81 rechte Szeneorte, 208 Straftaten im Zusammenhang mit Rechtsextremismus, 304 Betroffene rechtsextremer und rassistischer Gewalt. Diese Statistiken spiegeln die Situation in Sachsen 2020 wider – und stellen wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs dar. Am Sonntag, 9. Mai 2021, rief deshalb das Aktionsbündnis gegen Neonazis „Ladenschluss“ zu einer antifaschistischen Radtour durch Leipzig auf.

„Wir schwingen uns auf den Sattel, um sowohl historische Orte nationalsozialistischen Terrors als auch aktuelle Treffpunkte der radikalen Rechten sichtbar zu machen“, so die Veranstalter/-innen. Über 200 Teilnehmende starteten im Rabet. Begleitet vom Lautsprecherwagen und Polizei ging es Richtung Kamenzer Straße 10/12. „Ein Gebäudekomplex, in dem sich bis 1945 das größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald befand“, schildert einer der Veranstaltenden.

Eine Gedenktafel erinnert an die über 5.000 Frauen, die hier Panzerfäuste herstellen und Granaten abfüllen mussten. Nicht mehr arbeitsfähige Personen wurden nach Auschwitz geschickt; 1945 wurden die restlichen Arbeiterinnen auf einen Todesmarsch getrieben.

„In den letzten Jahren fiel das Gelände außerdem als Trainingsort des neonazistischen ,Imperium Fight Team‘ rund um den bekannten Neonazihooligan und Wurzener Stadtrat Benjamin Brinsa auf“, erklärt ein/e Redner/-in.

Mitglieder des „Imperium Fight Team“ waren unter anderem an dem Neonazi-Überfall auf Connewitz am 11. Januar 2016 sowie an dem Angriff auf einen senegalesischen Türsteher am 8. Juni 2019 beteiligt. Bei letzterem wurde das Opfer schwer verletzt. Außerdem sei das Objekt in der Kamenzer Straße Treffpunkt der rechten Rockergruppe „Rowdys Eastside“ und Veranstaltungsort für Neonazikonzerte.

Im Dezember 2019 forderten 34 zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine, Organisationen sowie drei Landtagsabgeordnete des sächsischen Landtags mit einem offenen Brief an die Stadt Leipzig und entsprechende Behörden, etwas gegen die Situation hier vor Ort zu unternehmen.

Das Fazit der Antifaschist/-innen: „Passiert ist bisher nichts. Anfragen am sächsischen Landtag und im Bundestag belegen zwar, dass von Sicherheitsbehörden dieser Ort offiziell als von Neonazis genutzte Immobilie geführt wird. Mehr Aktivitäten, diesen historischen Ort der rechten Szene zu entreißen, gibt es jedoch nicht.“

Das Ladenschlussbündnis schildert im weiteren Verlauf, dass sich in diesem Jahr in der Kamenzer Straße 12A das Sin City BoxGym ansiedelte. „Im Rahmen einer 2012 unter anderem vom Sin City BoxGym ausgerichteten Boxveranstaltung bedankt man sich bei den Sponsoren. Darunter Christian Pohle mit seinem damaligen Geschäft ,Fighting Catwalk‘.“

In dem Modegeschäft soll Kleidung rechter Marken verkauft worden sein. „Darüber hinaus war Pohle Mitglied der „Fighting Fellas“, einer Boxgruppe, die bis mindestens 2008 in Wurzen ansässig und von Neonazis dominiert war.“

In einer Pressemitteilung vom 6. Mai dementiert das Sin City BoxGym die Vorwürfe: „Wir betreiben Boxsport welcher International geprägt ist. Wir lassen uns von NIEMANDEM radikalisieren und auch nicht an den Pranger stellen. Auch ist unser Gym nicht Ableger von irgendwas oder jemandem.“

Schon bei einer Razzia am 30. April 2021 soll laut Pressemitteilung bei einem Boxclub in der Kamenzer Straße eine Hakenkreuzflagge gefunden worden sein. Dabei handele es sich aber um die Hausnummer 12; das BoxGym hat seinen Sitz in der 12A. „Es handelt sich angeblich (…) bei den Räumlichkeiten um einen Proberaum einer Musikband. Der Name und die Zugehörigkeit dieser Band war uns bis heute nicht bekannt. Auch können wir diese Informationen nicht bestätigen. Jetzt haben laut unserer Information diese Bandmitglieder in ihrem Proberaum auch ab und zu Sport getrieben. Nicht offiziell als Gym“, heißt es seitens des Sin City BoxGym.

Das „Imperium Fight Team“ zog zwar nach Taucha um; die Kamenzer Straße bleibt laut „Ladenschlussbündnis“ aber trotzdem eine wichtige Adresse in der Leipziger Neonazi-Szene. „Wir hoffen daher, dass ihr auch weiterhin herkommt und den Rechten hier am Stadtrand keine Ruhe gönnt“, schließen die antifaschistischen Veranstalter/-innen die Kundgebung am ersten Halt der Tour.

Neben vielen (begründeten) Vermutungen steht jedoch ein Fakt im Raum: nachdem der antifaschistische Fahrradkorso samt Polizeigeleit zur nächsten Station weiterzog, blieb eine LZ-Reporterin vor Ort, um Aufnahmen vom Objekt im Rahmen des Artikels zu machen. Nachdem der letzte Polizeiwagen um die Ecke bog, kam eine Person aus einem Auto, welches vor der Kamenzer Straße 12A parkte.

Diese attackierte die Reporterin verbal, beleidigte sie und drohte ihr mit Gewalt, sollte sie nicht unverzüglich das Gelände verlassen.

Die Fahrraddemo zog indessen weiter über Paunsdorf, wo das „Bushido-Sportcenter“ seinen Sitz hat und von wo aus das „Bushido Free Fight Team“ um die bekannten Neonazis Marko Zschörner und Martin Krause an den Hooligan-Auseinandersetzungen am 7. November 2020 an der Moritzbastei teilnahm, bis nach Taucha.

Dort soll der neue Trainingsort des „Imperium Fight Team“ sein – inwiefern das neue Gym das Objekt in der Kamenzer Straße ablöst, sei noch unklar, so das Ladenschlussbündnis. Trotzdem müsse die generelle Raumnahme durch rechte Kräfte sichtbar gemacht werden.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Antonia Weber über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar