Abschiebungen wirken in Pandemie-Zeiten besonders merkwürdig. Während die Bundesregierung einerseits dazu aufruft, Mobilität einzuschränken und möglichst zu Hause zu bleiben, setzt sie andererseits Dutzende Menschen in ein Flugzeug, um diese zwangsweise nach Afghanistan zu bringen – weit weg von ihrem neuen Zuhause in Deutschland. Weil es bald wieder so weit sein soll, versammelten sich am Dienstagabend, den 6. April, rund 75 Menschen auf dem Willy-Brandt-Platz zu einer Kundgebung. Die Gruppe „Protest LEJ“ hatte dazu aufgerufen.
Am Mittwoch, dem 7. April, wird es wohl die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan geben. Es ist zum Ritual geworden: In der Regel einmal pro Monat hebt ein Flugzeug aus Deutschland ab, um Menschen gegen deren Willen in ein weit entferntes Land zu bringen. Nicht selten dient der Flughafen Leipzig/Halle als Ausgangspunkt dieser unfreiwilligen Reise.Die Gruppe „Protest LEJ“, benannt nach eben jenem Flughafen, hatte zur Protestkundgebung am Vorabend aufgerufen. Auch das ist ein Ritual. Schon seit Jahren gibt es solche Demonstrationen kurz vor einer Abschiebung. Unmittelbar etwas ändern oder verhindern können sie nicht.
Das unsicherste Land der Welt
In mehreren Redebeiträgen, unter anderem vom Asylum Seekers‘ Movement und dem Sächsischen Flüchtlingsrat, wurde die prekäre Lage in Afghanistan thematisiert – hinsichtlich Menschenrechten, Gesundheitsversorgung und den anhaltenden Konflikten, die weiterhin zahlreiche Todesopfer fordern.
Es sei „das unsicherste Land der Welt“, sagte eine Sprecherin des Flüchtlingsrates, und verwies dabei auf den sogenannten Global Peace Index. Laut dieser Statistik zählt Afghanistan zu den „kriegerischsten“ Ländern der Welt – noch vor Syrien, Südsudan, Jemen, Irak oder Somalia. Auch Menschenrechtsorganisationen wie „Pro Asyl“ oder „Amnesty International“ weisen beständig darauf hin, dass Afghanistan nicht sicher ist.
Nagel: Asylgesetze sind rassistisch und nationalistisch
Die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) bezeichnete Abschiebungen auf der Kundgebung als „gewalttätigen Akt“. Die deutschen Asylgesetze seien „rassistisch und nationalistisch“. Auch die Regierungsbeteiligung der Grünen hätte an der Abschiebepolitik in Sachsen nichts zum Besseren verändert – im Gegenteil: „Die Gangart hat sich verschärft.“
Als Beispiel nannte Nagel eine Abschiebung vor einem Jahr, von der allein aus Sachsen zwölf Menschen betroffen waren. Darunter befand sich eine Person, die wenige Tage danach an einer Theaterpremiere in Zittau teilnehmen sollte. Eine andere Person wurde direkt vom Schulhof abgeholt. Zudem wurden an jenem Tag erneut Familien voneinander getrennt.
Etwas Hoffnung auf Besserung geben den Organisator/-innen des Protests und von Abschiebung bedrohten Personen immerhin einige Urteile von Verwaltungsgerichten. Diese hatten zuletzt festgestellt, dass sich die wirtschaftliche Lage in Afghanistan infolge der Corona-Pandemie dermaßen verschlechtert habe, dass eine Abschiebung selbst jungen, arbeitsfähigen Männern nicht mehr ohne Weiteres zuzumuten sei.
Kundgebung „Keine Abschiebung nach Afghanistan“
Ein Teil der Redebeiträge. Video: LZ
Hinweis der Redaktion in eigener Sache
Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.
Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.
Vielen Dank dafür.
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:
Keine Kommentare bisher