In den letzten Jahren erรถffneten deutschlandweit immer mehr Umsonstlรคden, auch in Leipzig. Teilweise in einer Raumnutzungskooperation mit anderen Initiativen, als โ€žGiveboxโ€œ, also einem Schrank oder Regal vor oder in Geschรคften oder Hรคusern, in Leipzig auch gern in Eigeninitiative in der Nachbarschaft. Viele Menschen stellen ungenutzte Dinge in Kisten vor die eigene Haustรผr, sodass sich Vorbeikommende bedienen kรถnnen. In einigen Fรคllen gelingt es Initiativen auch, mithilfe von Fรถrdergeldern und Spenden ein eigenes Lokal anzumieten, meist auch in Verbindung mit Foodsharing. So wie Anfang Dezember 2020 in der Wurzner StraรŸe 58.

Ihren Ursprung haben Umsonstlรคden in einer systemkritischen Bewegung in England um das Jahr 1648, den โ€žDiggersโ€œ (siehe Wikipedia), die bis 1651 รผberall in England Kommunen aufbauten. Sie waren รผberzeugt von einer anderen Gesellschaft, von der Idee des Gemeineigentums, wurden aber bis 1651 endgรผltig zerschlagen.

Auch heute ist die Idee hinter den Umsonstlรคden meist eine antikapitalistische, systemkritische. Den meisten Aktiven geht es nicht vorrangig um die Hilfe fรผr Bedรผrftige, sondern darum, ein Zeichen zu setzen gegen den รœberfluss, die Wegwerfgesellschaft und die Ausbeutung von Natur und Ressourcen. Auch die Ausbeutung von Arbeitskrรคften โ€“ oftmals in Verbindung mit Kinderarbeit โ€“ in sogenannten Drittlรคndern rรผckt immer mehr ins Bewusstsein der Menschen: irgendwo auf der Welt zahlt immer jemand den Preis, den wir hier einsparen.

Oft fรผr Dinge, die wir kaum benutzen, uns aber von der Werbeindustrie haben aufschwatzen lassen. Die neueste Mode, das neueste Handy, die neueste Spielekonsole โ€“ wer nicht zu den Ersten gehรถrt, ist angeblich out. Dass vieles davon ungenutzt im Schrank landet, wรคhrend wir schon lรคngst wieder dem nรคchsten Must-have hinterherjagen, verdrรคngen noch immer viele. In besonders ausgeprรคgten Fรคllen sprechen Psychologen hier lรคngst von Ersatzbefriedigungen.

Wo bleibt das alles?

Laut Statistischem Bundesamt betrug 2019 das Pro-Kopf-Aufkommen an Haushaltsabfรคllen der privaten Haushalte 457 Kilogramm, darunter โ€žHausmรผll (Restmรผll), Bioabfรคlle, Wertstoffe, Sperrmรผll und sonstige Abfรคlle wie beispielsweise Batterien und Farbenโ€œ. Vieles davon landet auf der StraรŸe oder in der Natur, teilweise in groรŸen Mengen auf illegalen โ€žDeponienโ€œ in abgelegenen Gebieten.

Beim Leipziger Frรผhjahrsputz 2019 beispielsweise wurden von Ehrenamtlichen 72,75 Tonnen Abfall gesammelt und an den Eigenbetrieb Stadtreinigung zur Entsorgung รผbergeben. 2020 musste dieser ja coronabedingt leider ausfallen, das dรผrfte die Menge bei der nรคchsten Aktion um einiges erhรถhen.

Und genau da setzt die Idee eines Umsonstladens an. So wie jetzt auch neu in der Wurznerstr. 58, der teilweise auch durch kleine Zufรคlle und ein โ€žhineinschlitternโ€œ entstanden ist und auf seinem Weg bis zur Erรถffnung immer mehr Mitstreiter/-innen gefunden hat.

Anja beim KippenCleanUp. Foto: Privat
Anja beim KippenCleanUp. Foto: Privat

Angefangen hat alles damit, dass Initiatorin Anja eine Absage auf eine Bewerbung bekommen hat und in ihrem Kopf seit der SchlieรŸung des Umsonstladens in der Eisenbahnstr 97 die Idee herumschwirrte, dass so ein Laden im Leipziger Osten dringend wieder gebraucht werde. Zu der Idee kamen natรผrlich die Zweifel. โ€žWie soll ich das alles machen, wie komm ich an einen Raum, finde ich รผberhaupt Mitstreiter/-innen?โ€œ

Dann kam die Bewerbungsabsage und schnell stand fest: โ€žJetzt mach ich das.โ€œ

Zuerst wandte sie sich ans Quartiersmanagement Leipziger Osten und fragte nach, ob es dazu schon Plรคne gibt. Die gab es zwar nicht, die Idee kam aber gut an und damit kam der berรผhmte Stein ins Rollen, mit dem viele gute Projekte anfangen. In diesem Fall mit einer Idee, die sich โ€“ als sie erst einmal ausgeprochen war โ€“ fast schon verselbststรคndigte. Auf ihren Aufruf in einer Telegram-Gruppe meldeten sich noch am selben Tag 20 Menschen, von denen zum ersten Treffen im Februar 2020 dann auch 10 Personen kamen und bis heute dabei sind.

Die ersten Schritte zum Umsonstladen

Schwieriger gestaltete sich da die Suche nach passenden Rรคumen. Es gab weder einen Businessplan noch Jahresabschlรผsse und auch nicht genug Geld, um hohe Kautionen zu zahlen. Die Initiative des Umsonstladens hatte zwar im Sommer beim Sรคchsischen Mitmachfond knapp 5.000 Euro Preisgeld gewonnen, die wรคren dann aber fast komplett fรผr die Kaution draufgegangen.

Und da kamen dann ein paar Zufรคlle ins Spiel. Zufรคllig kam Marlene, eine der Mitstreiterinnen, auf die Idee, mal beim Treffpunkt e.V. nachzufragen, und der nรคchste Zufall war, dass genau einen Tag spรคter genau dort ein Plenum abgehalten wurde, in dem es um eine Zwischennutzungsmรถglichkeit fรผr die Rรคumlichkeiten ging, die coronabedingt momentan nicht genutzt werden kรถnnen. Und so kann der Umsonstladen die Rรคume bis mindestens Ende Mรคrz nutzen, dann muss eine neue Lรถsung her.

Schnell einig waren sich alle beim Konzept. Es sollte bedingungslos sein, das heiรŸt, egal wer kommt, egal wieviel Geld diese Person hat oder nicht, alle sind willkommen. Ohne Zwang etwas mitbringen zu mรผssen und ohne sich dabei wie ein Bittsteller zu fรผhlen.

โ€žIch mรถchte dass die Dinge genommen werden weil sie gebraucht werdenโ€œ, sagt Anja dazu. โ€žNiemand soll sich schlecht fรผhlen weil er/sie gebrauchte Dinge umsonst bekommt, wie es vielleicht bei Kleiderkammern der Fall ist, wo die Bedรผrftigkeit im Vordergrund steht. Egal wieviel ich verdiene: was ich nicht brauche geb ich ab, was ich brauche, nehm ich mit.โ€œ

Im Umsonstladen steht der Student neben dem Bauarbeiter, der Hartz4-Empfรคnger neben dem Banker. Und alle sind gleich. Menschen, die mit viel Aufwand produzierte Dinge davor retten, in gutem Zustand im Mรผll zu landen.โ€žEs geht nicht darum, etwas mitzunehmen weil man es sich nicht leisten kann, etwas neu zu kaufen, sondern darum, es nicht neu kaufen zu wollen, und damit Ressourcen schont, die sonst fรผr neue Dinge verbraucht werden.โ€œ

Neue Rรคume im Leipziger Osten gesucht

Die Standortfrage war auch schnell klar, da viele Beteiligte selbst im Leipziger Osten wohnen. Auch die neuen Rรคume sollten mรถglichst dort zu finden sein, was nicht ganz einfach wird, die oben beschriebenen Probleme sind nach wie vor aktuell und durch die Zwischenlรถsung mit dem Treffpunkt e.V. nur verschoben.

โ€žIdeal wรคre ein Ladenlokal von der GrรถรŸe ab 80 bis 100 Quadratmeter, damit es nicht zu vollgestopft und unordentlich wirkt, schlieรŸlich wollen wir andere ja von unserer Idee begeistern.โ€œ antwortet Anja auf die Frage nach dem zukรผnftigen Wunschobjekt.

โ€žAuf jeden Fall sollte man eine Kรผche einbauen kรถnnen, da wir dann auch Kรผfas aus geretteten Lebensmitteln anbieten wollen. Auch kleinere separate Rรคume neben dem groรŸen Ladenlokal wรคren toll, wir wรผrden gern in Zukunft Workshops wie Nรคhkurse und รคhnliches anbieten, damit man auch kaputte Kleidung nicht sofort wegwirft sondern flickt oder umnรคht zu einem neuen Kleidungsstรผck. Und natรผrlich wรคre ein Lager ideal, damit wir auch Sachen einlagern kรถnnen, die wir nicht sofort anbieten kรถnnen. Damit nichts abgelehnt werden muss, das dann eventuell doch noch im Mรผll landet.โ€œ

Ideen gibt es viele, auch Kooperationsgesprรคche mit anderen Initiativen sind geplant, um sich zu vernetzten oder zusammenzuarbeiten oder sich auch einfach nur auszutauschen, was man von den anderen lernen und eventuell รผbernehmen kann. Was davon tatsรคchlich umgesetzt werden kann hรคngt dann natรผrlich in erster Linie von der neuen RaumgrรถรŸe ab.

Aber auch die Finanzierung spielt eine groรŸe Rolle. Fรถrdergelder bekommt der Umsonstladen derzeit nicht, weshalb private Stiftungen und Dauerspender, sogenannte โ€žMietpat/innenโ€œ, natรผrlich wichtig wรคren. Dazu wird derzeit intensiv an einer Vereinsgrรผndung gearbeitet.

โ€žGeld brauchen wir ja fast ausschlieรŸlich fรผr Miete und Unterhaltungskosten, alles andere wie Einrichtungsgegenstรคnde oder sonstiges organisieren wir รผber Verschenkegruppen und Sachspenden.โ€œ Was natรผrlich auch der Philosophie der Gruppe entspricht, die auch Mรถbel lieber rettet als kauft.

Dass der Laden nach nur einer Woche ausgerechnet im Weihnachtsgeschenke-Monat wegen der Corona-Regeln direkt wieder schlieรŸen musste ist natรผrlich schade, sowohl fรผr die Mitstreiter/-innen als auch die Kunden, die am letzten ร–ffnungstag noch lange angestanden haben, um vor der SchlieรŸung noch mal zu stรถbern.

โ€žWir hรคtten natรผrlich gerade im Dezember gerne viele Menschen davon abgehalten, ihre Weihnachtsgeschenke neu zu kaufenbzw. bei groรŸen Versandhรคusern zu bestellen ,โ€œ sagt Anja dazu, โ€žAber wir waren froh, dass wir รผberhaupt erst einmal รถffnen konnten und der Laden so gut angenommen wurde. Alle hatten SpaรŸ und es gab keine Probleme, weder bei der Einhaltung der Hygieneregeln noch beim Umgang untereinander. Alle wirkten froh, dass es uns gibt.โ€œ

Der neue Umsonstladen reiht sich in Leipzig natรผrlich ein in eine Vielzahl von solidarischen Projekten, von Solawis รผber Foodsharing bis hin zu Repair-Cafรฉs und Tauschbรถrsen. Aber gibt es vielleicht etwas, was hier noch fehlt?

โ€žEin Foodsharing-Cafรฉ wie die Raupe Immersatt in Stuttgart, das wรคr toll. Ein Cafรฉ nur mit geretteten Lebensmitteln, das fehlt hier wirklich nochโ€œ, so Anja.

Wer weiรŸ? Vielleicht lรคsst sich ja der Eine oder die Andere von Anja und ihren Mitstreiter/innen inspirieren und traut sich. Wie man sieht: Manchmal muss man einfach nur anfangen.

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Marlene รผber den Umsonstladen

Video: L-IZ.de

Engagement fรผr eine zukunftsfรคhige Stadt: Vier Initiativen und Organisationen im Videoclip vorgestellt

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