Wer heute die Seiten 8 und 9 der Leipziger Volkszeitung (LVZ) aufschlรคgt, findet sich in einer verkehrten Welt wieder. Da wird zum einen รผber das jahrelange Treiben des sรคchsischen Verfassungsschutzes berichtet โ€žVerfassungsschutz sammelte illegal Informationen von Bรผrgernโ€œ โ€“ ein himmelschreiender politischer Skandal! Auf Seite 9 ist ein Interview mit dem Ministerprรคsidenten des Freistaates Sachsen Michael Kretschmer abgedruckt. In diesem macht er in der ihm eigenen Chuzpe die SPD fรผr das Erstarken der AfD verantwortlich.

Das ist so grotesk, dass man darรผber eigentlich nur lachen kann. Doch diese Art der Politik der verkehrten Welt hat bei Kretschmer seit Jahren Methode. Offensichtlich verfรคngt diese bei Journalist/-innen โ€“ nicht nur in der โ€žZEIT im Ostenโ€œ-Redaktion, eine Art Fanclub von Michael Kretschmer, nun auch beim โ€žRedaktionsnetzwerk Deutschland (RND)โ€œ.

Denn mit keinem Wort wird Kretschmer in dem Interview nach dem Verfassungsschutzskandal befragt, der vor einigen Tagen aufgeflogen ist. Stattdessen werden ihm die Stichworte gereicht, um รผber SPD und Grรผne herzuziehen und sich neben Rainer Haseloff als โ€žBrandmauerbauerโ€œ gegen die AfD zu profilieren.

Doch es ist noch gar nicht so lange her, da echauffierte sich der damalige CDU-Generalsekretรคr Michael Kretschmer bei Anne Will (16. September 2016): Es sei ungeheuerlich, dem Freistaat Sachsen zu unterstellen, er wรผrde nichts gegen den Rechtsextremismus tun. Seit 1990 seien der Freistaat und insbesondere die CDU gegen den Rechtsextremismus aktiv.

Das behauptete er damals angesichts des pรถbelhaften Auftretens von Bรผrger/-innen gegen Bundesprรคsident Joachim Gauck im September 2016 und nachdem in Bautzen bei der Landtagswahl 2014 die NPD 10,8 % und die AfD 14,3 % erzielten. Mit der CDU aber hat das nach Kretschmer alles nichts zu tun โ€“ wohl wissend, dass die CDU seit 1990 fรผr die Verleugnung des Rechtsextremismus, fรผr katastrophale Nicht-Demokratiebildung, fรผr einen rechtslastigen Verfassungsschutz die Hauptverantwortung trรคgt.

Bis vor kurzem (und bei manchem CDU-Platzhirsch noch immer) waren und sind die Grenzen zu den Rechtsnationalisten nicht nur der AfD sehr flieรŸend. Noch im Februar 2021 stimmte die CDU in Plauen zusammen mit der AfD und der rechtsextremistischen Partei โ€žIII. Wegโ€œ gegen ein Demokratieprojekt und entzog dem โ€žBรผndnis fรผr Demokratie, Toleranz und Zivilcourageโ€œ die Fรถrdergelder.

Was Kretschmer natรผrlich verschweigt: Die CDU konnte 2019 in Sachsen mit Michael Kretschmer und nun in Sachsen-Anhalt mit Reiner Haseloff bei den Landtagswahlen nur deswegen eine deutliche Distanz zur AfD gewinnen, weil viele Bรผrger/-innen aus Sorge um die Demokratie ihre Parteiprรคferenz zurรผckgestellt und der CDU ihre Stimme gegeben haben. Hinzu kommen die Menschen, die tรคglich im bรผrgerschaftlichen Engagement sich den Rechtsnationalisten nicht nur in der Wahlkabine entgegenstellen.

So hat das schlechte Abschneiden von Grรผnen und SPD bei diesen Wahlen natรผrlich mit ihren eigenen Schwรคchen, aber auch damit zu tun, dass viele Wรคhler/-innen vorsichtshalber der CDU ihre Stimme gegeben haben. Sie wollten verhindern, dass die rechtsextreme AfD stรคrkste Partei wird. Dass nun aber herauskommt, dass der Verfassungsschutz diese Bรผrger/-innen bespitzelt, รผber sie Akten sammelt und linksradikaler Umtriebe verdรคchtigt, ist ein Skandal โ€“ der gleiche Verfassungsschutz รผbrigens, der noch immer tief im Sumpf des NSU steckt.

Dass dazu dem Ministerprรคsidenten Michael Kretschmer kein Wort รผber die Lippen kommt, zeigt, von welch zwanghaftem Opportunismus er getrieben ist โ€“ รผbrigens der gleiche Opportunismus, den er in Sachen Kohleausstieg an den Tag legt. Denn er gehรถrte bis vor kurzem zu denen, die weit รผber das Jahr 2050 Braunkohle fรถrdern und weitere Dรถrfer abbaggern lassen wollten. Heimat-Rhetorik bedienen, aber traditionsreiche Ortschaften zerstรถren wollen zugunsten einer Energiegewinnung von gestern โ€“ damit hatte ein Michael Kretschmer in seinem gnadenlosen Opportunismus nie ein Problem.

So wichtig es ist, rechtsextremistische Parteien wie die AfD politisch zu bekรคmpfen โ€“ dies รผber den Umweg einer starken CDU zu tun, wird sich als Sackgasse erweisen. Denn was soll man von einer Partei halten, die offensichtlich kein Problem hat mit einem Bundestagskandidaten Hans-Georg MaaรŸen in Thรผringen, dem ehemaligen Verfassungsschutzprรคsidenten, unter dessen ร„gide massenhaft NSU-Unterlagen geschreddert wurden, bevor der Untersuchungsausschuss im Bundestag ihrer habhaft werden konnte?

Und was von einer CDU, die sich nun anschickt, im Bundestag alles zu blockieren, was Demokratie und Transparenz stรคrkt? Lassen wir uns also von den verkehrten Welten nicht blenden. Stรคrken wir in den kommenden Monaten den Menschen und den Parteien den Rรผcken, die von ihrer Geschichte und ihrem Programm her รผber jeden Zweifel erhaben sind, die Demokratie, den sozial gerechten Zusammenhalt und den Klimaschutz zu fรถrdern.

Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de

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Es gibt 2 Kommentare

Ich halte die Thesen von Herrn Kretschmer fรผr Wahlkampf bรถsartiger Sorte. Die Probleme, vor denen er steht, hat eine verfehlte 30-jรคhrige CDU-Politik geschaffen. Jetzt schiebt er den Schaden allen in die Schuhe, die links von der CDU stehen. Damit stimmt er mit den Untaten des sรคchsischen Verfassungsschutzes รผberein, der allen, die die CDU kritisch sehen, misstraut, sofern sie sich politisch links verorten.

Die CDU kann nur als konservative Partei in Sachsen erfolgreich sein.
Das heiรŸt aber nicht, bei den blauen zu kopieren weil man der Meinung ist, die Sachsen wรผrden mit konservativ Rechtspopulismus meinen. Ein eigenes Profil ist wichtig, das sich durchaus von der Bundes-CDU unterscheiden kann.

Sehr guter Artikel, vielen Dank!๐Ÿ‘

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