Das Coronavirus bleibt Teil unseres Alltags – und sollte es eines Tages verschwunden sein, wird der Klimawandel uns neue Viren bescheren (von Dürren, Fluten, Orkanen einmal abgesehen). Darum müssen wir jeden Tag neu lernen, mit dem Virus zu leben. Dazu gehört, dass wir uns nicht länger von Beschönigungen oder Alarmismus, von Coronaleugner/-innen oder Politiker/-innen der harten Hand verunsichern lassen.
Denn wer behauptet, Bill Gates hätte die Pandemie inszeniert, um die totale Kontrolle über die Menschheit zu erlangen, erzählt ähnlichen Unsinn wie derjenige, der mit immer neuen Schreckensszenarien bedenkenlos die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger/-innen einschränkt. Jetzt ist aber das gefragt, was ein Grundanliegen der Demokratie und der christlichen Ethik darstellt: Freiheit und Rücksichtnahme, Eigeninteresse und Nächstenliebe miteinander zu verbinden und in Einklang zu bringen.
Darum: Zwischen alles verbieten (Shutdown) und alles zulassen (Libertinage) gibt es ganz viel Raum für kreatives Denken und verantwortliches Handeln – gerade im Blick auf die Frage, ob in den Städten und Ortschaften in diesem Jahr Weihnachtsmärkte stattfinden können. Klar, dass diese wie in Leipzig nicht so wie bisher durchgeführt werden können: dicht aufgestellte Buden, Menschengedränge, Glühweinduft. Aber wieso soll der Weihnachtsmarkt ausfallen? Weil kein Glühwein ausgeschenkt werden darf?
Wieso ist ein Weihnachtsmarkt ohne Alkohol, mit einem sehr eingeschränktem Getränke- und Speiseangebot, weit auseinandergezogenen Buden und verkürzter Öffnungszeit nicht vorstellbar? Sind wir so auf das Normale festgelegt und phantasielos geworden? Können wir die Coronakrise nicht nutzen, um alte Gewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen und uns zu fragen: Wie können wir in der Advents- und Weihnachtszeit Begegnung, Menschennähe, Anteilnahme, gemeinsames Singen, Feiern, kulturelle Vielfalt gestalten? Absagen, Streichen, Verbieten sind kein Ausdruck von Lebensfreude, sondern eher von verbiesterter Phantasielosigkeit und Angst.
Also ist jetzt angesagt, die Coronakrise zu nutzen für neue Ideen und Formate – in den Städten, auch in den Kirchen. Der umgestaltete Leipziger Wochenmarkt zeigt ja, was möglich ist. Also hoffe ich sehr, dass es ab dem 1. Advent bis einen Tag vor Heiligabend in der Leipziger Innenstadt einen Weihnachtsmarkt gibt mit neuen Akzenten. Dies umso mehr, weil damit zu rechnen ist, dass viele vorweihnachtliche Veranstaltungen für Jung und Alt in geschlossenen Räumen wegen der Infektionsgefahr nicht durchgeführt werden können.
Gerade in einer Krisenzeit wie dieser kann es für viele Menschen sehr hilfreich sein, sich an ein Geschehen zu erinnern, das sich vor über 2000 Jahren in einer Welt abgespielt hat, die aus den Fugen geraten war: die Geburt Jesu in der improvisierten Umgebung eines Stalls von Bethlehem. Sie hat damals tief verunsicherten Menschen in dunkler Zeit Hoffnung vermittelt.
Sie hat so unterschiedliche Menschen wie die Hirten und die Könige zusammengeführt. Sie hat Angst und Furcht vertrieben und verantwortliches Leben ermöglicht – und über 2000 Jahre geholfen, nicht dem Schrecken sondern der Hoffnung, nicht dem Tod sondern dem Leben das letzte Wort zu geben. Darum freue ich mich in diesem Jahr und mitten in der Coronakrise auf neue Erfahrungen mit dem Weihnachtsmarkt.
Gastkommentar von Christian Wolff: Gefährliches Geschwurbel
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