LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 85, seit 20. November im Handel„Über die geschlechtliche Identität eines Menschen kann niemand besser urteilen als dieser Mensch selbst.“ Jens Brandenburg, der Sprecher für LSBTI der FDP-Bundestagsfraktion, fasste mit diesem Satz die Lösung eines Kampfes zusammen, der seit Verabschiedung des Transsexuellengesetzes (TSG) 1980 ausgefochten wird. Galt das Gesetz damals als modern, wurde es seit jeher immer wieder als diskriminierend kritisiert.
Diese Kritik führte zu einigen Änderungen: 2009 wurde die Regelung aufgehoben, dass Menschen, die ihren Personenstand ändern wollten, sich zwangsweise von ihrem/-r Ehepartner/-in scheiden lassen mussten. 2011 wurde auch die für eine Personenstandsänderung notwendige Operation abgeschafft. Seit 2014 tagt eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung, die 2017, nach der Klärung aller wesentlichen Fragen für eine Reform des Transsexuellengesetzes, einen Antrag an den Bundesrat stellte.
Darin wurde dieser aufgefordert, einen Entwurf für ein „Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung“ vorzulegen. Dieses sollte neben den Geschlechtskategorien Mann und Frau andere Geschlechtsidentitäten mit einbeziehen und vor allem die stark kritisierte Begutachtungspflicht abschaffen, die zwei Sachverständigengutachten zur Änderung des Vornamens und Personenstandes fordert.
Nachdem die Reform 2019 verabschiedet wurde, fiel die Enttäuschung seitens der Opposition und der Trans-Community groß aus. Aus einer Begutachtung wurde eine verpflichtende Beratung, die nun auch noch die Befragung der Ehepartner/-innen zum Geschlecht des Antragstellenden einbezog.
Anfragen von Sarah Buddeberg (Linke) und Katja Meier (Grüne) an den Präsidenten des Sächsischen Landtages, Matthias Rößler (CDU), zeigten für die Handhabung des Transsexuellengesetzes am Amtsgericht Leipzig Besonderheiten auf, die für Empörung sorgten.
So wurde in elf von 57 Anträgen auf Vornamensänderung und Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in den Jahren 2016 und 2017 ein drittes Gutachten gefordert – und zwar noch vor Verfahrenseröffnung und damit Sichtung der zwei erforderlichen Sachverständigengutachten, die mithilfe der Expertenmeinungen der begutachtenden Psycholog/-innen und Psychater/-innen klären sollen, ob ein Mensch wirklich dem beantragten Geschlecht angehöre. Zudem mussten drei Antragsteller/-innen die Kosten des zusätzlichen, mitunter sehr teuren Gutachtens selbst tragen. Diese Praxis ist einmalig.
Bis zum 30. September sind dieses Jahr 36 Anträge nach dem Transsexuellengesetz am Amtsgericht Leipzig anhängig gemacht worden. Auf Anfrage der „Leipziger Zeitung (LZ)“ erklärte Michael Wolting, Präsident des Amtsgerichtes, dass in keinem dieser Fälle ein weiteres Gutachten gefordert wurde.
Jedoch machte er deutlich, dass die Praxis der Einholung zusätzlicher Gutachten damit nicht abgeschafft ist: „Es ist für manche Betrachter offensichtlich kaum zu verstehen oder gar zu akzeptieren, dass es in allen Verfahrensarten und damit auch in TSG-Sachen, Probleme mit der Klärung des Sachverhalts geben kann, ohne dass dem Diskriminierung zugrunde liegt.“ Das prozessuale Verhalten der Richter/-innen würde sich aufgrund der Kritik nicht ändern, so Wolting: „Wer allerdings möchte, dass die Justiz dieses Landes so funktioniert, dass ein Gerichtspräsident dort eingreift, sollte das offen sagen.“
2017 kritisierte Katja Meier (Grüne), damals gleichstellungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Landtag, das Transsexuellengesetz und die Handhabung am Amtsgericht Leipzig: „Justizminister Gemkow und das Amtsgericht Leipzig müssen unverzüglich einschreiten. Ein Richter, der durch sein Handeln den Eindruck entstehen lässt, über das Schicksal von Transsexuellen nicht vorurteilsfrei zu entscheiden, ist offensichtlich für diese Verfahren nicht geeignet.“
Auch in den folgenden Jahren machte die Abgeordnete immer wieder auf das Thema aufmerksam – so auch im Mai 2019: „Die sächsische Staatsregierung übt sich bei zentralen Vorhaben im Verweis auf die Verantwortung der Bundesebene und Aushaltetaktik. Die Betroffenen werden im Warteraum für längst überfällige Schritte sitzengelassen. Für uns ist aber klar: Der Schutz vor Diskriminierung kann nicht warten.“
Seit Dezember 2019 ist Meier sächsische Staatsministerin der Justiz, Demokratie, Europa und Gleichstellung. Auf Anfrage der „Leipziger Zeitung (LZ)“, welche Maßnahmen sie nun ergriffen habe, nachdem sie ihren Vorgänger Sebastian Gemkow (CDU) im Umgang mit dem Transsexuellengesetz stark kritisiert hatte, verwies ihr Pressesprecher darauf, dass die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liege und die Richter/-innen unabhängig seien.
Selbstverständlich unterstütze Meier die Initiative der Grünen, die das Transsexuellengesetz abschaffen möchten, jedoch sind ihr durch die vorgeschriebene Gewaltenteilung die Hände gebunden und sie könne wie ihr Vorgänger wenig an der TSG-Praxis des Amtsgerichtes Leipzig ändern: „Bei solchen Themen steht Abgeordneten ein weiter Ermessensspielraum zu, den Ministerinnen und Minister nicht besitzen.“
Jedoch hat sich Katja Meier als Justiz- und Gleichstellungsministerin der Thematik der Transgender-Community allgemein angenommen und eine neue Abteilung im Ministerium ins Leben gerufen, die sich insbesondere mit Gleichstellungs- und auch Transgenderthemen beschäftigt.
Besagte Gesetzesentwürfe der Grünen zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und zur Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes sowie der Entwurf der FDP und der linke Antrag „Fremdbestimmte Operationen an trans- und intergeschlechtlichen Menschen – Aufarbeiten, Entschuldigen und Entschädigen“ wurden am 2. November im Innenausschuss diskutiert. Die Opposition, Katja Meier und vor allem die Trans-Community setzen große Hoffnungen in die Ergebnisse dieser Anhörung.
Transsexuellengesetz: 40 Jahre fremdbestimmt
Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit
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