LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 85, seit 20. November im Handel31 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder. Fabian Schmidt ist einer von vielen Gastronomen, die mit dem erneuten Lockdown an den Rand ihrer wirtschaftlichen Existenz gedrängt wurden. Als Miteigentümer des erst seit einem Jahr bestehenden Gasthauses Mr. F&F in Jesewitz geht Schmidt juristisch gegen die Einschränkungen vor.
Sie wollen die Rechtmäßigkeit des Lockdowns beim Oberlandesgericht Dresden prüfen lassen. Auf welche Basis stützt sich Ihre Annahme, dass die Einschränkungen im kulturellen und gastronomischen Bereich nicht verfassungskonform sind?
Nun, in erster Linie war es ein Bauchgefühl. Nach zahlreichen Gesprächen mit Bekannten und Freunden aus und um die Szene, begann ich mich mit den Zahlen und der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen zu beschäftigen. Ich stütze mich hierbei auf die evidenten Zahlen, die unter anderem vom RKI selbst und der Dehoga bezüglich dieses Themas herausgegeben wurden.
In Rücksprache mit unserem Anwalt David Wirth gehen wir den Weg des Normenkontrollantrags und fechten einige Paragraphen der Sächsischen Corona-Schutzverordnung und die bundesweiten Lockdown-Beschränkungen für Gastronomie und Veranstaltungsbranche an. Berufsfreiheit und damit Berufsausübung sind Grundrechte unserer Demokratie.
Wie gehen Sie bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit genau vor? Welche Akteur/-innen spielen eine Rolle in dem Prozedere?
Die Prüfung und Klage gegen den Freistaat Sachsen erfolgen über den Antrag unseres Rechtsanwaltes David Wirth und seiner Kanzlei nach unserem Auftrag – so weit zum trockenen Teil. Es spielen bislang unzählige Akteur/-innen eine wichtige Rolle. Einige möchten aktuell nicht genannt werden, da sie größere Häuser in unserer Stadt vertreten. Insgesamt möchten wir 100 Gastronomen und Leute aus der Veranstaltungsbranche für die Klage und die Aufteilung der Prozesskosten mobilisieren.
Auch der Dehoga in Sachsen prüft die rechtlichen Schritte des Lockdowns, während einige andere Landesverbände des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes von Klagen und Prüfungen auf Rechtmäßigkeit der Einschränkungen abraten. Inwiefern erfolgt eine Zusammenarbeit mit dem sächsischen Landesverband in Ihrem Anliegen?
Herr Wirth steht in engem Kontakt mit der Geschäftsführung der Dehoga beziehungsweise deren Vertreter/-innen in diesem Fall. Leider gelange ich immer mehr zu der Erkenntnis, dass der Dehoga vermutlich die Klage nicht durchziehen wird. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und zum Teil nachvollziehbar. Ein Argument für die Unterlassung ist das Interesse einiger Dehoga-Mitglieder an einer Entschädigung seitens des Freistaates, anstelle den Betrieb zeitnah wieder aufnehmen zu können.
Der Bund verspricht die Entschädigung der betroffenen Betriebe, die bis zu 75 Prozent ihres Umsatzes aus dem November 2019 erstattet bekommen sollen. Schätzen Sie diese Maßnahme als ausreichend ein? Welche Maßnahmen hätten Sie sich explizit für die Gastronomie als auch die Kulturbranche gewünscht?
Ich finde diese Maßnahme nicht gut durchdacht. Aber derlei Ideen reihen sich in die teils realitätsfremden Schnellschüsse ohne jedes Augenmaß oder Verständnis für die betroffenen Unternehmen ein. Zum einen wird mit diesen 75 Prozent aus dem November 2019 genau einer der zwei für die Gastronomie und Veranstaltungsbranche schwächsten Monate als Berechnungsgrundlage verwendet.
Zum zweiten holt es nicht alle Gastronomen, unter anderem uns als junges Unternehmen, ab. Man bessert hier seitens der Regierung nach, das muss man ihnen lassen. Aber auch der erneuerte Vorschlag, der auf 75 Prozent des monatlichen Durchschnittsumsatzes abzielt – mit 2020 als Berechnungsgrundlage – ist angesichts des ersten Lockdowns in meinen Augen eher eine Farce für unsere Branche.
Ein Geschäftsjahr, in dem durch staatlich veranlasste Maßnahmen nun bald drei Monate kaum bis keine Einnahmen erzielt werden konnten, als Maßstab zu nehmen, finde ich unverständlich. Für mich sind die 75 Prozent ein lapidares Schweigegeld, wobei ich niemanden verurteile, der sich an diese milde Gabe klammert. Jede/-r muss selbst wissen, wie viel ihm beziehungsweise ihr die geschäftliche Freiheit wert ist.
Welche Maßnahmen haben Gastronomie und Kulturszene nach dem ersten Lockdown getroffen?
Die Gastronomie- und Kulturszene hat sich nach dem ersten Lockdown ausreichend vorbereitet und erfolgreiche Hygienekonzepte umgesetzt. Gewünscht hätte ich mir viel mehr strengere Kontrollen, um schwarze Schafe in den Branchen ausfindig zu machen. Sinnvoll wäre außerdem ein Maßnahmenkatalog, der auf die jeweilige Branche zugeschnitten ist und Problemfelder erkennt.
Laut RKI ist die Teilhabe der Gastronomie bei zwei Prozent des Infektionsgeschehens zu bewerten. Durch die Verschiebung des gesellschaftlichen Lebens von der kontrollierbaren, mit Hygienekonzepten ausgestatteten Öffentlichkeit in den privaten Raum, wird der Lockdown nicht die gewünschten Ergebnisse zeigen. Die Gastronomie ist also zahlenmäßig nicht das Problem der Pandemie, sondern die Lösung.
Was man hätte unterbinden müssen, sind jene Szenen, die sich am 7. November in Leipzig beim Demonstrationsgeschehen zugetragen haben. Während in Restaurants Plexiglasscheiben zwischen Tischen aufgestellt wurden, die bereits zwei Meter voneinander entfernt stehen, Kontaktlisten gepflegt wurden, schmore ich im Home-Office und mache mir Gedanken, ob ich morgen noch meine Miete zahlen kann!
Diese Entscheidungen mit zweierlei Maß lassen mich kopfschüttelnd als Gastronom zurück. Denn am 7. November wurde sehenden Auges ein Superspreader-Event zelebriert. Welches eben jene Nachverfolgbarkeit der Infektionsketten unmöglich macht.
In meinen Augen ist das grob fahrlässig und ein weiterer Schlag seitens der Regierung in das Gesicht der Gastronomie und Veranstaltungsbranche. Genau das ist der nicht kontrollierbare Raum, dem wir als Veranstaltungsorte mit Konzepten gegenüberstehen. Mit dem Tag der Querdenken-Demo in Leipzig rückt ein Ende des Lockdowns in weite Ferne.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass durch die juristische Prüfung des Lockdowns dieser in den Bereichen Gastronomie und Kultur als verfassungswidrig erklärt wird?
Wenn ich mir bereits gefällte Urteile ansehe, wie beispielsweise die teilweise Aufhebung der Maskenpflicht in der Leipziger Innenstadt und das bereits gekippte Beherbungsverbot in einigen Bundesländern, rechne ich uns und unseren Mitstreiter/-innen gute Chancen aus. Auch unser Anwalt rechnet aufgrund der angegebenen Gründe und ähnlichen Klagen aus anderen Bundesländern mit einer Erklärung der Maßnahmen als rechtswidrig.
Mir ist wichtig, dass damit auch ein Weg aufgezeigt wird, der bei künftigen Entscheidungen der Regierung Beachtung finden soll. Es soll nicht länger ein „über uns hinweg“ sein, sondern ein „mit uns da durch“. Ich halte es für essentiell wichtig, Betroffene in Konzeptentwicklung mit einzubeziehen, statt auf einen ganzen Wirtschaftszweig mit dem Finger zu zeigen. Positive Nebeneffekte wären eine höhere Akzeptanz und Verständnis für getroffene Maßnahmen und somit auch eine realitätsnahe Umsetzung.
Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit
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