LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 78, seit 24. April im HandelWenn man mir vor einiger Zeit gesagt hätte, dass ich heute, am 3. April 2020, nicht in die Bretagne, wo ich herkomme, fahren dürfte, hätte ich wahrscheinlich mit dem Kopf geschüttelt und kein Wort geglaubt. Nun ist das aber Realität. Eine Realität mit ihren Höhen und Tiefen.
Zunächst hatte ich noch ganz normal gearbeitet, wobei – ganz normal war es auch nicht wirklich, denn zu Beginn jeder Unterrichtsstunde (ich bin freiberufliche Dozentin für Französisch) war das Coronavirus bereits ein Thema, das Thema. Dann habe ich angefangen, nach jeder Stunde die Stühle, den Unterrichtstisch und die Türklinken zu desinfizieren und meine Schüler zu bitten, sich die Hände zu waschen, sobald sie ankamen.
Nach ein paar Tagen habe ich erfahren, dass eine Schülerin von mir positiv getestet worden war. Das unsichtbare Virus war auf einmal ganz konkret geworden. Dann war Quarantäne angesagt. Komische Zeit: Man zählt die Tage, man beobachtet sich sehr intensiv, man hofft. Bei dem kleinsten Husten oder Kopfschmerzen denkt man, jetzt ist es so weit …
Die Quarantäne ist inzwischen vorbei, ich habe Glück gehabt (vorerst). Bis heute bin ich nicht krank geworden, meine deutsche Familie, so wie meine Schüler auch nicht, und meine kranke Schülerin ist auf dem Weg der Genesung, was für mich das Allerwichtigste ist.
Wie viele andere Lehrer, so stehe auch ich nun in Kontakt zu meinen Schülern via Computer und Telefon. Ich kann bald keinen Bildschirm mehr sehen. Natürlich habe ich vorher auch am Computer gesessen, aber nicht in diesem Umfang. Ich empfinde es als lästig, und vor allem: Meine Schüler fehlen mir. Als (Sprach-)Lehrer spielt der direkte Kontakt zu den Schülern für mich eine sehr große Rolle und keine App der digitalen Welt kann das ersetzen.
Zwei Dinge sind jedoch für mich noch schwerer zu ertragen:
Erstens zu wissen, dass meine Familie weit weg ist und dass es unmöglich oder nur sehr schwierig wäre, dorthin zu kommen, wenn etwas Schlimmes passieren würde.
Zweitens ist es das Gefühl, unnütz zu sein im Vergleich zu den Pflegern, Krankenschwestern und Ärzten, die jeden Tag den Kranken helfen und sich dabei selbst in Gefahr bringen, weil sie nicht genug Schutzmaterial zur Verfügung haben.
Zumindest versuche ich mit den derzeit mir möglichen Mitteln, meinen Schülern ein kleines Stückchen Normalität zu schenken und so die Moral hochzuhalten. Was mich weiterhin positiv stimmt, sind die vielen Solidaritätsbekundungen, die man ständig im öffentlichen und privaten Bereich erlebt.
Ich will hoffen, dass diese schwere Krise uns endlich die Augen öffnen wird. Ich will hoffen, dass Gesundheit, Umwelt, Solidarität, Bildung und Kultur endlich als die wichtigsten Pfeiler unserer Gesellschaften betrachtet werden.
Mehr aktuelle Träume auf L-IZ.de, in der Coronakrise 2020 und aus den letzten Jahren
Träume in der Coronakrise
Normalerweise warten wir bis Weihnachten, bis wir Menschen, die wir interessant finden, dazu einladen, ein bisschen zu träumen. Immer kurz vor dem Ende eines Jahres erscheinen dann in der LEIPZIGER ZEITUNG und auf L-IZ.de häufig sehr persönliche Texte, die sich aber auch dem gesellschaftlichen Ganzen widmen.
Unser Zusammenleben als Gemeinschaft hat sich in den vergangenen Wochen so schnell und drastisch geändert wie es viele niemals für möglich gehalten hätten. Mittlerweile wagt man zwar hier und dort einen Schritt zurück zur Normalität, doch Kontaktverbote und Maskenpflicht erinnern uns jeden Tag an den wohl noch lange andauernden Ausnahmezustand.
Wie die Menschen mit dieser Situation umgehen, ist sehr unterschiedlich. Manche werden krank und einige sterben, andere kommen mit der Isolation mehr oder weniger gut zurecht und viele denken in die Zukunft: Wie lange müssen und können wir mit den Einschränkungen leben? Wird unsere Welt in der Zeit nach Corona eine andere sein? Und falls ja: Wie wird sie dann aussehen?
Wir haben also Menschen gebeten, für uns zu träumen und uns zu erzählen, was die Coronakrise mit ihnen macht und wie sich das Leben aus ihrer Sicht verändern könnte.
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 78: Wie Corona auch das Leben der Leipziger verändert hat
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 78: Wie Corona auch das Leben der Leipziger verändert hat
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