Die Bundesrepublik kämpft! Zwar demnächst nicht mehr am Hindukusch, dafür aber zu Hause direkt hier im Herzen, im Bauch, im Darm und an den Randgebieten der sozialen Marktwirtschaft. Gekämpft wird mit sämtlichen Mitteln. Und jener Kampf, von dem ich rede, ist nicht der gegen das Virus, sondern der jahrzehntelange Krieg gegen die Drogen.
Sie wissen schon: „Keine Macht den Drogen“ und so. In Connewitz und Lindenau, jenen Brennpunkten jugendlich empathischer Anarchie, wurde und wird der Slogan ganz gern zu „Keine Macht den Doofen“ verballhornt. Womöglich geschah dies, während man sich eine Tüte rollte und eine Pulle Bier vorm Späti aufploppte. Man kann es den Leuten auch nicht einmal wirklich übelnehmen, dass sie die Steilvorlage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der aktuellen CSU-Bundesdrogenbeauftragten so zuspitzten. Denn wirklich klug erscheint an der aktuellen Drogendebatte in der Berliner Republik nicht viel.Neulich fasste der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Kraus die Unionsmeinung zur vorsichtigen Teillegalisierung von Cannabis zusammen, indem er die Legalisierungspläne der Grünen-Fraktion als „Konjunkturprogramm für Dealer“ bezeichnete. Der Herr Kraus ist ein politisches Multitalent mit fest gefügten Meinungen zu einigen Themen, die – neben der Pandemie – das Land gerade so bewegen. Er ist strikter Gegner jeglicher Form von Sterbehilfe und hat so seine Schwierigkeiten damit, „divers“ als drittes Geschlecht anzuerkennen. Neben seiner politischen Tätigkeit verfasst der Mann kindgerechte Bücher, mit denen er den lieben Kleinen den offenbar unermesslichen Schatz erzgebirgischer Märchen und Sagen näherzubringen versucht.
Daniela Ludwig, CSU und Bundesdrogenbeauftragte, schlägt in einem Interview mit dem Deutschlandfunk beherzt in dieselbe Kerbe wie ihr Unionsparteifreund Alexander Kraus, denn sie gibt darin offen zu, dass sie in einem „Krieg gegen die Drogen“ kämpft. Dunnerlittchen, die Frau geht hart zur Sache. Muss man ja mal so deutlich sagen: Krieg ist kein Spaß. Kriege erzeugen Opfer und Schäden. Da werden Schlachten und Gefechte geführt, Werte vernichtet und zwangsweise stets allerlei moralische Grenzen verschoben. Die Frage ist: Wohin verschieben sich jene Grenzen?
Nicht immer offenbar in die Richtung, die man angesichts so vehementer Ansagen vermuten mag. Trotz ihrer Kriegsrhetorik scheint Frau Ludwig zumindest an einer Begrenzung der Kollateralschäden ihres Krieges interessiert zu sein, denn immerhin sorgte sie während der Pandemie sehr früh dafür, dass Heroinabhängige trotz Praxisschließungen weiterhin ihr Methadon- und Substitutionsprogramm fortsetzen konnten.
Außerdem setzte sie sich innerhalb der EU dafür ein, dass die Suchtbehandlung als gleichwertige Säule innerhalb des Drogenkrieges anerkannt und finanziert wird. Das zeugt eher von Pragmatismus als dem fanatischen Kampf ohne Rücksicht auf Verluste, den ihre Drogenkriegsrhetorik sonst so suggeriert.
Doch die aktuelle Drogenpolitik erzeugt eben auch selten öffentlich diskutierte juristische Grauzonen, die im Grunde nur durch absurde Kompromisse zu umschiffen sind. In jedem Drogenkonsumraum, in dem Süchtige ihre Drogen überprüfen und sicher konsumieren können, ist das Betäubungsmittelgesetz faktisch aufgehoben, wobei jeder Schritt aus dem Schutzraum hinaus auf die Straße für die Klienten ein strafrechtliches Risiko darstellt. Jeder Polizist bewegt sich recht nah an einem Strafverfahren, wenn er die Besucher solcher „Drückerstuben“ ignoriert, obwohl ihm/ihr der Zweck solcher Orte klar sein muss.
Kompromisse halten zuweilen ewig, wenn sie von allen Seiten als notwendiges Übel akzeptiert werden können. Doch angesichts von gerade wieder einmal lauter werdender Drogenkriegsrhetorik und der bevorstehenden Bundestagswahl könnten jene Kompromisse aufgekündigt werden. Es werden sich genug Politiker finden, die sich mit gefechtsklar herausgedrückter Brust für Moral, Volksgesundheit und konservative Kernwählerschaft ins Drogenkriegsgetümmel werfen wollen und damit möglicherweise Schäden anrichten, die zu reparieren Jahre dauern kann.
Auffallend dabei ist, dass gerade die Unionsparteien in Sachen Drogen plötzlich gar nichts mehr von dem sonst unter ihnen so geschätzten Grundsatz der Eigenverantwortung des mündigen Bürgers halten. Den Konservativen ist das Vergnügen außerhalb von Orten, an denen man auch Parteiversammlungen abhalten könnte, traditionell unheimlich.
Da halten sie es beim Drogenkonsum wie mit dem Sex. Der gehört ins eheliche Schlafzimmer und sonst nirgends hin. Wie Sex bedingt Rauschmittelkonsum den Willen, sich auf Enthemmungen einzulassen. Wer sich enthemmt, beweist mit dieser Handlung, sich zumindest zeitweise außerhalb gesellschaftlicher Normen bewegen zu wollen.
Dient zeitweilige Enthemmung zur Fortpflanzung, muss sie natürlich akzeptiert werden, aber auch mittels überlieferter Moralkonzepte so weit eingehegt werden, dass sie zwar ihren Zweck erfüllen kann, aber im Grunde allein auf diesen Zweck begrenzt bleibt. Die Abneigung der Konservativen gegen Homosexualität stammt ja nicht nur aus einem von Kirchen kulturell implizierten Ekel, sondern auch aus der Furcht davor, dass Sex – als reines Vergnügen und bloße Entspannung betrieben – eine Verführungskraft entfaltet, die auf mühsam ausgehandelte gesellschaftliche Normen pfeift.
In ihrem Misstrauen gegenüber bestimmten Formen von Sexualität und gegenüber jeglicher anderen Form freiwilliger Enthemmung kommt auch im 21. Jahrhundert noch die uralte Angst der Konservativen vor der Macht der Straße und des „gemeinen Volkes“ zum Ausdruck, das man in den Kreisen der Konservativen grundsätzlich für zu ungebildet hält, als dass man ihm Verantwortung für sich selbst und sein Vergnügen außerhalb von Theater, Kino oder Gaststubensälen überlassen dürfte.
Als man vor Jahren Kokainproben auf den Bundestagsklos nahm und feststellte, dass dort ebenso gekokst wurde wie überall sonst in der Republik, machte ein kluger Kollege folgende Beobachtung: Es gab mehr Spuren von Kokain auf den Männerklos als den Damentoiletten. Doch es waren die Konservativen, die die weitaus größte Anzahl von männlichen Abgeordneten im Bundestag ausmachten.
Es ist ein wenig logisch unrein, daraus Schlüsse ziehen zu wollen. Zumal man den Kokskonsum seinerzeit von Unionsseite rasch den Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen in die Schuhe zu schieben versuchte. Womöglich war das gar nicht so unrealistisch. Aber zumindest mir persönlich sind Abgeordnete lieber, die aus persönlicher Erfahrung wissen, wovon sie reden, wenn sie von einem Richtungswechsel in der Drogenpolitik sprechen.
Konservative sorgen in einer Demokratie dafür, dass kulturelle und moralische Veränderungen entschleunigt ablaufen. Und dies ist ein kaum zu unterschätzender Beitrag zur Verwaltung eines Staates. Doch stets kommt der Zeitpunkt, an dem jene nützliche Entschleunigung entweder zum Hemmschuh oder gar zum reinen Selbstzweck wird. Nicht allein nur wegen ihrer restriktiven und von faulen Kompromissen geprägten Drogenpolitik ist es dieses Jahr an der Zeit, die Konservativen in die Opposition zu schicken.
Mehr von David Gray alias Ulf Torreck gibt es zu lesen in seinem neuen Thriller „Escape Zone“. Erschienen im März beim Piper Verlag und überall im Handel erhältlich.
„Haltungsnote: Kein Bett im Grasfeld – Eine Kolumne über konservative Drogenpolitik und enthemmten Sex“ erschien erstmals am 30. April 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.
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