Der Leipziger TV- und Theaterschauspieler und Musiker Thomas Rühmann sagt, er habe sich überreden lassen. Von Konstanze Caysa, Philosophin und auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, was eigentlich Freiheit ist. Kein leichtes Thema und wie zufällig gerät das Gespräch der beiden auch noch in die „Corona-Zeit“, in die Monate begrenzter Freiheiten hinein. In Teil 1 beginnt es mit einem vorsichtigen Herantasten an den Begriff und Leipziger Interpretationen von „Freiheit“ seit 1989.

Ich sitze hier mit Thomas Rühmann und wir haben uns verabredet zu einem Interview über das Thema Freiheit.

Ich habe mich dazu überreden lassen, über dieses schwierige Thema zu sprechen, genau.

Freiheit – Freisein: ein wirklich großes Thema . Ich frage erst einmal so: Was kann man unter Freisein, unter Freiheit verstehen? Ist das etwas Alltägliches? Ist es etwas, das Sie im Alltag erleben? Oder ist es etwas Abstraktes, eine Art Ideal, das man bestenfalls auf der Bühne in einem Shakespeare findet?

Tja, man erlebt es wirklich in verschiedenen Gestaltungen. Ich erinnere mich, dass es vor ein paar Jahren eine Image-Kampagne für Leipzig gab mit der Überschrift „Leipziger Freiheit“. Das fand ich erst einmal gar nicht schlecht, weil ich Leipzig als Stadt sehr schätze, auch das kulturelle Leben – ich fand das gut.

Dann hab ich den Erfinder dieser Kampagne gefragt: Wieso habt ihr das „Leipziger Freiheit“ genannt?“ – „Na, das ist doch ganz klar. Das ist 1989. Wie wir und ihr da auf die Straße gegangen seid und um eure Freiheit gekämpft habt…“

Da war ich irgendwie irritiert und habe geantwortet: Du, wir haben im Herbst `89 nicht von Freiheit gesprochen. Das gab‘s nicht. Dass wir uns die Freiheit erkämpft haben – dieser Begriff „Freiheit“ – der ist von außen auf uns übertragen worden. Das spielte für uns selbst überhaupt keine Rolle. Wir wollten etwas anderes: eine lebendige Gesellschaft, nicht so eine erstarrte. Das hatte erst einmal mit diesem ideologischen Begriff „Freiheit“ – im Sinne von: Der Westen ist die Freiheit und der Osten ist die Unfreiheit – n i c h t s zu tun!

Womit ich viel mehr anfangen kann ist „Freisein“. Das finde ich interessant. Wie sich das auch im eigenen Leben in ganz unterschiedlichen Schattierungen zeigt. Ich würde heute sagen, mit 64, und die meisten reifen Menschen sagen das von sich: ich fühle mich jetzt freier als als junger Mensch.

Warum? Das interessiert mich sehr.

Weil … man hat einfach schon viel erlebt und ist überall durchgekommen. Man hat es irgendwie hingekriegt, und das macht einen selbstbewusster und innerlich frei. So empfinde ich das.

Gab es Situationen, in denen Sie dachten, dass es eben nicht weitergeht – dass das Leben zwischen Freiheit und Notwendigeit, dieses existenzielle Spannungsfeld, das man auch Leben nennt oder Dasein – dass dieses Leben-Feld auf einmal eben nicht mehr „einfach da“ ist? Weil es vielleicht auf einmal irgendwie nicht mehr greifbar, gestaltbar, beherrschbar ist?

Ich meine … haben Sie Stufen überwunden und sind dadurch freier geworden für sich, die fast unbewältigbar waren?

Es gab eine Situation, Mitte der 90er Jahre – ich war viele Jahre am Gorki-Theater in Berlin – da kam der erste West-Intendant. Es hieß, im Prinzip haut der alles raus, was er arbeitsrechtlich entlassen kann. Ich weiß noch, dass ich vor ihm saß und ihn fragte: Werden Sie mich eigentlich im Frühjahr entlassen? Da sagte er: Das k a n n sein. Er war nicht bereit, es gleich zu sagen.

Dann musste ich mit der Situation umgehen. Sechs Jahre nach der Wende aus einem Theater raus, in dem wir auch alle miteinander älter geworden sind, ein paar andere Stücke gemacht haben als zu Ost-Zeiten. Auf einmal rauschte die neue Zeit in dieses Theater und rauschte auch durch mich durch und durch meine Biographie, und ich musste entscheiden: Was machst du jetzt?

Ich war ein bisschen müde vom Stadttheater. Das Gefühl könnte ich sofort reproduzieren. Und ich habe mir gesagt: Theater kenne ich. Ich will in dieses Medium Fernsehen! Ich will das schaffen!

Dann bin ich losgezogen und das war schwer. Ich bin in die Besetzungsbüros, in die Produktionsfirmen und habe mich vorgestellt: Mein Name ist Thomas Rühmann und ich will Arbeit! Ja, diese Tasten zu drücken, die Telefonnummer wählen und diese Wörter sagen – das war hart. Weil man sich als Schauspieler ja nicht anbieten möchte, man möchte…

Künstlerphilosophin, LZ-Autorin, Leipzigerin: Konstanze Caysa. Foto: Privat
Künstlerphilosophin, LZ-Autorin, Leipzigerin: Konstanze Caysa. Foto: Privat

Ja, man möchte geholt werden.

Das ist das Allerbeste.

So, und da gab‘s auch Firmen, die haben gesagt: Ein persönliches Vorstellen ist bei uns n i c h t möglich! Das ist übrigens heute grundsätzlich so. Andere haben gesagt: Natürlich, kommen Sie her! – und waren total nett. Von denen habe ich nie wieder etwas gehört. Und bei manchen hätte ich rausgehen können und mich übergeben– und die haben mich dann als erstes besetzt.

Ich rauschte auf einmal in so eine Welt, die ich nicht kannte und in der ich mich durchsetzen wollte. Das war eine Entscheidung. Es hing auch damit zusammen, dass ich eine Familie hatte, mit zwei Kindern, die mussten durchgebracht werden durch die Zeiten. Die Kenntnisnahme der neuen Gesellschaft setzte eigentlich damit ein: mit einer Art Existenzkampf.

Es ging dann doch erstaunlich schnell. Ich konnte auf einmal von diesem neuen Medium leben und besser als im Theater. Dazu kam, dass ich aus den Ensembles raus war und aus dem Kollektivwesen der DDR, gelandet in einer neuen Gesellschaft und merkte: eigentlich ist es besser für mich.

War das für Sie eine Form von Freiheit? Haben Sie diese Situation als Freiheit wahrgenommen? Ich meine unmittelbar, ganz für sich und nicht die von Außen übergestülpte Indoktrination „Freiheit“? Nicht diese Freiheit, die von außen so genannt wurde, sondern für Sie direkt? Also … eine finanzielle Freiheit, Reisefreiheit oder eben eine Freiheit als Lebensgefühl?

Das hat eine Weile gedauert, bis das Gefühl einsetzte – aber klar: der Begriff „Reisefreiheit“ spukte auch durch den Oktober `89 und das machte man dann auch: Reisen.

Ich empfinde inzwischen diese offene – nein: diese o f f e n e r e Gesellschaft für mich besser. Besser als die geschlossene Gesellschaft der DDR. Und das Leben in den Kollektiven. Das System, das mit dem Westen kam, ist für mein Naturell praktischer. Das eigene Wirtschaften, das eigene Durchkommen, sich auf sich selbst stellen und möglichst n i c h t s erwarten.

Was haben Freunde – natürlich muss Kollektiv nicht gleich Freundschaft bedeuten –, was haben andere Menschen, mit denen man viel zu tun hat und am besten gerne zu tun hat, mit der eigenen Freiheit zu tun?

Ganz viel! Es ist ja auch erst einmal eine abstrakte Gegenüberstellung der beiden Systeme, wenn ich „Kollektiv“ sage. Ich habe natürlich in meinem Leben Gemeinschaften kennengelernt, mit denen ich unter Ostbedingungen enorme Freiheit gelebt habe.

Wir waren beispielsweise ein sehr kreatives Studienjahr an der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin und die ersten, glaube ich, die mit einem Harlekin-Stück im Thespiskarren, einem Theaterwagen, von Mühlhausen nach Eisenach gezogen sind und auf den Angern gespielt haben. Das war Eigeninitiative, natürlich organisiert im Rahmen der Gesetzlichkeiten – ganz logisch, es war ja auch zum Teil Grenzgebiet. Das heißt, es war gut vorbereitet seitens der Hochschule und seitens der Organe in Erfurt, aber es war trotzdem von uns eine eigene Initiative. Im Rahmen der Möglichkeiten.

Ja, und da spielt der Einzelne wieder eine wichtige Rolle, der Einzelne, der das organisiert.

Genau – und das waren wir: sechs, sieben Leute, wir haben noch ein paar dazugeholt und erlebten für anderthalb Wochen ein Höchstmaß an Kunst, an Begegnungen, an Überraschungen. Unter freiem Himmel, unter den Wettern, durch diese Dörfer zu ziehen, die Leute ranzuholen und zu spielen.

Danach sind wir mit dem Hut rumgegangen und saßen später in der Kneipe und haben uns gefreut an unserem selbstbestimmten Künstlerleben.

Informationen über Thomas Rühmann bei Wiki

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