Er hat für Aufregung gesorgt, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU). Vor einigen Tagen sagte er im Blick darauf, dass in Ostdeutschland die rechtsradikale AfD seit Jahren einen Zustimmungswert von 20-30 % der Wähler/-innen aufweisen und bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag in Sachsen-Anhalt eventuell stärkste Partei werden kann: „Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind“.
Ein Teil der Bevölkerung habe „gefestigte nicht demokratische Ansichten“. Wanderwitz hält nur einen geringen Teil der AfD-Wähler/-innen für „potenziell rückholbar“. Man müsse die Bildungsarbeit intensivieren und „auf die nächste Generation“ hoffen.
Für einen ostdeutschen CDU-Politiker hören sich diese Einschätzungen erst einmal wie eine Kehrtwende an. Endlich werden das Problem des Rechtsextremismus und die Demokratieverachtung in Ostdeutschland nicht mehr schöngeredet (wie noch bei Kurt Biedenkopf (CDU) „Die Sachsen sind immun gegen den Rechtsextremismus“).
Endlich werden AfD-Wähler/-innen nicht mehr als arme Opfer der Verwerfungen in den vergangenen 30 Jahren betüttelt, die leider nicht anders können, als ihr Kreuz hinter der AfD zu machen – eine besonders schmierige Form von gouvernantenhafter Bevormundung.
Insofern sind die Einlassungen von Marco Wanderwitz zu begrüßen – auch wenn daran zu erinnern ist: die Demokratieverachtung ist in der jüngeren Nachwendegeneration genauso verbreitet, hat also noch andere Ursachen als diktaturstaatliche Schädigung. Und: Es war die CDU, die in den vergangenen drei Jahrzehnten konsequent dem Anwachsen des Rechtsextremismus in Ostdeutschland tatenlos zugesehen und dieses verleugnet hat.
Die kritischen Reaktionen auf Wanderwitz sind allerdings mehr als entlarvend. Da wird der Ostdeutsche, indem man ihn vermeintlich in Schutz nimmt, wieder in eine Opferrolle gedrängt. Laut BILD meint der CDU-Landesvorsitzende Sachsen-Anhalt Sven Schulze, dass man die Menschen im Osten nicht so „pauschal beschimpfen“ dürfe. Die ehemalige Ostbeauftragte Iris Gleicke (SPD) mahnt, dass man sich um die vielfältigen Ursachen für den Aufstieg der AfD kümmern müsse.
„Dazu zählten große ökonomische Ungleichheit, ein Gefühl der Ohnmacht in einer komplizierten Welt, ein tiefgreifender Vertrauensverlust, ‚die Sehnsucht nach einfachen Lösungen oder die fatale Neigung zur Suche nach Sündenböcken.‘“ (Leipziger Volkszeitung, 1. Juni 2021, S. 3).
Merkwürdig nur, dass die wichtigste Tatsache bei allen Kritikern von Wanderwitz nicht benannt wird: Die AfD wird von Menschen gewählt, die von niemandem gezwungen werden, bei dieser rechtsradikalen Partei ihr Kreuz zu machen. Sie tun dies aus freien Stücken und in Kenntnis all der rechtsextremistischen, demokratiefeindlichen Einstellungen vieler Repräsentanten dieser Partei.
Niemand sollte also AfD-Wähler/-innen zu bedauernswerten Trotteln erklären. Nein, wer AfD wählt, tut dies aus Überzeugung und im vollen Wissen um deren menschenverachtendes Programm. Aus dieser Verantwortung darf niemand entlassen werden – es sei denn, wir behandeln einen Teil der Menschen wie unmündige, armselige Bürger/-innen. Wer Verantwortlichkeiten benennt, beschimpft niemanden, sondern nimmt ihn ernst und klärt die Verhältnisse.
Und noch etwas haben wir zu bedenken: Eine demokratische Wahl macht aus einer rechtsradikalen Partei eben keine demokratische Partei. Deswegen ist das Argument „Aber die sind doch demokratisch gewählt!“ kein Ausweis demokratischer Gesinnung einer Partei. Eine 2016 demokratische Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten hat aus ihm keinen Demokraten werden lassen.
Im Gegenteil: Er hat das Wahlergebnis, für das die Wähler/-innen und niemand sonst verantwortlich sind, genutzt, um die Demokratie und ihre Organe in den Vereinigten Staaten zu zerstören. Gott sei Dank haben die Wähler/-innen in den USA diesen Spuk nach vier Jahren beendet. Aber jeder konnte am 7. Januar 2021 erleben, wie weit Trump sein Zerstörungswerk schon getrieben hatte. Wollen wir es in Ostdeutschland so weit kommen lassen?
Was also hilft? Drei Dinge:
- klar und unmissverständlich benennen, was es bedeutet, AfD zu wählen;
- in allen gesellschaftlichen Bereichen Demokratiebildung betreiben und Menschen in demokratische Prozesse einbeziehen;
- dafür werben, den Demokratiefeinden von der AfD und anderen rechtsextremistischen Gruppierungen keine Chance zu geben.
Ostdeutsches Selbstbewusstsein sollte sich jedenfalls in anderen Bereichen niederschlagen, als per Wahlzettel den Rechtsextremismus zu stärken und so mit dem Feuer zu spielen. Statt also Marco Wanderwitz zu kritisieren, sollte man den Duktus seiner Äußerungen aufgreifen und entsprechend in Wort und Tat ergänzen. Es wird höchste Zeit – nicht nur für die CDU.
Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de
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