer ausgesonderten Gruppe außerhalb der von der INSM suggerierten Gesellschaft zu machen. (Die Kohl-Ära lässt grüßen.)
Darauf geht Christian Stöcker in seiner „Spiegel“-Kolumne „Komm, wir kaufen uns einen Kanzler“ ein.
Für ihn ist die Kampagne nicht nur ein „Antisemitisches Augenzwinkern nach ganz rechts“, sondern auch etwas, was man in dieser Form bislang nur aus den USA kannte: Die Superreichen nutzen ihr Geld dazu, mit medial inszenierten Schlammschlachten Wahlkämpfe zu beeinflussen.
Er spricht bewusst von den Superreichen: „Zu den offiziellen ,Botschaftern‘ der INSM gehören übrigens auch mehrere Mitglieder der reichsten deutschen Familien. Arend Oetker etwa, Roland Berger, Randolf Rodenstock. Und natürlich stehen hinter den Verbänden, die die Lobbyorganisation finanzieren, weitere deutsche Ultrareiche, denen bedeutende Anteile großer Konzerne gehören.“
Und weil ihnen große Anteile an der noch immer großenteils fossilen Deutschland AG gehören, nutzen sie jetzt die Einflussmöglichkeiten des Geldes, das sie besitzen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Eigentlich nicht erst seit dieser Woche. Da eine echte Klimapolitik sie zwingen würde, ihre Konzerne klimafreundlich umzubauen, nutzen sie schon seit Jahren alle Möglichkeiten, die Klimapolitik als Verbotspolitik in Verruf zu bringen.
„Die INSM ist schon seit Jahren massiv dabei, mit Pseudo-Information und politischer Einflussnahme wirksamen Klimaschutz in Deutschland zu verhindern, in trauter Eintracht mit den Klimapolitik-Bremsern in der Union und anderen Parteien“, schreibt Stöcker.
Unter den Behauptungen, die die INSM Annalena Baerbock auf die Tafeln schreibt, sind auch etliche alte aus dem Köcher der neoliberalen Politik. Immer mit der versteckten Botschaft, den kleinen Leuten solle jetzt alles Mögliche verboten werden, was irgendwie zum Wohlstand gehört.
Aber Billigflüge nach Mallorca sind, auch anders als CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet (wie hier im „Spiegel“) behauptet, keine Wohltat für Wenigverdiener. Tatsächlich entwerten sie sowohl Mallorca als auch das Fliegen. Und die Wahrheit ist: Erst wenn Flüge so viel kosten, wie sie dem Klima schaden, ist der Preis dafür ein ehrlicher.
Und wenn wir ihn uns nicht leisten können, heißt das eben auch, das wir uns die Zerstörung unseres Planeten nicht leisten können.
Aber in Stöckers Artikel steckt noch ein hübscher Verweis: „Das Motiv benutzt auch die in rechtsradikalen Kreisen beliebte Unsinnsthese, beim Wunsch nach einer Verhinderung der Klimakrise handele es sich um eine ,Religion‘.“
Wenn Klimaschutz nur eine Religion ist, kann man natürlich Grüne und Grünen-Wähler/-innen einfach mal so zu Sektierern erklären, die aus einem religiösen Eifer den ach so fleißigen Deutschen ihre Villen, SUVs, Biligfleisch und Billigflüge, das geliebte Pendeln und die schönen Staus in den Großstädten wegnehmen wollen.
Dass nicht alle Superreichen in Deutschland so verquer ticken, machte am Wochenende zumindest die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) deutlich. Der „Spiegel“ zitiert die Stellungnahme mit den Worten: „Das ist nicht der Stil der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Sozialpartnerschaft ist vom gegenseitigen Respekt getragen.“
Dass die INSM jetzt derart krawalliges Geschütz auffährt, hat natürlich auch damit zu tun, dass der Druck wächst. Denn mit solchen Eiertänzen hat auch die Bundesrepublik mittlerweile über 30 wertvolle Jahre verplempert, immer wieder Zugeständnisse an die Fossilwirtschaft gemacht und damit eine wichtige Stellschraube zur Wettbewerbsfähigkeit ausleiern lassen, denn wettbewerbsfähig werden Unternehmen nur, wenn sie frühzeitig in die Entwicklung neuer Technologien einsteigen – und das sind nun einmal klimaschützende Technologien.
Deutsche Regierungen aber haben vor allem die fossilen Unternehmen geschützt und damit auch verhindert, dass sie sich modernisieren und den viel beschworenen Markt mit Produkten beliefern, die klimaschonend sein müssten.
Sozial ist an der Plakatkampagne der INSM gar nichts. Und Klimaschutz ist keine Religion, sondern eine Herausforderung. Und zwar zuallererst an die Reichen und Verwöhnten und Steuerminimierenden: sie werden entweder ihr Leben ändern müssen mit SUV, Jacht, Privatjet und Villa im Tessin. Oder sie müssen dafür einen ehrlichen Preis bezahlen, damit wenigstens ein paar von den Schäden repariert werden können, die dieser klimazerstörende Lebensstil anrichtet.
Denn anders als die INSM-Kampagne beschwört, sind es nicht die Malocher und Geringverdiener in Deutschland, die mit ihrem Lebensstil das Klima zerstören, sondern die Leute, die mit ihrem Geld schon lange nichts Vernünftiges mehr anzufangen wissen, aber sehr gut verstehen, wie man es dem „gierigen Fiskus“ vorenthält und solche Kampagnen daraus bezahlt.
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