LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 85, seit 20. November im HandelIm ersten Lockdown der Corona-Pandemie wurden Senioren- und Pflegeheime für die Außenwelt komplett geschlossen. Bewohnerinnen und Bewohner konnten über mehrere Wochen hinweg keinen Besuch empfangen. Selbst engste Angehörige mussten draußen bleiben. Zu dieser Isolation soll es nicht noch einmal kommen. Mit der zweiten Welle der Pandemie haben die Häuser den Kontakt jedoch wieder eingeschränkt.
Ein Interview mit Stefan Eckner, Geschäftsführer der Städtischen Altenpflege (SAH), über die Belastungen für Bewohner, Besucher und Beschäftigte.
Herr Eckner, es muss schwierig sein, die mitunter hochbetagten Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeheime einerseits vor Corona zu schützen und sie andererseits in ihren Freiheiten nicht zu beschneiden. Wie lässt sich dieser Balanceakt bewältigen?
Vor allem mit Augenmaß. Die Selbstbestimmung unserer Bewohnerinnen und Bewohner steht bei unserer gesamten Arbeit immer im Vordergrund. Wir versuchen, eine größtmögliche Freiheit zu erhalten und die Einschränkungen jeweils nur zeitlich befristet an der aktuellen Lage auszurichten. Wir waren eines der ersten Unternehmen, die im Frühsommer wieder die Öffnung der Pflegeeinrichtungen umgesetzt haben.
Wie viele Corona-Fälle gab es bislang in den Städtischen Altenpflegeheimen? Kam es auch unter Mitarbeitern zu Infektionen?
Der überwiegende Teil der Besucherinnen und Besucher verbindet mit dem Coronavirus große Sorgen, handelt sehr besonnen und hält sich an die vorgegebenen Hygienemaßnahmen. Leider erleben wir aber auch vereinzelt Unverständnis und unnötigen Leichtsinn bei unseren Gästen, bei dem teilweise vorsätzlich Hygienemaßnahmen missachtet werden.
In diesen Einzelfällen kam es tatsächlich zu Infektionsgeschehen in unseren Einrichtungen, bei dem sowohl Bewohnerinnen und Bewohner als auch Beschäftigte unserer Einrichtungen gefährdet wurden und erkrankten. Wir konnten die entstandenen Infektionsgeschehen aber sehr schnell identifizieren, eindämmen und gemeinsam mit dem Gesundheitsamt regeln. Dies ist nicht zuletzt eine Leistung, die ich meinen Beschäftigten verdanke, die unermüdlich und hochkonzentriert tätig sind.
Während der ersten Corona-Welle im März und April wurden die Pflegeheime für Besuche komplett geschlossen. Wie bewerten Sie diesen Schritt rückblickend?
Die Situation zu Beginn des Jahres war von sich sehr dynamisch entwickelnden Prozessen geprägt. Die Informationen zum Coronavirus überschlugen sich teilweise stündlich. Ich habe frühzeitig einen Krisenstab gebildet, mit dem ich jeden Morgen die aktuelle Lage aus Sicht aller Unternehmensbereiche besprach.
Wir waren aus meiner Sicht gut auf alle Eventualitäten vorbereitet und verfügten über stichhaltige Konzepte, ausreichend Schutzartikel und Desinfektionsmittel. Eine Infektionswelle in unseren Häusern blieb aus. Nicht alle Pflegeeinrichtungen in Deutschland waren in dieser komfortablen Situation, sodass ich diese politische Entscheidung durchaus nachvollziehen kann.
Die aktuelle Schutzverordnung sieht vor, dass es nicht zu einer vollständigen sozialen Isolation der Betroffenen kommt. Wie viel Kontakt zur Außenwelt ist den Bewohnern erlaubt?
So viel wie möglich, so viel wie nötig. Wir werden die Besuche in unseren Einrichtungen, ebenso wie die Freiheit unserer Bewohnerinnen und Bewohner, diese selbstständig zu verlassen, nicht unterbinden, appellieren aber deutlich dazu, dies auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Jedem muss klar sein, dass wir es alle in der Hand haben, einen weiteren Lockdown oder eine Gefährdung Einzelner zu verhindern.
Welche Einschränkungen müssen Bewohner dennoch hinnehmen?
Zeitliche und örtliche Einschränkungen bei den Besuchen werden uns leider begleiten. Diese gleichen wir aber konstant mit dem aktuellen Infektionsgeschehen ab und versuchen diese immer im Interesse der von uns Versorgten aufzulockern. Eine Umarmung des Angehörigen, das Halten der Hand oder anderer Körperkontakt ist aber leider in Zeiten von Corona und den geltenden Hygienevorschriften nicht umsetzbar. Dies ist meiner Meinung nach die größte Einschränkung, die unsere Bewohnerinnen und Bewohner verkraften müssen.
Auf was müssen sich Besucher einstellen?
Wir haben in den Einrichtungen automatische Temperatursensoren installiert, die eine Messung der Körpertemperatur vornehmen. Darüber hinaus erfassen wir personenbezogene Daten für eine mögliche Rückverfolgung eines Infektionsgeschehens. Dies sind neben den obligatorischen Abstandsregeln, dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und einer Händedesinfektion Maßnahmen, die wir umgesetzt haben. Aktuelle und detaillierte Informationen können Besucherinnen und Besucher immer über unsere Internetseite abrufen oder in den Einrichtungen telefonisch erfragen.
Im Vorgespräch erzählten Sie, dass sich manche Besucher weigerten, Masken zu tragen. Wie gehen Sie und Ihre Mitarbeiter mit Maskenverweigerern um?
Die Einhaltung der Hygieneregeln ist die Grundvoraussetzung für einen Besuch. Wenn sich einzelne Personen nicht an diese halten, versuchen wir dies mit einer mahnenden Ansprache noch einmal zu verdeutlichen. Bei vorsätzlichem Missachten der Regeln werden wir aber konsequent mit einem Hausverbot durchgreifen.
Wie groß ist Ihre Sorge vor einem Corona-Ausbruch in einem Pflegeheim?
Leider ist es keine Frage, ob das Coronavirus in unseren Einrichtungen auftritt, sondern wie wir auf dieses Geschehen reagieren. Rückblickend können wir feststellen, dass unsere Maßnahmen erfolgreich waren und immer dazu führten, dass möglichst keine Infektionen auftreten und schnell bewältigt werden können. Wir müssen aufmerksam bleiben und dürfen hierdurch nicht leichtsinnig werden.
Wie sind Sie auf einen solchen Fall vorbereitet?
Ich vertraue den Fähigkeiten meiner Beschäftigten, sich entwickelnde Situationen wie in der Vergangenheit professionell und besonnen zu lösen. Wir haben frühzeitig sehr umfassende Konzepte ausgearbeitet, die in verschiedenen Szenarien Anwendung finden und auch auf Extremsituationen skalierbar sind. Eine Situation, die uns überfordern könnte, sehe ich aus jetziger Sicht nicht. Während der gesamten Zeit liefen viele Unternehmensprozesse wie Aufnahmen neuer Bewohner, die Umsetzung unserer Digitalisierungsstrategie und vieles mehr unverändert fort.
Wie gut sind die Städtischen Altenpflegeheime mit Masken, Schutzanzügen, Schnelltests und vor allem Pflegekräften ausgestattet?
Wir hatten zu keiner Zeit Engpässe zu verzeichnen. Wir hatten bereits vor der auftretenden Corona-Situation einen guten Lagerbestand an Schutzausrüstung sowie Desinfektionsmittel und haben diesen frühzeitig noch einmal deutlich aufstocken können. Meine Beschäftigten traten der Herausforderung mit vollem Einsatz entgegen, sodass wir in der ersten Welle einen unglaublich niedrigen Krankenstand verzeichnen konnten.
Wie stark belasten die Corona-Auflagen den Arbeitsalltag Ihrer Pflegekräfte?
Die größte Belastung meiner Beschäftigten sind vor allem die immer wiederkehrenden Ermahnungen unserer Besucherinnen und Besucher zur Einhaltung der Hygieneregeln. Da mittlerweile jedem klar sein sollte, dass Abstand zu halten ist und die Maske auch über der Nase getragen werden sollte, entsteht unnötiger Aufwand. Dass wir diese Maßnahmen selbst umsetzen müssen, haben meine Beschäftigen verstanden und akzeptieren dies als notwendiges Übel in der aktuellen Situation.
Wie stellen Sie sicher, dass die Pflege der Bewohner nicht zu kurz kommt?
Die Pflege ist eine Kernkompetenz, die unsere Arbeit auszeichnet und in alle Überlegungen einfließt. Wir stellen fest, dass die Mehrbelastungen wie zum Beispiel durch die Organisation der Besuche in einem ungefähr gleichen Verhältnis steht, wie jetzt ausgesetzte andere pflegefremde Tätigkeiten, sodass der Umfang der Pflege zu keiner Zeit reduziert werden musste.
Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit
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