LEIPZIGER ZEITUNG/ Auszug Ausgabe 86, seit 18. Dezember 2020 im HandelIch überlege, warum mich das Wort „Träume“ so stört. Vielleicht weil es zu lieb klingt, oder zu naiv. Zu wenig nach Pragmatismus und zu wenig nach der Unbequemlichkeit, die Veränderungen nun mal anfangs mit sich bringen.
Ich denke, Träume dürfen unbequem sein. Und unbequem eben ist erst mal alles, was anders ist.
Mit der Verschenkekiste haben sich einige Leute zusammengefunden, denen dieses Andersmachen sehr am Herzen liegt. Wir haben sicherlich alle unterschiedliche Gründe und Motivationen, aber wir kritisieren eher selten den Status quo. Vielmehr haben wir unser Ziel vor Augen, worum es uns geht.
Die Idee hinter der Verschenkekiste ist ein Umsonstladen im Leipziger Osten. Das Konzept eines Umsonstladens dürfte klar sein, man nimmt Dinge mit und muss nichts zahlen. Man kann Sachen bringen, muss aber nicht.
Wie „anders“ das ist, fiel mir erst so richtig auf, als Kund/-innen immer wieder von ihrem Unwohlsein und ihrem schlechten Gewissen sprachen, Dinge „einfach so“ mitzunehmen. Es ist doch absurd, die Untrennbarkeit von Geld und dem Wert einer Sache.
Wir versuchen eher, in „Nützlichkeit“ eines Dings zu denken, wir konzentrieren uns aufs Teilen, aufs Weitergeben, aufs Miteinander. Und hier kommt eben genannter Pragmatismus ins Spiel. Die Idee kann gut sein, aber sie muss funktionieren und unaufwendig sein, damit sie sich bewähren kann. Und das tut so ein Laden eben. Weil er sich in die gewohnte Form mogelt und die Menschen nicht überfordert (vielleicht mal kurz).
Dass dieses „Anders“ nicht nur in unserer kleinen bunten Welt funktioniert, sondern dass es eine tatsächliche, reale, gute Sache ist, das merken wir daran, dass wir vom Sächsischen Mitmachfonds und vom Quartiermeister gefördert werden. So finanzieren wir momentan unsere Miete (Hallo Pragmatismus!).
Die Verschenkekiste ist momentan zur Untermiete in den Räumen des Treffpunkt e. V. in der Wurzner Straße 58. Eine langfristige, dauerhafte Raumlösung suchen wir noch, ebenso wie ggfs. Mietpaten, die sich an unserem Projekt beteiligen möchten.
Das Andersmachen ist in meinem Leben gar nicht vordergründig das Ziel, es hat sich mehr so ergeben. Ich habe mir lange nicht bewusst „Konsumkritik“ auf mein Schild geschrieben oder all die anderen schweren Dinge, über die man mit Recht wütend sein kann (und sollte!). Ich habe mich mehr aus praktischen Gründen immer mehr abgewandt von der Konsumkultur, wie sie der breiten Masse verfügbar gemacht werden soll. Neu und billig, schnell zu haben, jeder für sich.
Ich habe nie so richtig darüber nachgedacht, aber gelebt habe ich schon lange anders.
Es geht auch nicht um die Ablehnung des Vorhandenseins von Geld, es geht mir eher um ein Verständnis dafür, es als Mittel zum Zweck zu gebrauchen. Und der Zweck ist mir eben wichtig, nicht das Mittel. Und jener Zweck ist in meinem Leben selten besonders hochglanzpoliert, strassbesetzt oder blinkt bunt. Es sind eben meistens keine Dinge.
Aber da es nicht ohne Dinge geht und Dinge eben auch einfach Spaß machen, wollen wir diese verfügbar machen. Wir wollen eine Kreislaufwirtschaft, die möglichst viele Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen ohne Schwellen integriert.
Unser Laden sieht jeden Tag anders aus, er lebt nämlich letztendlich durch die Menschen, nicht so sehr durch die Dinge.
Dieses „Anders“ ist nur kurz unbequem, dieses „Anders“ öffnet ganz schnell eine Welt, in der es Möglichkeiten gibt, die man nicht so vor Augen hatte. So ging es mir, so wird es vielen gehen. Wir freuen uns, wenn wir jedem Menschen diesen Blick in diese Andersartigkeit nahebringen können, ohne Zeigefinger, ohne Protestschild, sondern mit neuen bunt blinkenden Sneakers, einem hochglanzpolierten Wasserkocher oder einem Paar strassbesetzten Taucherflossen aus unserer Verschenkekiste.
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Frohe Weihnacht mit der neuen „Leipziger Zeitung“ oder: Träume sind dazu da, sie mit Leben zu erfüllen
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