Wir leben im Zeitalter weltlicher Glaubenskriege. Aus Bekenntnisschriften sind Twitter-Nachrichten geworden. Wo früher Parolen erklangen, werden jetzt Schimpfwörter gebrüllt. Und fehlende Masken haben den Rang politischer Symbole erklommen. Nirgends lässt sich das besser ablesen als an Donald Trump. Bei keinem wird die komplexe Gemengelage der Diskurse deutlicher sichtbar als am großen Simplifizierer.

Denn eines steht fest: Auch in den USA herrscht vielerorts Maskenpflicht. Seit letzter Woche gilt sie auch im Weißen Haus. Nur Donald Trump macht nicht mit. Er komme niemandem so nahe, dass eine Maske nötig wäre, hat er erklärt, und damit war das Thema für ihn gegessen. Die Begründung ist natürlich eine glatte Lüge, aber wie bei vielen Lügen steht dahinter ein System, eine Absicht, aber auch die Geschichte spielt eine Rolle, und das Unbewusste ist sowieso immer am Start.

Wobei der vielfach vernommene Verweis auf die Eitelkeit Trumps nur an der Oberfläche des Systems kratzt. Denn Trump verzichtet weniger aus ästhetischen als vielmehr aus politischen Gründen auf sie. Denn eine Maske zu tragen, hieße zuzugeben, dass einen das Virus befallen kann, dass sogar der große amerikanische Präsident vor dem kleinen chinesischen Virus eingeknickt ist.

Dazu passt, dass in den USA vor allem weiße Männer – und unter ihnen vor allem die Anhänger der Republikaner – auf das Tragen von Masken verzichten. Die Masken, so weissagen diese Männer, verbreiten Angst und Panik in der Bevölkerung. Außerdem seien sie ein Zeichen von Schwäche und ein Ausdruck dafür, dass die Leute mundtot gemacht werden sollen. Die Maske als Zeichen von Männlichkeit, auch und gerade wenn es eine toxische Männlichkeit ist – damit ist man(n) schon ziemlich nahe bei Trump.

Und beim alltäglichen Rassismus in den USA, denn inzwischen gibt es zahlreiche Berichte, dass die Polizei auf der Straße vermehrt schwarze Männer kontrolliert, die eine Maske tragen. Ganz anders dagegen der Umgang mit Weißen: Die können sich frei bewegen und – ohne Maske, dafür mit Sturmgewehr in der Hand – sogar ins Parlament von Michigan einmarschieren, um gegen die Corona-Auflagen der dortigen Gouverneurin zu protestieren. Wäre diese (Macht-)Demonstration von einer Gruppe bewaffneter Schwarzer durchgeführt worden, hätte die Polizei gewiss anders reagiert.

Dann hätte es ein Blutbad unter den Schwarzen statt freies Geleit für die Weißen gegeben. Wobei die maskenlosen weißen Männer noch von dem Umstand bestärkt werden, dass sich überproportional viele Afroamerikaner und Hispanics mit dem Virus angesteckt haben. Die dahinterliegenden Gründe (kontaktintensive Jobs, Armut, räumliche Enge, schlechte Gesundheitsversorgung usw.) werden dabei vollkommen ausgeblendet und die Nicht-Infektion als Ausdruck „weißer Stärke“ interpretiert. Das Virus als großer Naturalisierer.

Auch Trump, so scheint es, fühlt sich unangreifbar, schließlich sind schon einige Leute, die mit ihm zu tun hatten, positiv auf Covid-19 getestet worden, er dagegen hat nichts abbekommen. Das Weglassen der Maske wird somit zum Zeichen und zum Beweis für die eigene Auserwähltheit – und zugleich zu einem Symbol für Selbstvertrauen und Stärke.

Wobei Trump gewiss nicht der erste US-Präsident ist, der versucht, Einschränkungen jedweder Art zu kaschieren. Man denke nur an Roosevelt, der im Rollstuhl saß, in der Öffentlichkeit aber einen ganz anderen Eindruck erweckt hat. Roosevelt wusste um die Wirkung der Bilder und hat dafür gesorgt, dass er auf Fotos und Filmaufnahmen so gut wie nie im Rollstuhl zu sehen ist.

Auch Trump versucht, das Virus mit aller Macht aus der Wahrnehmung zu drängen und sich entsprechend zu verhalten. Seine Maskenlosigkeit ist so gesehen nicht nur ein Zeichen dafür, dass man diese ganze Coronasache nicht so ernst nehmen muss, sondern auch ein Ausdruck seiner generellen Wissenschaftsfeindlichkeit. Sie ist gewissermaßen das Gegenbild zur Wissenschaftsgläubigkeit großer Teile der Linken. Identitätsbildend sind beide.

Trumps Maskenlosigkeit jedenfalls suggeriert, dass die Dinge schon bald wieder ihren gewohnten Gang gehen werden. Während sich bei den „Normalsterblichen“ hinter der Maske nicht nur der Wunsch nach Sicherheit, sondern auch der nach einer Rückkehr zur Normalität verbirgt, ist bei Trump diese Normalität also längst wieder da bzw. nie verloren gegangen. Und die (Selbst-)Sicherheit war auch niemals weg.

Genau das gilt es zu zeigen, das heißt in den ebenso offenen wie offensiven Kampf mit dem Virus zu gehen. Denn ein richtiger Kerl kämpft nun mal mit hochgeklapptem Visier. Und er ermuntert auch andere, es zu tun. Etwa seinen Vize Mike Pence, der ebenfalls auf den Mundschutz verzichtet und sogar in einem Corona-Krankenhaus mit expliziter Maskenpflicht keine getragen hat. Kein Wunder, dass bei einigen öffentlichen Auftritten von Pence die anwesenden Wirtschaftsführer gebeten wurden, ihren Mundschutz abzunehmen, bevor sie zusammen mit dem Vizepräsidenten das Podium betreten.

Aber da ist noch etwas – und dieser Punkt wurde bisher von allen übersehen. Für Donald Trump sind Masken mit der Antifa und anderen linken Gruppen verbunden. Trump hat schon lange vor Corona auf die Masken und Vermummungen verwiesen, die von Teilen der (radikalen) Linken auf Demonstrationen getragen werden. Und die ihm nahestehenden Kreise haben seine Sicht auf die Dinge weiter bestärkt: („Die Sicherheitsbehörden haben mir gesagt: ,Wann immer man eine Maske sieht, sind es professionelle Unruhestifter‘. Sie sind alle maskiert, so viele Menschen mit Masken auf dem Gesicht, sie tragen sie, weil sie von einem zum anderen gehen und agitieren.“ – Donald Trump während einer Wahlkampfrede in Washington D.C. am 29. Mai 2016)

Für Trump ist die Maske ein Zeichen, dass jemand etwas zu verbergen hat, dass er Böses im Schilde führt, das heißt linke Dinger macht. Ohne ihre Masken aber, so Trump, sind diese Leute klein und schwach. („Habt ihr jemals gesehen, was passiert, wenn die Antifa ihre Masken abnimmt. Dann kommen kleine Jungs zum Vorschein – Jungs, die aussehen, als würden sie noch zu Hause bei Mami und Papi wohnen.“ – Trump während einer Kundgebung in Springfield/Missouri am 21. September 2018)

Im Grunde finden sich bereits hier, lange vor Corona, die zentralen Stränge jener Debatte vereint, die jetzt mit dem Blick auf das Virus geführt wird: Maskenfreiheit als Zeichen von echter Männlichkeit und rechtem Handeln, von Stärke und Angstlosigkeit. Dagegen sind diejenigen, die Masken tragen, feige und schwach und fügen Amerika Schaden zu, denn sie folgen weder seiner weißen, männlichen Normalität noch dem Trumpeltier an der Spitze, das diese Normalität offen zur Schau stellt.

Alle Auszüge aus dem „Tagebuch eines Hilflosen“.

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