Ein Monat der Entscheidung liegt in diesem März 2021 vor uns: Erst tagt der erweiterte Finanzausschuss, dann beschließt der Stadtrat den nächsten Doppelhaushalt. Wird der im Oktober 2019 ausgerufene Klimanotstand darin zur dominierenden Größe? Oder können die von Corona-Hilfen üppig Bedachten – Autoindustrie, Airlines und Flughäfen – aufatmen, weil sich nichts Wesentliches ändert? Mittendrin, zum nächsten globalen Klimastreik am 19. März will „Leipzig fürs Klima“ seine Forderungen zum Thema machen: mehr Zielgenauigkeit, mehr Krisenbewusstsein, mehr Verantwortung, mehr Transparenz und mehr Beteiligung werden von der Stadtverwaltung erwartet.
22 Klimagruppen sind durch die Zusammenarbeit mit Fridays For Future im neuen Bündnis zusammengekommen – von BUND über Greenpeace, NABU bis Ökolöwe und Extinction Rebellion – und haben ihre gemeinsamen Ziele in das gemeinsame Forderungspapier einfließen lassen, erzählt Steffen Peschel von Parents For Future.Ihre harsche Kritik lässt sich ganz einfach festmachen: „Die städtischen Berechnungen im aktuellen Umsetzungsbericht von 2018 zeigen, dass die CO2-Emissionen leicht abnehmen, aber nicht annähernd genug“, erläutert Heike Wex.
„Es ist die Grafik mit dem Männchen gleich auf Seite 2“, ergänzt die Wissenschaftlerin vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung, „die belegt, dass unser CO2-Budget, das wir noch haben, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, bereits in vier Jahren aufgebraucht sein wird.“
Es braucht offenbar weitaus größere Anstrengungen und Veränderungen als bisher, wenn wir unseren Kindern und Enkeln eine lebensbejahende Welt hinterlassen wollen, so Peschel. Die Kritik von „Leipzig fürs Klima“ ist sehr begründet.
Betrachten wir die einzelnen Forderungspunkte:
„MEHR ZIELGENAUIGKEIT: Wir fordern die Stadtverwaltung auf, ihre strategischen Zielsysteme und Klimaschutz-Programme, allen voran das Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 (EKSP), an den Anforderungen des Pariser Abkommens auszurichten.“
„Als Stadtverwaltung haben wir uns genau mit dem Forderungspapier auseinandergesetzt. Wir sind uns der Bedeutung des Themas und den Handlungsnotwendigkeiten im Klimaschutz sehr bewusst“, antwortet Peter Wasem, Leiter des Amtes für Umweltschutz.
„Die Diskussion über die Zielrichtung des neuen EKSP ist noch nicht abgeschlossen. Wir haben aufgezeigt, dass es zwischen den Zielstellungen des Pariser Klimaabkommens und dem eingeschlagenen Weg der Bundesregierung erhebliche Differenzen gibt, die wir als Kommune nicht allein mit eigenen Mitteln ausgleichen können.“
Egal welche CO2-Ziele Paris-konform sind, die reale Absenkungskurve ist es nicht annähernd. „Die Ziele sind zu schwammig formuliert“, moniert Erik Butter (Greenpeace). Außerdem wirke das Verwaltungshandeln oft so, als wäre das Ziel schon erreicht, wenn es nur beschlossen und zu Papier gebracht sei.
„Auch im Klimaschutzprogramm 2014-2020 standen viele Punkte drin, die zum allergrößten Teil nicht mal angegangen wurden“, pflichtet Wex bei.
„MEHR KRISENBEWUSSTSEIN: Wir fordern die Stadtverwaltung auf, die Klimakrise endlich mit den Prioritäten zu versehen, die ihrer existentiellen Bedeutung für uns und für die nachfolgenden Generationen gerecht wird.“
Antwort: „Die geforderte Prioritätensetzung wird von uns stärker denn je gelebt. Natürlich gibt es hin und wieder auch Verwaltungsentscheidungen, die dem Klimaschutz noch besser Rechnung tragen müssen.“ Klimagerechtes Denken und Handeln müsse über alle Ebenen und Bereiche hinweg besser etabliert werden. Und es bedürfe einer genauen Abwägung zwischen den verschiedenen strategischen Zielen einer nachhaltigen Stadt, so Wasem.
Für Martin Rebmann (BUND) ist das Klimabewusstsein in der Verwaltung und Verwaltungsspitze nicht erkennbar. Das 2020 angekündigte Konzept für eine klimaneutrale Verwaltung fehle. Zum Teil werde gegen Stadtratsbeschlüsse gearbeitet, zum Beispiel beim Verzicht auf Verbrenner. „Keine Umsetzung erforderlich“ war die Antwort der Verwaltung auf den ersten Beschlusspunkt im ausgerufenen Klimanotstand, und damit versäumt es Leipzig, die darin formulierte Vorreiterrolle einzunehmen, ergänzt Peschel.
„MEHR VERANTWORTUNG: Dazu gehört die Ansiedlung des Referats für Klimaschutz direkt beim Oberbürgermeister, einschließlich des Themas Klimaanpassung, die Stellen für Klimaschutz und Klimaanpassung mit Priorität zu schaffen und zu besetzen, zusätzliche Finanzmittel für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen auszuweisen und Konzepte und Maßnahmen mit der gebotenen Dringlichkeit zu erarbeiten und umzusetzen.“
Antwort: „Die Ansiedlung des Referates Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz in der Stadtverwaltung wurde aus verschiedenen Perspektiven mit den unterschiedlichen Vor- und Nachteilen beleuchtet. Und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass diese, die Themen und Prozesse verbindende Koordinierungs- und Steuerungseinheit, am besten angebunden ist, wenn sie auf Amtsebene innerhalb eines Klimadezernates arbeiten kann. Denn es braucht für das Thema Klimaschutz die stetige Verknüpfung aus strategischer und operativer Sichtweise“, argumentiert Wasem.
Die Besetzung des Referates schreite voran und bedürfe auch angemessener Sorgfalt. Mit der Verabschiedung des Sofortprogramms habe die Stadt gezeigt, dass sie richtungsweisende und verwaltungsübergreifende Konzepte und Maßnahmen in kurzer Zeit erarbeiten kann und Willens ist, auch große finanzielle Beträge in den Klimaschutz zu investieren. Letzteres zeige sich im Übrigen auch an der aktuell vorliegenden Haushaltsplanung.
Allerdings sei es bedenklich, so Peschel, wenn die beschlossenen Stellen noch nicht einmal vollständig ausgeschrieben seien und Klimaschutz mit anderen Ressorts konkurrieren müsse. „Das können wir uns nicht mehr leisten. Wir wissen seit Jahren, dass Klimaschutz alternativlos ist!“
„MEHR TRANSPARENZ: Wir fordern die Stadtverwaltung auf, jährlich öffentlich über den bisherigen Stand der Zielerreichung zu berichten. Dazu gehören die Aufschlüsselung nach Sektoren und die Wirksamkeit von Maßnahmen mit Blick auf die avisierten Zwischenziele. Dazu gehört aber auch die schonungslose Offenlegung von Zielverfehlungen, Gründen und Lösungsansätzen.“
Umwelt-Amtsleiter Peter Wasem sieht Leipzig bei der jährlichen Veröffentlichung des Umsetzungsstandes des eigenen Energie- und Klimaschutzprogramms zweifelsfrei als Vorreiter. „Dennoch ist es richtig, dass Zielverfehlungen und Versäumnisse besser und eindeutiger benannt werden müssen“ und die Aktualität der Berichte zu verbessern sei.
„MEHR BETEILIGUNG: Wir fordern die Stadtverwaltung auf, dass schnellstmöglich im Haushalt 2021 eine Stelle für Klima-Kommunikation und Bürgerbeteiligung geschaffen, besetzt und angemessen ausgestattet wird. Um die Zivilgesellschaft stärker in städtische Klimaschutzmaßnahmen einzubinden, ist ein Förderprogramm mit jährlich mindestens 150.000 Euro aufzulegen und dauerhaft im Haushalt zu verankern. Der Klimabeirat ist zu stärken und die Arbeit des Forums Nachhaltiges Leipzig transparent zu machen.“
Für Peschel heißt Transparenz mehr Ehrlichkeit. „Daten werden bisweilen nur auf Nachfrage veröffentlicht“, kritisiert Butter. Und sie sollten dabei weniger unverständlich und verschachtelt sein, als vielmehr anschaulich, so Rebmann.
„Die Einrichtung einer Stelle für die Themen Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung ist gemäß der Entscheidung der Stadtverwaltung für die Einrichtung des Referates bereits vorgesehen. Wir befinden uns gerade in der Vorbereitung des Ausschreibungsprozesses“, entgegnet Wasem.
Ein zusätzliches Vereinsförderprogramm für zivilgesellschaftliches Engagement im Klimaschutz liege als Antrag zum Haushaltsentwurf vor. „Als Verwaltung stehen wir diesem Ansinnen grundsätzlich positiv gegenüber.“ In der Arbeit des Klimabeirates gebe es noch Verbesserungspotenzial. „Insofern wollen wir das Format gegebenenfalls nochmal anpassen und durch weitere Formate die Beteiligungsmöglichkeiten erweitern.“
Für den Leiter des Amtes für Umweltschutz steht fest: „Auch wenn wir nicht in sämtlichen Positionen übereinstimmen, so ist festzuhalten, dass die Weiterentwicklung unserer Klimaschutzaktivitäten zu unseren zentralen Zielen zählt, so wie es unter anderem im INSEK [Integrierten Stadtentwicklungskonzept Leipzig 2030] und dem Arbeitsprogramm des Oberbürgermeisters festgehalten ist.“
Sieht Wasem die Stadtverwaltung zu Recht kritisiert?
„Diese Frage lässt sich nicht einseitig beantworten. Wir haben in den vergangenen Monaten viele Dinge bewegt, die in dieser Konsequenz und Wirkung bisher einmalig für die Stadtverwaltung auf diesem Gebiet waren. Aber wir haben natürlich auch Verständnis dafür, dass wir dafür kritisiert werden, dass einige Dinge zu langsam oder auch noch gar nicht umgesetzt wurden. Mit der vollständigen Besetzung des Referates und des Kernteams Klimaschutz werden wir natürlich nochmals Möglichkeiten bekommen, die bestehenden Aktivitäten auszubauen.“
Im Fazit liegen „Leipzig fürs Klima“ und Umweltschutzamtsleiter dicht beieinander: Die Klimaschutz-Aufgaben ließen sich nicht durch einzelne Mitarbeiter oder Abteilungen erledigen, urteilt Wasem, sondern müssten integriert betrachtet und von sämtlichen Organisationsbereichen umgesetzt werden. „Dies zieht einen sukzessiven Änderungsprozess nach sich, der mit dem Beschluss zum Klimanotstand begonnen hat, aber natürlich noch nicht abgeschlossen ist.“
Greta Thunberg hat bekanntlich gemahnt, dass unser Haus brennt, verweist Peschel. „Wir wollen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung in die Pflicht nehmen. Von den fast 8000 städtischen Beschäftigten müssten sich alle als Feuerwehrleute sehen – nicht nur die explizit für Klimaschutz angestellten. „Wir brauchen 8.000 Feuerwehrleute für Klimaschutz!“
„Öko? Logisch (8): Forderungspapier des neues Bündnisses „Leipzig fürs Klima“ an die Stadtverwaltung“ erschien erstmals am 26. Februar 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 88 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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