LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 78, seit 24. April im HandelDas Gustav-Adolf-Werk sorgt sich um seine evangelischen Partnerkirchen in aller Welt. Durch Corona geraten Kirchen in Venezuela, Syrien oder Portugal in finanzielle und personelle Not. Das älteste kirchliche Hilfswerk Deutschlands, 1832 in Leipzig gegründet, kann nur aus der Ferne helfen. Generalsekretär Pfarrer Enno Haaks über Beschaffung von Schutzkleidung in Syrien, Straßenkinder in Venezuela und Pfarrer ohne Strom.
Herr Haaks, das Gustav-Adolf-Werk hat durch zahlreiche Meldungen auf die dramatische Lage in seinen Partnerkirchen aufmerksam gemacht. Bevor wir über die Corona-bedingten Probleme in Venezuela, Syrien oder Italien sprechen: Wer sind Sie und was ist der Auftrag des in Leipzig ansässigen Gustav-Adolf-Werks?
Mein Name ist Enno Haaks, ich bin Pfarrer und seit zehn Jahren Generalsekretär des Gustav-Adolf-Werks. Ursprünglich komme ich aus dem Norden Deutschlands. Es ist das älteste evangelische Hilfswerk in Deutschland, 1832 gegründet in Leipzig. Es ist das einzige gesamtdeutsche Hilfswerk, was im Osten Deutschlands beheimatet ist. Durch die deutsche Teilung gab es das Westwerk in Kassel und das Ostwerk in Leipzig. Nach der Vereinigung wurde entschieden, den Sitz des Gesamtwerks zurück nach Leipzig zu geben.
Unser Auftrag ist, evangelischen Kirchen weltweit zu helfen, ihren Glauben in Freiheit leben zu können. Diese Glaubensfreiheit ist ein wichtiges Thema für uns, denn wir unterstützen vor allem Minderheiten, ihren Glauben frei leben zu können damit Gesellschaften lebendig bleiben. Das Gustav-Adolf-Werk unterstützt kirchliche Strukturen in anderen Ländern bei der Erhaltung und Erweiterung der Infrastruktur, konkret bei der Sanierung und dem Bau von Schulen, Kindergärten, Pfarrhäuser, Altenheimen und so weiter.
Es ist wichtig, dass die Kirchen in ihren Ländern sichtbar sind und sich durch ihr Engagement und ihre Gebäude zeigen können. Kirchen, die nicht nach außen zeigen können, was sie machen, haben es schwer.
In einer Pressemitteilung hieß es, die Strukturen können in den Partnerkirchen aufgrund der Coronakrise zusammenbrechen. Wieso?
In aktueller Situation machen wir uns erheblich Sorgen um Gebäudestrukturen, aber auch um personelle Strukturen. Unsere Kirchen zeichnet ein großes sozialdiakonisches Engagement in ihren Ländern aus. Sie unterhalten nicht nur Schulen, Kindergärten, Pflegeheime, sondern sie übernehmen auch die Krankenhausseelsorge.
In Brasilien haben wir geholfen, diese Seelsorgearbeit mit aufzubauen. Vorher war das aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Wir helfen direkt in medizinischen Projekten in Aleppo. Dort hat die armenisch-evangelische Kirche eine Poliklinik während des Krieges eröffnet, deren Betrieb nun aufrechterhalten werden muss.
Mittlerweile gibt es auch dort die ersten Corona-Patienten und wir helfen, für diese Poliklinik Schutzkleidung zu bekommen. Man kann sich vorstellen wie schwer das in Syrien ist, wo immer noch Krieg herrscht und wo das Land unter Embargos leidet. Es ist ja schon in Deutschland schwer, diese zu bekommen. Wir versuchen, diese große Herausforderung zu meistern, auch wenn wir es nicht in den Maßen schaffen werden, wie es notwendig wäre.
Sie erwarten auch finanzielle Probleme für Ihre Partnerkirchen?
Unsere 50 Partnerkirchen leben von den Mitgliedsbeiträgen der Kirchenmitglieder. Sonntags beim Gottesdienst geben die Besuche ihre Kollekte und ihre Mitgliedsbeiträge. Da zurzeit nirgendwo Gottesdienste stattfinden, geben sie auch kein Geld. Das fällt also alles weg und dadurch haben sie Probleme, die Gehälter für die Pfarrer zu zahlen und diese wenden sich wiederum mit einem Brief an uns, dass sie ihre Stromrechnungen nicht begleichen können.
Ich hatte kürzlich einen längeren Austausch mit der Generalsekretärin der presbyterianischen Kirche in Portugal. Das ist eine kleine Kirche mit neun Pfarrern, die sie vornehmlich durch die Mieteinnahmen bezahlen, die sie erhalten. Die Kirche unterhält drei Läden. Ein Laden steht schon seit geraumer Zeit leer, die beiden anderen mussten geschlossen werden, daher haben die Laden-Mieter keine Einnahmen und können keine Miete an die Kirche zahlen.
Die Mieter der Wohnungen der Kirche bitten um Mietreduzierung, weil sie keine Arbeit haben. So bleibt finanziell nichts für die Kirche hängen. Auch in Deutschland entsteht dieses Problem, denn in den deutschen Gemeinden wird regelmäßig für das Gustav-Adolf-Werk gesammelt. Auch das passiert zurzeit nicht.
Wie stehen Sie in Kontakt mit den Partnerkirchen?
Das ist unterschiedlich. Einerseits melden sich Kirchen, andererseits bin ich in gutem Kontakt mit Bischöfen, Projektkoordinatoren und den Vertretern der Kirche in den jeweiligen Ländern. Ich versuche, täglich zu bloggen was dort los ist. Wir bekamen beispielsweise eine Osterbotschaft aus Argentinien, gestern Informationen aus Sibirien. In Neapel in Italien haben wir einem evangelischen Krankenhaus durch eine Spende geholfen.
Das Krankenhaus wird von fünf Kirchen getragen. Diese baten uns um eine Nothilfe. In Argentinien ist ein Pfarrer an Corona erkrankt, der Kirchenpräsident im Elsass war auch schwer erkrankt. In jedem Land sind die Kirchen irgendwie betroffen, in Italien natürlich massiv. Wir sind auch gefordert, auf uns zu schauen und in der ganzen Dramatik die anderen nicht zu vergessen.
Sehen Sie Unterschiede im Vorgehen und dem Leben der Kirchen auf den verschiedenen Kontinenten?
Einige Länder sind restriktiver. In Chile, wo wir selbst gelebt haben, darf man gar nicht rausgehen. Man darf zweimal pro Woche einkaufen oder zum Arzt oder beispielsweise zur Apotheke gehen. Aber es gibt in keinem Land Lockerungen. Alle haben mit Restriktionen und Ausfall zu kämpfen. Die Formate, wie das kompensiert wird, sind weltweit ähnlich. Über YouTube werden Gottesdienste gestreamt, es gibt Bibelstunden und Konfirmanden-Unterricht bei Zoom.
Kirche steht auch für Seelsorge. Wie kreativ sind die Kirchen in dieser Hinsicht?
Der seelsorgerische Kontakt wird über Handy aufrechterhalten, aber die Vereinsamung ist ein Problem. Dennoch: Die Krise bringt da auch unglaubliches Potenzial – so sagen es verschiedenste Partner, zum Beispiel in Sibirien, wo die Entfernungen enorm sind – und die Leute sehen, was alles möglich ist. Wir sehen das auch als Chance im Alltag, obgleich der direkte Kontakt für kirchliche, seelsorgerische Arbeit wichtiger ist. Auch ob man digital Abendmahl feiern kann, ist heiß diskutiert worden. Ist das überhaupt möglich?
Sie haben auch Hilfsprojekte und Spenden für Venezuela initiiert. Was ist genau geplant und wie geht es diesem politisch gebeutelten Land?
In Venezuela unterstützen wir zum Beispiel in Caracas die sogenannte Acción Ecumenica, die unter anderem ein Medizinzentrum unterhält. Leider hat der Staat dieses Zentrum geschlossen, obwohl die Hilfe absolut notwendig wäre. In Valencia unterstützen wir ein Straßenkinderheim der lutherischen Gemeinde bei der Beschaffung von Lebensmitteln. Das ist für die Verantwortlichen ein riesiges Problem. Die Menschen hungern in Venezuela und sie sind sehr schlecht medizinisch versorgt. Es ist ein humanitäres Drama, das noch durch die Corona-Pandemie verschärft wird.
Was fehlt Ihnen in diesen Wochen am meisten?
Mir fehlt am meisten, Besuche zu machen bei unseren evangelischen Partnern weltweit als auch bei denen in Deutschland, die sich um das Sammeln von Spenden kümmern und sorgen. Meine Arbeit lebt vom direkten Austausch.
Was wären aus Ihrer Sicht die Lektionen aus Corona? Was muss sich dringend ändern?
Eine Lektion ist sicherlich die Entschleunigung. Auch wenn meine Arbeit von direktem Kontakt lebt, so muss ich selbstkritisch fragen, was alles notwendig ist zu tun, oder was man auch getrost lassen kann.
Wie blicken Sie auf Leipzig nach Corona im Frühjahr 2021?
Ich wäre dankbar, wenn wir im Frühjahr 2021 getrost zurückschauen können. Ich befürchte – nach allem, was ich lese und höre –, dass uns dann eventuell die Coronazeit immer noch beschäftigt.
Um wen machen Sie sich derzeit besonders Sorgen?
Ich mache mir Sorgen um die, die sich nur schwer schützen können und denke besonders an die Menschen, die auf der Flucht sind. Einige unserer Partnerkirchen kümmern sich um Flüchtlinge. Und selbst kommen unsere evangelischen Partner durch die Coronakrise in Not, weil sie Mühe haben, ihre kirchliche Infrastruktur aufrechtzuerhalten, um dann auch helfen zu können.
Haben Sie den Eindruck, dass sich andere Menschen um Sie herum verändern?
Da bin ich nüchtern. Ich spüre eine Sensibilität – ja. Aber ich bin auch nüchtern genug, um zu wissen, dass wir Menschen schnell eine solche Not- und Krisenzeit, wenn sie dann überstanden ist, verdrängen. Wichtig ist, dass wir neu den Blick schärfen auf das was existenziell wichtig ist in unserem Leben.
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 78: Wie Corona auch das Leben der Leipziger verändert hat
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