Vor ein paar Tagen fragte mich eine Freundin, ob ich sie begleiten würde, sie wolle Stolpersteine putzen gehen. Angesichts der gerade stattfindenden Gedenkveranstaltungen bezüglich des Holocaust war ich für das Thema sowieso offen bzw. sensibilisiert, also sagte ich spontan zu. Und fragte mich danach, was ich eigentlich über Stolpersteine weiß.
Nun, nicht wirklich viel. Kurze Recherche im Internet hilft natürlich auch in diesem Fall. Stolpersteine sollen die Schicksale von Juden, Sinti und Roma, politisch und konfessionell Verfolgten, Homosexuellen, Euthanasieopfern wieder ins Gedächtnis rufen und wachhalten. In Leipzig liegen bisher 570 Stolpersteine an 202 Orten.
Sie liegen überall in der Stadt verteilt und man beachtet sie im Alltag kaum. Tatsächlich bin ich über so einige davon schon gelaufen, ohne sie wirklich zu bemerken. Auch darum ist das Putzen ab und an sinnvoll, sie glänzen dann wieder und werden besser wahrgenommen. Aber eigentlich macht das Putzen noch etwas ganz anderes aus, zumindest für mich.
Zurück zur eigentlichen Aktion. Ein Termin war schnell gefunden, der letzte Januar-Sonntag. Da hat man ja Zeit und zu unserem Glück war auch noch strahlender Sonnenschein, wenn auch kalt. Also ein paar Lappen, Schwämme, Handschuhe, Küchenrolle, Putzmittel und Wasser eingepackt und los. Die ersten Steine fanden sich am Brühl, genauer gesagt an der Hainspitze, und ich habe sie da tatsächlich zum ersten Mal so richtig wahrgenommen. Diese hier waren aber schon geputzt, also weiter.
In der Gerberstraße, gleich neben einem Bauzaun, fanden sich die nächsten Steine. Und ohne gezielt nach ihnen zu suchen, hätte ich sie glatt übersehen. Unscheinbar, schmutzig. Aber oberhalb am Zaun hing ein laminierter Ausdruck mit einem QR-Code, der mir mehr über diese Steine sagen konnte. Und das ist sogar wörtlich zu nehmen, es handelt sich dort nämlich um sogenannte Hörstolpersteine. Dabei werden kurze Biografien der Opfer vorgetragen, teilweise von interessierten Einzelpersonen, aber auch von Menschen aus Schulen, Verbänden und Parteien. Ein guter Weg, den Namen eine Geschichte zu geben.
Also frisch ans Werk und losgeputzt! Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr solch eine sonst eher ungeliebte Arbeit Freude machen kann, wenn sie denn einen echten Sinn bekommt. Und man noch dazu positive Reaktionen bekommt. Die gab es nämlich, in verschiedenen Varianten. Das reichte von einem vom Fahrrad zugerufenen „Danke, dass ihr das macht“, über ein mit einer Fotoanfrage verbundenem „Danke“, bis hin zu einer älteren Dame, die mit einem Lächeln auf uns zukam und sich aufrichtig bedankt hat und ihre eigene Geschichte erzählte.
Sie macht das in ihrer Heimatstadt nämlich selbst auch, hat mittlerweile andere Menschen dazu motiviert (sodass oft die Steine schon geputzt sind, wenn sie kommt) und hat eine Freundin in Israel, mit der sie seit vielen Jahren Kontakt hält und die dieses Gedenken gut findet. Und das ist es wirklich. Ein leises Gedenken, dezentral, nicht aufdringlich, dennoch mahnend. Mittlerweile das größte dezentrale Mahnmal der Welt, die Stolpersteine liegen inzwischen in vielen Städten in Deutschland und 25 weiteren Ländern in Europa. Es gibt sogar eine App, die einem anzeigt, wo die Steine liegen bzw. welche Schicksale sich hinter den Namen verbergen.
Weiter ging es dann in Richtung Humboldtstraße, auch dort liegen mehr als ich erwartet hatte. Diesmal erzählte uns ein Ausdruck an einem Schild direkt die Geschichte zu den Namen. Inzwischen hatten wir auch eine Technik zum Putzen etabliert, es ging flott von der Hand. Dank der Kälte läuft das Messing allerdings recht schnell wieder an, schade. Zum Abschluss sind wir nochmal zum Nikolaikirchhof, dort liegt der Stolperstein für Ernst Lewek, einen ehemaligen Pfarrer. Genau vor dem Gemeindesaal der Nikolaikirche, dem Ernst-Lewek-Saal.
Als meine Freundin ein paar Tage zuvor diesen Stein geputzt hat, kam der Küster der Kirche auf sie zu, um zu sehen, was sie dort macht. Auch er war erfreut und in einem Gespräch sehr aufgeschlossen gegenüber der Idee, so was in Zukunft mit Mitgliedern der jungen Gemeinde zu machen. Generell wäre es eine gute Sache, dies im Rahmen des Geschichtsunterrichtes mit Schulklassen zu machen, um ihnen das Thema näherzubringen. Es ist eindeutig einprägsamer, als nur Zahlen in Büchern zu lesen.
Und genau das brauchen wir in Zeiten, in denen manche Anne Frank nur für eine Romanfigur halten, wirklich dringend. Ein Gedenken, ein Mahnen. Ein Bewusstmachen ohne Schuldzuweisungen. Gerade im Festjahr #2021 JLID – Jüdisches Leben in Deutschland, kann man solche Aktionen wunderbar in Geschichtsunterricht oder Gemeindearbeit integrieren. Die jetzige Generation kann nichts für die Taten von damals, aber sie sollte alles dafür tun, damit sie sich nicht wiederholen. Ich jedenfalls war nicht zum letzten Mal unterwegs.
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