Die AfD wird in Sachsen-Anhalt ab sofort durch den Verfassungsschutz beobachtet. Darรผber informierte der Nachrichtendienst des Landes die Parlamentarische Kontrollkommission. Die โMitteldeutsche Zeitungโ berichtete zuerst darรผber. Offen ist, wie es mit der Gesamtpartei weitergeht. Die AfD setzt sich gegen die Einstufung als Verdachtsfall durch das Bundesamt fรผr Verfassungsschutz mit juristischen Mitteln zu Wehr.
Die Entscheidung des sachsen-anhaltinischen Verfassungsschutzes kam alles andere als รผberraschend. Bei einem Landesparteitag wurde im vergangenen September der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider mit 84 Prozent Zustimmung in den Landesvorstand gewรคhlt. Der Islamwissenschaftler steht nach Medienberichten aus dem Vorjahr gemeinsam mit dem Thรผringer AfD-Chef Bjรถrn Hรถcke und dem ehemaligen Brandenburger AfD-Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz lรคngst im Visier des Verfassungsschutzes.Beobachter rechnen Tillschneider dem rechten Rand der Partei zu. Die Verfassungsschutzbehรถrde begrรผndet die Beobachtung des Landesverbandes in einem umfangreichen Gutachten. Die AfD ist die grรถรte Oppositionspartei im Landtag. Neben Sachsen-Anhalt haben schon die Verfassungsschutzรคmter der Lรคnder Thรผringen, und Brandenburg die jeweiligen Landesverbรคnde der Rechtsauรenpartei als Verdachtsfรคlle eingestuft. Damit verbunden ist die Mรถglichkeit zur รberwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln wie V-Leuten und Observationen.
Die AfD Sachsen-Anhalt hat angekรผndigt, sich gegen die Beobachtung juristisch zur Wehr setzen zu wollen. Am 6. Juni wird in dem Land ein neuer Landtag gewรคhlt.
Einstufung der Gesamtpartei weiter unklar
Die Bundespartei ist einer Verdachtsfalleinstufung durch das Bundesamt fรผr Verfassungsschutz entronnen. Vorerst versteht sich. Laut Medienberichten liegt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ein 1000-seitiges Gutachten vor. Behรถrdenchef Thomas Haldenwang hรคtte die Partei schon in dieser Woche zum โVerdachtsfallโ erklรคren kรถnnen.
Seit 2018 prรผft die Bundesbehรถrde, ob ausreichend Tatsachen vorliegen, die eine Beobachtung der Rechtspopulisten legitimieren kรถnnten. Nach Bekanntwerden der drohenden Einstufung hat die AfD beim Verwaltungsgericht Kรถln Klage erhoben, um mittels Eilverfahren die Einstufung oder zumindest deren รถffentliche Kundgabe zu verhindern.
Die AfD sieht sich im โSuperwahljahr 2021โ in ihrer Chancengleichheit verletzt. Laut Medienberichten soll das Bundesamt zugesichert haben, bis zu einer Entscheidung die Fรผรe stillzuhalten. In Regierungskreisen besteht offenbar Einigkeit, ein politisches Fiasko um jeden Preis vermeiden zu wollen.
AfD wahrt den Schein
Die AfD selbst hatte zuletzt Maรnahmen ergriffen, um die drohende Einstufung als โVerdachtsfallโ abzuwenden. Bundesvorstand Jรถrg Meuthen hatte beim Parteitag im November die โProvokateureโ vom rechten Rand zur โDisziplinโ ermahnt. Der frรผhere Brandenburger Landeschef Andreas Kalbitz wurde aufgrund seiner Verstrickungen zum verbotenen Neonazi-Organ โHeimattreue Deutsche Jugendโ aus der Partei ausgeschlossen.
Der Bundesvorstand bekannte sich Ende November in einem Grundsatzbeschluss zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Am 18. Januar stellte die Partei eine โErklรคrung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identitรคtโ auf ihre Internetseite. Darin bekennt sich die AfD โals Rechtsstaatspartei (โฆ) vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehรถrigkeit besitzen.โ
Allerdings relativieren die Populisten ihren Standpunkt in den folgenden Absรคtzen. โIm Sinne unseres politischen Ziels, dem deutschen Staatsvolk auch eine deutsche kulturelle Identitรคt รผber den Wandel der Zeit zu erhalten, wollen wir die aktuelle Massenzuwanderung, die auf einem Missbrauch der Asylgesetzgebung beruht, beenden. (โฆ) Die Zuwanderung muss nach dem Bedarf des deutschen Staates in quantitativer und qualitativer Hinsicht gesteuert werden und findet ihre Grenze an der Aufnahmefรคhigkeit der deutschen Gesellschaft. Es gibt kein Menschenrecht auf Migration in das Land der eigenen Wahl.โ

Der โFlรผgelโ in der AfD wird bereits als โgesichert rechtsextremistische Bestrebungโ beobachtet. Die Gruppe war im Mรคrz 2015 von dem Thรผringer Landesvorsitzenden Bjรถrn Hรถcke und dem damaligen sachsen-anhaltinischen Landeschef Andrรฉ Poggenburg initiiert worden. Sie vereinte vรถlkisch-nationalistische und offen rechtsextreme Strรถmungen und trug maรgeblich mit zu einer Verschiebung der politischen Ausrichtung der AfD nach Rechtsauรen bei. Anfang 2019 soll die innerparteiliche Unterstรผtzung 40 Prozent betragen haben.
Nachdem das Bundesamt fรผr Verfassungsschutz den Zusammenschluss im Mรคrz 2020 als โgesichert rechtsextremistischโ einstufte, lรถsten Hรถcke und der damalige Brandenburger Funktionรคr Andreas Kalbitz den โFlรผgelโ zum 30. April offiziell auf. Dass die einst im โFlรผgelโ organisierten Mitglieder ihre politischen Aktivitรคten informell fortfรผhren, liegt auf der Hand. Eine Trennung von Hรถcke ist bislang nicht erfolgt.
Der Thรผringer Spitzenfunktionรคr zรคhlt neben anderen Flรผgel-Unterstรผtzern zu den 35 Unterzeichnern der โErklรคrung zum deutschen Staatsvolkโ.
Brisante Entscheidung
Besondere Brisanz erhielte eine Beobachtung durch das Bundesamt aufgrund der Bundestagswahl am 26. September 2021. Auรerdem werden im Laufe des Jahres fรผnf Landtage neu gewรคhlt. In Hessen und Niedersachsen stehen Kommunalwahlen an. Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, der zusammen mit Alice Weidel die Bundestagsfraktion anfรผhrt, hatte bereits im Dezember gegen eine mรถgliche Beobachtung rechtliche Schritte angekรผndigt.
Die Beobachtung durch das Bundesamt kรถnnte auรerdem einen Dominoeffekt zur Folge haben. Die 17 unabhรคngigen Verfassungsschutzbehรถrden und der Militรคrische Abwehrdienst kooperieren im gemeinsamen Verbund. Dem Bundesamt kommt dabei als grรถรter Behรถrde ob ihrer รผberregionalen Ausrichtung eine Leitfunktion zu. Beobachter halten es fรผr wahrscheinlich, dass seine Einschรคtzung der AfD von weiteren Diensten รผbernommen wรผrde.
Sollte das Bundesamt den AfD-Bundesverband zum โVerdachtsfallโ erklรคren, gilt die flรคchendeckende Beobachtung der Partei als wahrscheinlich.
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