Bürgerschaftliches Engagement, historische Expertise, umfangreiche Publikationen und tadellose Reputation – der Verein „Pro Leipzig“ feiert seinen 3 0. Geburtstag. Dabei unterscheidet sich das Schlachtfeld in der untergehenden DDR, auf dem der Bürgerverein eher ungeplant entstand und in die Öffentlichkeit trat, kaum von der heutigen Problemlage.
Vor der Wende war Bürgerbeteiligung ein Begriff aus dem Fremdwörterlexikon. Heute wird sie offiziell begrüßt, ist bei der Vergabe von EU-Fördermitteln meist vorgeschrieben. Aber in der Leipziger Wirklichkeit bleibt Bürgerbeteiligung ein eher unerwünschtes Ärgernis.Beteiligungsverfahren sind kaum ergebnisoffen und werden pro forma durchgeführt, nicht pro Leipzig. Aktuelles Beispiel: der Matthäikirchhof. Die soeben gestartete bürgerschaftliche Mitwirkung bei der städtebaulichen Strukturierung ist mit „Gemeinsam für einen Ort gelebter Demokratie“ überschrieben und großspurig mit den Prädikaten „frühzeitig“ und „zweistufig“ geschmückt.
„Doch eine frühzeitige Beteiligung ist es mitnichten; entscheidende inhaltliche Prämissen für die Entwicklung des Areals sind längst festgelegt, und zwar ohne Einbeziehung der breiten Bürgerschaft“, moniert Heinz-Jürgen Böhme von „Pro Leipzig“. Die Verwaltung sei nicht an einem „freien Dialog von Projektbeginn an interessiert, sondern allenfalls an einer kontrollierten Mitsprache in Teilbereichen“.
Auch beim Runden Tisch zum Wassertouristischen Nutzungskonzept zeigte sich unlängst, dass grundsätzliche planerische Pflöcke längst eingeschlagen sind, erläutert Vereins-Geschäftsführer Thomas Nabert, ohne dass etwa ein Auwaldkonzept vorliegt. Daher verließ „Pro Leipzig“ zusammen mit den Umweltverbänden unter Protest den Runden Tisch.
Beteiligung, Transparenz und historische Stadtforschung waren bereits die Anliegen von „Pro Leipzig“ für eine Stadtplanung, als es den Verein noch gar nicht gab, erzählt Nabert. Beim internationalen Städtebauwettbewerb für das Stadtzentrum 1988 hieß es hinter vorgehaltener Hand: „Ihr könnt vorschlagen, was ihr wollt – es wird keine Abweichungen vom Plan geben.“
Allerdings weckten die Stadtoberen damit Geister, die sie nicht mehr loswurden, blickt Nabert zurück. Es hagelte mutige Beiträge. Und aus dem Wunsch einer „behutsamen Stadterneuerung“ mit dem Bewusstsein für die Historie des jeweiligen Stadtgebietes erwuchs Anfang 1991 der Appell „Pro Leipzig“, um eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen.
Abrissbirne und Plattenbau bedrohten Gründerzeitarchitektur. Auch wenn Veränderungen bevorstanden, sollte Leipzig sein bauliches Gesicht bewahren. Bernd Sikora, Peter Guth und Norbert Vogel legten mit „Leipziger Landschaften“ den Finger in die Wunde: Im Südraum fraßen sich die Braunkohlebagger stadtwärts, obgleich es kaum Konzepte für danach gab, erinnert sich Nabert. Er selbst erlebte das Drama seit 1988 tagtäglich hautnah auf seinem Weg von Meuselwitz nach Leipzig.
Der Forschungsstudent blickte mit wenig Freude auf seine Perspektive einer aufreibenden Assistenz an der historischen Fakultät der Universität. Und so nutzte er im Mai 1991 die Chance „mit vollen Händen“ über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bei „Pro Leipzig“ mitzuwirken. Die Initiative hatte sich am 28. Februar des gleichen Jahres im Connewitzer Gasthaus „Goldene Krone“ gegründet, um die gemeinsamen Interessen kontinuierlich zu verfolgen.
„Im praktischen Umgang mit Stadt- und Regionalgeschichte habe ich eine riesige Sinnstiftung gesehen“, sagt Nabert. Zuerst ging es um den inhaltlichen Aufbau der Forschung. „Pro Leipzig“ saß mit dem Bürgerverein Musikviertel im Souterrain der Beethovenstraße 8. Später ist Nabert für die Publikationen im Eigenverlag des Vereins zuständig. „Damit finanzieren wir unsere Arbeit.“ Zwei Jahre wurde „Pro Leipzig“ institutionell gefördert. Bis Mitte der 1990er Jahre etablierte sich der Verein.
Mehr als 370 Veröffentlichungen sind es mittlerweile. Angefangen mit 18 Heften über das Waldstraßenviertel, dem neuen Domizil des Vereins bis 2020. Dazu kommen etliche Stadtteilhefte, die mit ihrer blassgelben Optik ein Markenzeichen von „Pro Leipzig“ sind, und stattliche Bände. Bis zur Jahrtausendwende waren die Vorzeichen günstig: „Die Stadtverwaltung und der Stadtrat waren auch Suchende“, begründet Nabert. Historisch fundierte Standpunkte waren willkommen. Außerdem hat „Pro Leipzig“ eine gemeinsame Vorgeschichte mit einigen Landespolitikern im christlichen Umweltseminar.
Trotz dieser Wertschätzung erscheint es Nabert „in der Rückschau wie ein Wunder, dass wir uns etablieren und Einfluss nehmen konnten“. Dieser Einfluss schlägt sich nieder in Erfolgen wie dem Elster-Saale-Radweg auf der in den 1990ern stillgelegten Bahnstrecke Leipzig-Lützen, der auf der Idee und einer Studie von „Pro Leipzig“ beruht.
Ein weiterer Erfolg ist die erste Wasserwanderkarte im Jahr 1997. „Viele Leute haben damals gesagt: Das geht nicht.“ Aber die Menschen mit Boots-Herold oder zum Paddeln auf die Gewässer zu locken, erzeugte den beabsichtigten Veränderungsdruck. Zumindest anfänglich. Anlässlich der anstehenden Überarbeitung erfragte der Verein bei der Stadt, welche der 31 avisierten Maßnahmen an Leipzigs Fließgewässern seit 2014 umgesetzt wurden – Antwort: zwei.
Der negative Höhepunkt war sicherlich 2018 das „Beteiligungsverfahren“ zur Öffnung des Pleißemühlgrabens am Goerdelerring, bei dem sich der Verwaltungsstandpunkt durchsetzte, ohne das Bürgervotum zu beachten und die guten Argumente auf seiner Seite zu haben. Es fand nur pro forma statt, ohne echte Argumentation. „Manche Stadträte sind amtshörig und machen sich nicht die Mühe, in die Papiere zu schauen“, so Nabert. Und die Beteiligung werde oft von externen Büros gemanagt, die „glätten, glätten und bügeln. Es ist vieles auf das Normalmaß einer Bürokratie heruntergespielt.“
„Vom freundlichen Kampf für mehr Bürgerbeteiligung: Der Verein „Pro Leipzig“ feiert seinen 30. Geburtstag“ erschien erstmals am 30. April 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.
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Keine Kommentare bisher
“Pro Leipzig” , wer oder was ist denn “Gemeinsam für Leipzig”. Macht dieser Verein nicht auch etwas gemeinam für Leipzig.