Berlin, „Querdenken“ und Pfingsten. Eine Kombination, die noch im letzten Jahr mediale Wucht und Großdemonstrationen garantiert hätte. Auch vor dem Wochenende hatten die Ankündigungen seitens „Querdenken“ gewohnt martialisch geklungen, von unterschiedlichen Strecken für einzelne Bundesländer war vorab in Aufrufen die Rede, alles klang gigantisch. Angesichts dessen, was sich nach einem Versammlungsverbot am Samstag und Sonntag tatsächlich in Berlin versammelte, muss man wohl sagen: Die Luft ist raus.
Schon Tage vor dem erneuten Versuch von Michael Ballwegs Bewegung, in Berlin die Straßen zu fluten, wurden durch die Versammlungsbehörde Berlin alle Demonstrationen und Kundgebungen aus dem „Querdenker“-Spektrum verboten. Eine vielleicht letztmalige Einschätzung anhand des Infektionsrisikos der speziellen Gruppierung, die das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg teilte.
Eine juristische Klärung, die für „Querdenken“ und ihren Szene-Rechtsanwalt Markus Haintz nur vorgeschoben sind.
Seit Monaten entscheiden Gerichte vor allem gegen größere „Querdenker“-Versammlungen, da durch unzählige Demonstrationen als sicher gilt, dass die Szenerie aus Überzeugung keine Sicherheitsabstände einhält, sich und andere nicht vor einem Virus zu schützen gedenkt, dessen Gefährlichkeit sie leugnet.
Vorab stellte die Berliner Polizei noch einmal klar, dass „zu den prognostizierten Verstößen gegen die Infektionsschutzverordnung auch die Störung des öffentlichen Friedens, z. B. durch das Rufen volksverhetzender und antisemitischer Parolen, als Verbotsbegründung“ hinzukamen.
Aufgrund des Verbotes war bereits vorab klar, dass sich diejenigen, die sich durch ein Verbot nicht aus Berlin fernhalten lassen würden, spontan an verschiedenen Orten zusammenfinden würden. Eine Beobachtung, die in den kommenden Stunden auch den Polizeieinsatz prägen sollte.Am Samstag, dem 22.05.2021, versammelten sich zum Auftakt nur einige hunderte Menschen zu spontanen Demonstrationen. Zunächst war der Vormittag ruhig und verregnet, einige Grüppchen liefen ziellos durch den Berliner Tiergarten.
Als eine Frau per Megafon dazu aufrief, man möge über die Leipziger Straße zum Potsdamer Platz demonstrieren gehen, kam Bewegung in die Menge. Das erste Mal, dass die Berliner Polizei auf den Plan trat.
Die Einsatzbeamten begleiteten diesen illegalen Demonstrationsversuch anfangs nur mit einem Wagen, bis die angeforderte Verstärkung eintraf. Was folgte, waren die mittlerweile üblichen Bilder, „Querdenker“ versuchten, die Polizeikette zu durchbrechen, teils mit Babys auf dem Arm. Dennoch gelang es der Polizei, die Gruppe einzukesseln und anschließend einer Identitätsfeststellung zu unterziehen.
Nicht ohne teils gehörige Gegenwehr. Da sich die Szenerie im Kampf gegen eine Diktatur wähnt, gelten seit Monaten auch Angriffe auf Polizeibeamte als normal: Ein älterer Herr versuchte zudem, einen Journalisten mit einem Faustschlag zu attackieren, wobei er die eigene Brille verlor.
Eine andere Person bespuckte Journalisten/-innen, eine weitere versuchte, einen Besen als Waffe zu nutzen und bei einer Festnahme wurde ein Polizist von einem Demonstrationsteilnehmer umgetreten.
Konnten sich die Querdenker am Abend des Pfingstsamstages angesichts der gescheiterten Demonstrationsversuche noch mit der Hoffnung auf deutlich größere Teilnehmer/-innenzahlen am Sonntag vertrösten, blieb am gestrigen Abend dann nur noch Frust übrig. Immerhin hatte man zuvor offenbar noch geglaubt, den 1. und 29. August 2020 in Berlin zahlenmäßig übertreffen zu können.
Dabei hatten sich bis zu 30.000 Menschen in der Hochzeit der Pandemiedebatte in der Bundeshauptstadt eingefunden.
„Alles gescheitert, aber wir geben nicht auf“
Der Sonntag begann mit einer Kundgebung im Park „Grüne Meile“, zu welcher sich ungefähr 300 Teilnehmer/-innen einfanden. Und bald erlebten, dass auch an diesem Tag die Polizei nicht lange zuschauen würde – kurz nach 12 Uhr begann die Polizei, diese Veranstaltung aus Infektionsschutzgründen erneut aufzulösen.
Einige Teilnehmer/-innen, die sich weigerten, den Park zu verlassen, wurden mit polizeilichen Maßnahmen dazu gezwungen. Was auch hier wieder Bilder produzierte, wie sie „Querdenker“ brauchen: der diktatorische Staat gegen Freiheitskämpfer – so die Interpretation der Szene.
Auch einen weiteren Versuch von verstreuten Gruppen, sich anschließend an der geschichtsträchtigen „Gedächtniskirche“ zu treffen, erkannten die Einsatzkräfte frühzeitig. Zirka 400 Personen wurden von den Beamten mit Absperrband und Polizeikräften umringt. Nach zwei Stunden endete auch hier die Kundgebung, noch schneller wurde die Zusammenkunft von 35 Personen am Schloss Charlottenburg beendet.
Einen letzten Versuch unternahmen die „Querdenker“ dann noch, indem sie – wie gewohnt durch Aufrufe auf Telegram – versuchten, möglichst viele Anhänger um 18:30 Uhr im Treptower Park zu sammeln. Der Mobilisierung zur letzten Spontanversammlung des Sonntages unter dem Titel „Gegen die Willkür der Polizei“ folgten ungefähr 250 Personen.
Als diejenigen, die hier der Willkür bezichtigt wurden, eintrafen, verboten sie umgehend auch diese Versammlung und begannen mit der Auflösung. Ob die „Querdenker“ langsam selbst müde waren oder ein bisschen Vernunft am Ende des Tages Einzug hielt, blieb unklar.
Alle sind enttäuscht.
Pfingsten war ein Reinfall.
Die Pandemie neigt sich dem Ende zu und die Qs haben rein garnichts dazu beigetragen. #b2305 pic.twitter.com/4HbEXuamXz— Astrakete @astrakete.bsky.social (@Astrakete) May 23, 2021
Die Auflösung gelang jedenfalls ausgesprochen friedlich. Apropos Vernunft: Im Livestream des „Querdenker“-Youtubers Elijah Tee konnte man einen Anflug davon miterleben. Am Mikrofon die Feststellung, dass bezüglich der Beteiligung in Berlin „alles gescheitert“ sei.
Natürlich gewürzt mit der trotzigen Schlussfeststellung, dass man nicht aufgeben würde. Längst kämpft die Szenerie ja neben Schutzmasken auch gegen Testungen und Schutzimpfungen.
Es verbleibt also noch ein bisschen Zeit zum Spendensammeln, bis die Mehrheit der Bevölkerung die Pandemie überwunden hat.
Video-Impressionen vom 23. Mai 2021 in Berlin
Video: LZ/Leon Eisfeld-Mylius
Nachtrag d. Red.: Das Falschzitat „Noch sitzt ihr da oben …“, welches dem sächsischen Dichter Theodor Körner (23.09.1791 bis 26.08.1813) untergeschoben wird, wurde laut Recherchen des Literaturwissenschaftlers Erhard Jöst am 21. April 1990 bei einer Neonazi-Großveranstaltung im Münchner Löwenbräukeller erstmals vorgetragen.
In den Schriften Körners findet sich kein derartiges Gedicht. Erstmals wiederverwendet wurde der Spruch seit 2015 durch PEGIDA. Die fremdenfeindliche Organisation wird, wie auch Teile der „Querdenken“-Szene, seit 2021 vom Verfassungsschutz beobachtet.
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Keine Kommentare bisher
Nichts neues. Einige wenige Abzocker, viele esoterisch oder anders verstrahlte und einige wenige, die psychisch krank sind oder geistig behindert, was deren Abzocke besonders verwerflich macht.
Gut ist, daß sich aufgrund der sinkenden Spendeneinnahmen die Abzocker gegenseitig beginnen zu zerfleischen.
Alles so vorhersehbar. Manchmal denke ich, das ist eine gescriptede Reality-TV-Show.