Erneut haben in Leipzig rund 200 Personen gegen die Corona-Maßnahmen protestiert. Auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz waren am Dienstag, den 5. Mai, aber auch etwa 50 Menschen, die das Geschehen kritisch begleiteten und teilweise mit Rufen auf die Reden reagierten. Für die kommenden Kundgebungen zeichnet sich damit eine zunehmende Konfrontation ab.
Am fünften Tag in Folge gab es in Leipzig einen Protest gegen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Etwa 200 Menschen versammelten sich am Dienstag, den 5. Mai, auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. In den Tagen zuvor hatte es bereits eine „Tanzdemo“, einen „Spaziergang“ und zwei weitere Kundgebungen gegeben.
Die Organisator/-innen der heutigen Kundgebung grenzten sich zu Beginn von „Nicht ohne uns“ und der in Gründung befindlichen Partei „Widerstand 2020“ ab, über deren Mitgliedszahlen längst Zweifel bestehen. Unter diesen Namen laufen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen online und in anderen Städten, die bislang größe bislang wohl in Stuttgart mit 5.000 Teilnehmern laut Veranstalter.
Zudem gibt es eine Organisation namens „Ich bin anderer Meinung“ (IBAM), welche auch bereits in Leipzig beworben wurde, unter welcher sich jene sammeln, welche auf ihrer Webseite die Wirksamkeit von Impfungen generell leugnen. Von dieser Seite aus geht es weiter zu Impfkritik-Portalen, welche es lange vor der Coronakrise gab und wohl auch noch danach geben wird.
Abgrenzungen und alte Bilder
„Wir gehören zu keiner Gruppierung“, sagte eine junge Frau, die heute kurzfristig als Versammlungsleiterin eingesprungen war. Man biete mit dem „offenen Mikrofon“ nur eine Plattform, sei aber nicht für die Inhalte verantwortlich. Was einst bereits bei den 2014 stattfindenden Montagsmahnwachen ebenfalls so im Interesse der Meinungsfreiheit gehandhabt wurde, brachte damals schon teils skurrilste Redebeiträge über Chemtrails, Weltverschwörungen und das geheime Wirken böser Mächte hervor.
Der zum Orgateam gehörende Karsten Wolf – ein nach eigenen Angaben etwa 50-jähriger Kerzenmacher aus Leipzig – hielt zum Einstieg die längste, spirituelle und kapitalismuskritische Rede. Er sagte, dass die Wirtschaft darauf ausgerichtet werden müsse, nur noch das Notwendige zu produzieren. „Alle müssen ein Recht auf ein gutes Leben haben.“ Dabei nahm er Rückgriffe auf die friedliche Revolution 1989, welche er als 19-Jähriger in Kirchenkreisen miterlebt habe.
Mit dem Wegfall des moralischen Wettbewerbes zwischen Sozialismus und Kapitalismus habe sich jedoch eine Gesellschaft herausgebildet, die – sinngemäß – den Menschen nicht mehr im Zentrum sieht.
Der gesamte Mitschnitt der Versammlung / Redebeiträge am 5. Mai 2020
Video: L-IZ.de
Vielleicht der substantiellste Beitrag des frühen Abends, der gleichzeitig den Willen der Veranstalter zeigte, Kritik an einer Stelle zu üben, wo man leicht Anschlusspunkte zu diversen Umwelt- und Klimaschutzbewegungen wie Fridays for Future und anderen finden könnte. Wenn da nicht die anschließende Leugnung dessen wäre, was seit gut zwei Monaten die Welt in Atem hält.
Coronavirus angeblich ungefährlich
Andere Redner/-innen hingegen behaupteten erneut, dass das Coronavirus ungefährlich und Deutschland (trotz der von noch immer vielen als sehr schnell empfundenen Lockerungen) aktuell eine „Corona-Diktatur“ sei. Dass es jedoch einigen gar nicht um die konkreten Maßnahmen oder einzelne Regelungen geht, folgte: Seit Jahrzehnten gebe es hier keine Meinungsfreiheit mehr, hieß es weiter. Zudem fielen mal wieder die Namen bekannter jüdischer Familien, hier also Zuweisungen, wie sie seit Jahren in rechtsextremen Kreisen kursieren, am offenen Mikrofon.
Da es auch heute wieder Applaus bei diesen und anderen teilweise widersinnigsten Behauptungen gab (ein bereits öfter aufgetretener Redner wies unter Kopfschütteln des Orgateams falscherweise die gesamte Veranstaltung als eine der Kirche aus), blieb die Frage, ob der Beifall dem Mut vor anderen zu sprechen galt oder Zustimmung zu allem Gesagten bedeutete.
Die immergleiche Leier
Auf am Boden liegenden Schildern war unter anderem von „gleichgeschalteten Medien“ die Rede. Dazu hatte der Veranstalter der Versammlung nichts zu sagen, auch diese niedergelegte Aussage blieb unwidersprochen. Angesichts der mittlerweile unzähligen Netzmedien neben den privaten (Print)Zeitungsverlagen und auch dem pluralen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein weitgehend hohler Running-Gag; vor allem und gern genutzt in nationalistischen und rechtsradikalen Kreisen.
Und spätestens seit dem Aufkommen von Legida im Nachgang an die Montagsmahnwachen 2014 ein bekannter rechter Demonstrations-Frame in Leipzig. Der Tenor dabei stets (bis hin zum gleichlautenden Vorgehen der AfD): Wo die eigene Meinung nicht 1:1 gespiegelt und umgehend hingenommen wird, muss Diktatur, Gleichschaltung und Böses am Werke sein.
Bei aller Kritik an vor allem den finanziell gut ausgestatteten Öffentlich-Rechtlichen dieser Tage: Wer mal eine Weile mit der einen und letztlich einzigen Zeitung „Neues Deutschland“ in der DDR klarkommen musste, ahnt, wie flach diese Aussage angesichts der heutigen Unzahl an Zeitungen, Webseiten, sozialen Medien und freier Rede überall da und auch hier auf L-IZ.de letztlich ist. Bei allem Zeitungssterben: so breit wie heute waren Debatten wohl noch nie; nicht grundlos wirkte mancher Redebeitrag auch auf dieser Corona-Demo wie ein Facebookstatement.
Politische Naivität?
Neben den 200 Kundgebungsteilnehmer/-innen – darunter einige Rechtsradikale und offenbar Angehörige der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung – waren etwa 50 Personen anwesend, die das Geschehen zunächst kritisch beobachteten. Einige von ihnen protestierten später mit einem Banner und Zwischenrufen. Wie schon am 1. Mai auf dem Simsonplatz kam es teilweise zu hitzigen Wortgefechten.
Vor Beginn der Kundgebung hatten Unbekannte mit auf den Boden gemalten Kreidebotschaften gegen die Veranstaltung protestiert (siehe Bildergalerie).
In den vergangenen Tagen hatte es seitens antifaschistischer Akteur/-innen bereits Überlegungen gegeben, gegen diese Kundgebungen direkt zu protestieren. Da problematische Reden seitens Orgateam und übriger Teilnehmer/-innen erneut unwidersprochen blieben und zunehmend Rechtsradikale die Veranstaltungen besuchen, dürfte direkter Gegenprotest nur noch eine Frage der Zeit sein.
Die nächste Kundgebung soll am kommenden Samstag stattfinden. Oder früher.
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