KommentarNoch nie in meinem Leben habe ich auf engem Raum so viele durchgeknallte, esoterisch verklärte, anarchisch-egoistische Menschen gesehen wie heute auf dem Augustusplatz in Leipzig. Und wem haben die Bürger/-innen Leipzigs das zu verdanken? Natürlich zuerst und vor allem denen, die in der Absicht nach Leipzig gekommen sind, ihre Verschwörungs- und Umsturzphantasien auf die Straße zu tragen. Aber dann auch dem Oberverwaltungsgericht Bautzen, Bautzen übrigens ein Corona Hotspot, dem Leipziger Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal und dem nie um einen markigen Satz verlegenen Innenminister Roland Wöller.
Denn heute Morgen, als das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bautzen bekannt wurde, war klar: Der Leipziger Augustusplatz wird zum Superspreader für das Coronavirus. Genau so kam es: ca. 20.000 Menschen folgten dem Aufruf „Querdenken“ und füllten den Augustusplatz – ohne Mund-Nasen-Schutz, ohne Abstand zu halten. Dennoch wurde die Veranstaltung eröffnet – was natürlich die Versammlungsbehörde hätte verhindern können und müssen.
Doch erst nach drei (!) Stunden wurde dann endlich die Kundgebung durch die Stadt Leipzig beendet. Jeder Restaurant-Betreiber, jeder Veranstalter, jeder Sportvereinsfunktionär, jeder Kinobetreiber muss sich heute verklappst vorgekommen sein: Da dürfen sich 20.000 Menschen auf dem Augustusplatz versammeln und gegen alle Bestimmungen der Corona-Schutzverordnung des Freistaates Sachsen verstoßen, während alle Restaurants seit Montag geschlossen und alle kulturellen Veranstaltungen verboten sind.
Während die Leipziger Versammlungsbehörde in anderen Fällen penibel auf die Einhaltung der Beschränkungsverordnung achtet (da könnte ich jetzt aus den vergangenen Jahren viel erzählen), ließ sie heute fast alles durchgehen – und schließlich konnten/wollten sie und die Polizei nicht verhindern, dass die Teilnehmer/-innen von „Querdenken“ in den Abendstunden um den Ring zogen, obwohl alle Demonstrationszüge untersagt waren.
Man fragt sich: Wie kann es zu diesem Absurdistan kommen? Aber diese Frage soll nicht davon ablenken, dass natürlich die Ursache für diese Situation Menschen sind, für die Rücksichtnahme, Solidarität, Nächstenliebe Fremdwörter sind. Sie treten auf wie die Friedensengel: „Frieden, Freiheit, Liebe“, kapern zusätzlich die „Friedliche Revolution“ – aber wenn sie gefragt werden, warum sie keine Maske tragen, dann antworten sie in krankhafter Egomanie: „Ich weiß sehr wohl, wie ich mich schützen kann … mir geht es nur um meine Gesundheit.“ … oder sie leugnen einfach, dass es am Coronavirus erkrankte Menschen gibt, die auf Intensivstationen liegen … oder sie laufen mit roten Trump-Basecaps herum.
Doch auf der Agenda derer, die „Querdenken“ organisieren, steht noch ganz anderes: rechte Umsturzphantasien. Da will man alle derzeit in Regierungsverantwortung stehenden Politiker/-innen einsperren, die Regierungen stürzen, eine neue Verfassung durch „das Volk“ verabschieden – also das übliche Programm der Rechtsnationalisten, für die zum „Volk“ natürlich nur die gehören, die so denken wie sie selbst – der Nährboden für den gemeinen Rassismus und Fremdenhass. Kein Wunder also, dass im Windschatten davon Rechtsextremisten um Compact, AfD, NPD, Michael Stürzenberger u. a. ihr mieses Geschäft betreiben.
Während sich der Augustusplatz zum Superspreader verwandelte, hetzte der Rassist Michael Stürzenberger stundenlang auf dem Marktplatz gegen Menschen islamischen Glaubens, betrieb irgendeine evangelikale Gruppierung auf dem Burgplatz schmierige Blasphemie und wurden Plakate durch die Stadt getragen wie „Mainstreammedien = Holocaustkomplizen“. Und diese Menschen wollen unsere Demokratie retten? Jeden Tag danke ich dem lieben Gott, dass derzeit niemand von diesen selbst ernannten Rattenfängern irgendwo an verantwortlicher Stelle sitzt.
Aber gleichzeitig bin ich tief beunruhigt darüber, wie hilflos sich heute die staatlichen Institutionen gezeigt haben. Aber leider ist das keine so neue Erfahrung. Umso erfreulicher, dass viele Leipziger Bürger/-innen heute gezeigt haben: Diese Art von Touristen brauchen wir wirklich nicht. Ein solcher Tag möge sich so schnell nicht wiederholen. Bleibt als Trost nur, dass Joe Biden zum Präsidenten der USA gewählt wurde – sicher zum Leidwesen derer, die heute Leipzig, die Stadt der Friedlichen Revolution, besudelt haben.
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Es gibt 7 Kommentare
Was der Saschok vielleicht meinen könnte..
Dürfte auch die interessante Berechnung der 16.000 vom OVG Bautzen (Nicht der Stadt Leipzig!) mit Mindestabstand Erlaubten auf dem Augustusplatz sein.
Ich habe die mal als Punktmasse (ohne Schulterbreite und Bauch) angenommen.
Also nur 1,50 Quadrate (2,25 qm) für jeden.
Dann entsprechen 16.000 Menschen x 2,25 qm einer Fläche von 36.000 qm.
Die Fläche habe ich dann in angehängtem Bild mal eingezeichnet.
Davon abgesehen, dass die Goethestraße und der Georgiring nicht zum Augustusplatz gehören,
für Polizei, Bühne, Absperrung wäre dann auch kein Platz.
Von Bäumen, Grünflächen, Mendebrunnen, Milchtöpfen, Gebäuden, LVB-Anlagen etc. mal abgesehen.
Für notwendige und vom GG gewünschte andere Meinungen aka Gegenprotest wäre dann irgendwie auch kein Platz gewesen, aber ob Richter jetzt mathematisch-geometrische Grundkenntnisse haben, man weiß es nicht..
(Im Einzelhandel werden, denke ich, 6 qm pro Person verlangt..)
Hach Saschok, weil Sie ihren ident. Kommentar nun unter jeden vermeintlich passenden Artikel kleben, wird er auch nicht besser. Nur weil man eine Sache/eine Argumentation oft genug wiederholt, wird sie am Ende dadurch nicht wahrheitsgemäßer. Allein die ersten 3 Zeilen enthalten so viel . . .
“Das Öffnen der Polizeikette nahm den Druck heraus und führte dann, da der Vorplatz des Bahnhofs direkt zum Ring gehörtzum Umlaufen des Ringes.”
“Von Erstürmung des Ringes kann keine Rede sein, da der Vorplatz des Bahnhofs Teil des Ringes ist und der von der Stadt Leipzig geplante Ausgang der Demo war.”
Und am Bahnhof sind dann alle aus Versehen vorbeigelaufen weils so dunkel war? Sorry, aber das ist Quatsch. Gekesselt wurde da auch niemand, im Gegenteil. Ich hab irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft die Polizei die Leute aufgefordert hat endlich weiterzugehen.
Die Stadt hat mit dem Augustusplatz für nur 20 000 Teilnehmer der Querdenkendemo Platz vorgehalten. In unmittelbarer Nähe wurden Gegendemos genehmigt, die die Polizei abschotten musste. Da deutlich mehr an der Querdenkendemo teilnehmen wollten und teilgenommen haben reichte der Platz nicht aus. Gleichzeitig war von der Stadt nur ein Ausgang vom Augustusplatz in Richtung Osthalle Bahnhof vorgesehen. Dort standen Polizeiketten. Die abwandernden Teilnehmer der Querdenkendemo befanden sich im Kessel. Wer diese Situation kennt und dann verbal auf die Polizei eindrischt weil diese dann nicht eingedroschen hat, befindet sich in guter Tradition zu 89, auch wenn man da gar nicht dabei war.Das Öffnen der Polizeikette nahm den Druck heraus und führte dann, da der Vorplatz des Bahnhofs direkt zum Ring gehörtzum Umlaufen des Ringes. Es ist zu befürchten, dass die Koalition in Dresden zerbricht, sofern SPD und Grüne am Fehlverhalten der Polizei festhält und die Stadt Leipzig als Hauptverursacher der chaotischen Zustände nicht erkennen will. Von Erstürmung des Ringes kann keine Rede sein, da der Vorplatz des Bahnhofs Teil des Ringes ist und der von der Stadt Leipzig geplante Ausgang der Demo war.
Doch, kann man, wenn Sie so großen Mist bauen, bis auf die Richter. Und genau das muß jetzt passieren.
Das sind alles Beamte, die kann man nicht rausschmeißen. Die belasten noch in 30 Jahren mit ihren Pensionen die Steuerkassen. Der Leiter der Versammlungsbehörde (das kleinste Rädchen im Getriebe) ist vielleicht kein Beamter. Der wird dann das Bauernopfer.
Der Staat hat sich hier einfach vorführen lassen und den Nazis und deren Mitläufern die Bilder geliefert, welche sie für ihre schäbige Propaganda wollten.
Hier müssen massive personelle Konsequenzen folgen: Innenminister, Polizeipräsident, Leiter der Versammlungsbehörde, Richter am OVG, die sollten (wenn sie Anstand hätten) alle freiwillig ihren Hut nehmen, ansonsten muss man sie halt rausschmeissen.