LEIPZIGER ZEITUNG/ Auszug Ausgabe 86, ab 18. Dezember 2020 im HandelPandemiegegner rufen im Internet für diesen Samstag erneut zu Protesten in der Innenstadt auf. Die Organisatoren, die bis Redaktionsschluss auf eine Anmeldung ihres „Happenings“ verzichteten, erhoffen sich die Teilnahme tausender Corona-Kritiker. Wie schon am 21. November erscheint eine Teilnehmerzahl im unteren vierstelligen Bereich realistisch. Die Stadtverwaltung hat am Mittwoch vorsorglich alle unangemeldeten Versammlungen per Allgemeinverfügung untersagt. Kommen wollen einige sogenannte „Querdenker“ dennoch.
Am Dienstagabend trat ein, was Politiker seit Monaten parteiübergreifend mit immer neuen Schutzmaßnahmen zu verhindern versuchten. Dr. Mathias Mengel, Ärztlicher Direktor des Klinikum Oberlausitzer Bergland gGmbH, bestätigte in einem Videoforum, dass im Krankenhaus Zittau aufgrund fehlender Beatmungsbetten mehrfach triagiert werden musste.
Bei der Triage entscheiden die Ärzte nach medizinischen und ethischen Kriterien, welche Patienten versorgt werden können und welche ihrem Schicksal überlassen werden. Einem Medienbericht zufolge hatte die Klinik infolge der Triage schon Todesfälle zu verzeichnen.
Vor diesen Hintergrund wirkt es seltsam, dass manche Menschen noch immer die schweren Folgen des Coronavirus für das Gesundheitssystem leugnen und die getroffenen Maßnahmen rigoros ablehnen. Dass selbst ausdrückliche Verbote selbsternannte Querdenker nicht vom Kommen abhalten, zeigte sich vergangenen Samstag in Dresden. In der Landeshauptstadt hatte die Initiative „Querdenken 351“ zu einer Kundgebung auf der Cockerwiese aufgerufen. Die Stadtverwaltung verbot die rituelle Zusammenkunft zum Gruppenkuscheln ohne Schutzmaske.
Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Untersagung wie bereits zuvor am 05.12. in Bremen. Trotz alledem machten sich hunderte Realitätsverweigerer auf den Weg in die Landeshauptstadt. Die Polizei, die mit 1.960 Beamten im Einsatz war, erteilte im Verlauf des Einsatzes 161 Platzverweise. Weiterhin fertigten sie 296 Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten – im Gros wegen Corona-Verstößen. Die Beamten stellten 25 Strafanzeigen. 72 Personen landeten vorübergehend im Gewahrsam.
Corona-Proteste in Leipzig
Ein ähnliches Geschehen, wie am 12.12.2020 in Dresden, ist am Samstag auch in Leipzig zu erwarten. Der Lockdown hält die Pandemieleugner nicht davon ab, in sozialen Netzwerken weiter zu einer Demo über den Innenstadtring mit anschließendem Sternmarsch ins Stadtzentrum zu mobilisieren. In einer Telegram-Gruppe behaupten sie, niemand habe die Absicht, eine unangemeldete Versammlung abhalten zu wollen. Wer sich in deutscher Zeitgeschichte auskennt, vermag derlei Bekundungen treffsicher als Bezug zu Walter Ulbrichts Mauerbau in der DDR einzuordnen.
Die Stadtverwaltung hat den Hygienekritikern deshalb in ihrer Allgemeinverfügung eine Deadline gesetzt. Dort heißt es wörtlich: „Im Stadtgebiet der Stadt Leipzig ist es jedermann untersagt, am 19.12.2020 öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel zu veranstalten oder daran teilzunehmen, welche nicht bis zum 17.12.2020, 12:00 Uhr schriftlich bei der Versammlungsbehörde angezeigt wurden.“
Mit anderen Worten: Entweder ihr meldet euch an und fügt euch dem Auflagenbescheid. Oder ihr versammelt euch illegal und müsst mit den Konsequenzen leben. (Hinweis d. Red.: Mit Stand 17.12.2020, 12 Uhr lag der Stadt Leipzig keine Anmeldung vor)
Die Polizei hat nicht nur das Recht, sondern ist sogar in der Pflicht, verbotene Versammlungen aufzulösen. Wenn es sein muss, auch mit Wasserwerfer und Schlagstock. Gut möglich, dass der eine oder andere Querdenker die Nacht zum Sonntag in einer Gewahrsamszelle verbringen wird. Dies nicht etwa, weil aus der Bundesrepublik Deutschland binnen weniger Tage eine Corona-Diktatur geworden ist. Sondern weil die staatlichen Institutionen sogar in Krisenzeiten wunderbar funktionieren und geltendes Recht in die Praxis umsetzen.
Findige Pandemieleugner suchen deswegen nach Schlupflöchern, um die Corona-Verordnung des Freistaats zu umschiffen. Die ansonsten sehr heterogenen Kreise sind sich einig, am Samstag das Gesetz brechen zu wollen. Die Veranstalter geben Verhaltenstipps. „Seid möglichst inkognito und unauffällig und habt Erklärungen parat, falls jemand indiskrete Fragen stellen sollte.“
Im Netz macht der Aufruf zu einem gemeinsamen Sportfest die Runde. Busreisende sollen gezielt „Gegenveranstaltungen“ anmelden, wohl in der Hoffnung, nicht bei der Anreise gestoppt zu werden. Von einer „Reptiloidentaktik“ ist die Rede. „Also vielleicht irgendwas mit ,Alerta‘ rufen, wenn die Ordnungshüter den Bus betreten und schon sollte einer Weiterfahrt nichts mehr im Wege stehen! ;-)“
Im Dunkeln bleibt vorerst, wer den Protest überhaupt organisiert. Beobachter sprechen von einem losen Netzwerk aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt mit klaren Bezügen zum Rechtsextremismus.
Anmelder der stationären Kundgebung am 21. November auf dem Kurt-Masur-Platz war ein rechtsextremer Liedermacher. Nachdem ihm die Polizei vor Ort mitteilte, sein Attest nicht anzuerkennen und seine Maskenlosigkeit nicht zu dulden, verlor der Mann die Lust und sagte die Veranstaltung kurzfristig ab. Zu dem Zeitpunkt hatten sich bereits rund 500 Personen an der Örtlichkeit versammelt und auf den Beginn der Veranstaltung gewartet und waren anschließend zu einem unkontrollierten Marsch durch Leipzigs Innenstadt aufgebrochen.
Der Aufruf für den 19. Dezember wird auf diversen Internetkanälen geteilt. Darunter sind jene von offen rechtsextremen Gruppen wie die Facebookseite der Initiative „Wir für Leipzig“, hinter der ein ehemaliger NPD-Funktionär stecken soll.
Querdenken-Gründer Michael Ballweg ging schon zu den Geschehnissen am 21. November auf Distanz. Grund könnte die starke Beteiligung rechtsextremer Akteure gewesen sein. „Querdenken“ selbst wird seit kurzem durch den Verfassungsschutz beobachtet.
Die L-IZ.de wird am 19.12.2020 wie gewohnt live berichten.
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