There is a crack in everything. Thatโ€™s how the light gets in. Es gibt einen Riss in allen Dingen. So kann das Licht durchscheinen. (Leonhard Cohen) Eigentlich hรคtte das Ergebnis der OBM-Wahl am vergangenen Sonntag, 1. Mรคrz 2020, ganz anders aussehen mรผssen. Eigentlich hรคtte der amtierende Oberbรผrgermeister der Stadt Leipzig, Burkhard Jung (SPD), schon im ersten Wahlgang am 2. Februar 2020 klar gewinnen mรผssen. Denn er kann auf eine Erfolgsgeschichte seit 14 Jahren verweisen: Leipzig hat sich als mitteleuropรคische Metropole stark entwickelt. Die Universitรคtsstadt an der PleiรŸe zieht junge Menschen an, die bleiben. Zahlreiche Unternehmen haben sich angesiedelt, die Erwerbslosigkeit schrumpft weiter.

Leipzig hat aufgrund seiner kulturellen Vielfalt und Qualitรคt ein internationales Standing und verfรผgt รผber eine lebendige, politisch wache Stadtgesellschaft. Leben. Als OBM hat Burkhard Jung die Weichen richtig gestellt: das 365-Euro-Ticket als Signal fรผr den Ausbau des ร–PNV, Abschied von der Kohleverstromung bei der Energieversorgung, mehr sozialer Wohnungsbau. Jung ist in keine Skandale verstrickt. Gravierende Fehlentscheidungen kann man ihm auch nicht vorwerfen. Burkhard Jung verfรผgt รผber eine Persรถnlichkeit, die anziehend und gewinnend ist.

Warum aber ist dann die OBM-Wahl im 2. Wahlgang so knapp ausgegangen โ€“ โ€žnurโ€œ 49,1 % fรผr Burkhard Jung und immerhin 47,6 % fรผr Sebastian Gemkow (CDU)? Warum wird aufgrund dieses Wahlergebnisses von einem โ€žRissโ€œ gesprochen, der die Stadtgesellschaft spaltet? Warum aber spricht kaum jemand davon, dass ein solcher Riss auch Raum schafft fรผr Licht, fรผr neue Erkenntnisse?

Wer versucht, auf diese Fragen eine Antwort zu finden, wird viele Grรผnde fรผr dieses Wahlergebnis finden:

  • Da ist die politische Dauerschwรคche der SPD, deren OBM-Kandidat Burkhard Jung war. Obwohl die SPD eine Neugrรผndung nach Friedlichen Revolution war, wird sie โ€“ leider eine nachhaltige Wirkung der Kohlโ€™schen Propaganda โ€“ immer noch mit dem DDR-Sozialismus in Verbindung gebracht (รผbrigens vor allem unter Kirchenmitgliedern).
  • Da ist der Etikettenschwindel der Leipziger CDU: Sie selbst ist mehr als konservativ-rechtslastig, wรคhrend ihr OBM-Kandidat Sebastian Gemkow eher liberale Positionen vertritt. Wรคhrend die CDU Leipzig in den vergangenen 30 Jahren nichts, aber auch gar nichts getan hat fรผr die Integrationsarbeit von Geflรผchteten und im Kampf der Stadtgesellschaft gegen den Rechtsnationalismus, sondern diesen immer diffamierte, hat Sebastian Gemkow immerhin an einigen Demonstrationen gegen Legida teilgenommen.
  • Da ist die vom Design her eher fahrig wirkende Wahlwerbung fรผr Burkhard Jung, wรคhrend die fรผr Gemkow sehr wirkungsvoll gestaltet war und viele Menschen angesprochen hat. Allerdings: Da Gemkow im Wahlkampf nicht besonders prรคsent war, geriet er zunehmend selbst zum Plakat โ€“ was ihm aber nicht schadete.

Doch das erklรคrt nur einiges. Entscheidend fรผr das knappe Wahlergebnis und die auffรคllige, ringfรถrmige Teilung der Stadt (der innere, bevรถlkerungsreiche Bereich ist โ€žrotโ€œ und die Peripherie โ€žschwarzโ€œ) ist etwas anderes und das hat wenig mit โ€žPolitikverdrossenheitโ€œ oder parteipolitischer Prรคferenz zu tun. Ich veranschlage dieses mit 15โ€“20 %.

Offensichtlich ging es vielen Bรผrger/innen auch bei dieser Wahl darum, es denen, die seit Jahren politische Verantwortung tragen, โ€žzu zeigenโ€œ, was man von ihnen hรคlt, nรคmlich nichts โ€“ vรถllig losgelรถst von deren tatsรคchlicher politischer Arbeit. Vor einigen Wochen schrieb mir jemand, der Sebastian Krumbiegel und mich dafรผr kritisierte, dass wir fรผr Burkhard Jung eine Wรคhler/innen-Initiative ins Leben gerufen hatten: โ€žLeipzig โ€ฆ ruht sich auf seiner Kultur, seiner Historie, seiner gewachsenen Stadtstruktur aus, dafรผr lieben es auch die Alteingesessenen , viele Neuzugezogene nutzen die vielen Annehmlichkeiten und geben selber kaum Inputโ€œ.

Da Jung zu den โ€žNeuzugezogenenโ€œ gehรถre โ€“ er lebt ja โ€žerstโ€œ seit 29 Jahren in Leipzig, habe er eigentlich mit der positiven Entwicklung Leipzigs nichts zu tun, wohl aber kann man ihn fรผr alles Negative verantwortlich machen โ€“ zumal er ja, wenn er bessere โ€žAnnehmlichkeitenโ€œ finde, sofort zugreifen wรผrde. Damit wird angespielt auf Jungs 2019 vorgesehene, aber dann doch nicht vollzogene Nominierung zum Prรคsidenten des ostdeutschen Sparkassenverbandes. Da offenbart sich ein durchaus typisches โ€žArgumentationsmusterโ€œ: Jung ist Wessi, der sich in Leipzig breitgemacht hat.

Was ihm gelang, hat er nur den โ€žLeipzigernโ€œ (zu denen er natรผrlich nicht gehรถrt) zu verdanken. Ansonsten hat er eigentlich โ€“ wie alle โ€žNeuzugezogenenโ€œ โ€“ nichts Besonderes geleistet. รœberhaupt muss ja mal gesagt werden โ€“ so nach der OBM-Wahl der Vorsitzende der CDU Leipzig, Thomas Feist, in der LVZ vom 3. Mรคrz 2020: โ€žEs ist doch klar, dass derjenige, der hier groรŸgeworden ist, der die Stadt noch vor 1989 kennt, der auch erlebt hat, wie sich Leipzig seither verรคndert hat, dass derjenige die Stadt ganz anders im Herzen trรคgt als jemand, der erst in den letzten Jahren zugezogen ist โ€ฆ Wenn die Eltern bereits hier gewohnt haben, dann bekommt der Nachwuchs einen ganz anderen Eindruck von der Stadt. Es geht dabei um eine emotionale Bindung zu Leipzig, die bei Zugezogenen nicht so sein kann.โ€œ (LVZ vom 03.03.2020)

Man mรถchte es nicht fรผr mรถglich halten, dass sich jemand in eine solch lokalnationalistische Blut-und-Boden-Propaganda verrennen kann โ€“ aber so ist sie, die Leipziger CDU.

Lassen wir einmal beiseite, dass sich dieser โ€žArgumentationโ€œ kurioserweise auch diejenigen bedienen, die, wie die ostdeutsche AfD-Prominenz, aus Westdeutschland stammen โ€“ diese Sichtweise ist verbreiteter, als wir vermuten, vor allem auch dort, wo Menschen gut situiert in ihrem Eigenheim wohnen und es ihnen materiell an nichts fehlt โ€“ wie in den โ€žschwarzenโ€œ Stadtteilen Leipzigs.

Dennoch hegen sie ein tiefes Misstrauen gegen das ganze โ€žSystemโ€œ: die Politikerelite im Leipziger Rathaus, in Dresden und Berlin; die โ€žgleichgeschaltetenโ€œ Medien; die Menschen, die โ€“ ohne zu fragen โ€“ einfach nach Leipzig gekommen sind und sich hier niedergelassen haben; von den โ€žEindringlingenโ€œ und โ€žInvasorenโ€œ nach 2015 gar nicht zu sprechen. Wenn man mit diesen Leuten ins Gesprรคch kommt, dann leiten sie ihren diffusen Polit-Frust sehr schnell auf Jung und die SPD ab.

Fรผr diese Leute ist die Demokratie auch nicht durch den Rechtsradikalismus gefรคhrdet, sondern durch Leute wie Jung, der den Linksradikalismus fรถrdert โ€“ wobei sie den Begriff Demokratie weniger mit den Grundwerten der Verfassung in Verbindung bringen als mit dem โ€žVolkโ€œ, das natรผrlich (nur) โ€žwirโ€œ sind und das 1989 ganz anderes im Sinn hatte, als das, was jetzt Wirklichkeit ist.

Wer sehen will, wie diese Gemengelage immer wieder genรคhrt wird und ankommt, sollte sich in der Mediathek den Schluss der letzten MDR-Talkshow โ€žRiverboatโ€œ vom 28.02.2020 ansehen (https://www.mdr.de/tv/programm/sendung872858_ipgctx-false_zc-b528bc81.html).

Da reagierte der evangelikale Publizist Peter Hahne โ€“ zuvor fast jeden Talk-Gast mit frรถmmelnden Einsprรผchen kommentierend, die vom Publikum eher peinlich berรผhrt aufgenommen wurden โ€“ auf die Erfurter Verhรคltnisse damit, dass die Wahl des FDP-Politikers Kemmerich doch ein demokratischer Vorgang gewesen sei und niemand, schon gar nicht Angela Merkel (fรผr Peter Hahne Feindbild Nr.1) das Recht habe, den Ostdeutschen, die schlieรŸlich die Demokratie und Freiheit erkรคmpft hรคtten, Vorschriften in Sache Demokratie zu machen. Brausender Beifall.

Und als nรคchstes: Es sei doch durch alle Meinungsforschungsinstitute eindeutig festgestellt worden, dass zwei Drittel der Bรผrger der รœberzeugung seien, man kรถnne in diesem Land nicht mehr frei seine Meinung รคuรŸern. Brausender Beifall. Niemand in der Runde widersprach. Niemand entlarvt die Einlassungen eines Peter Hahne als dummes, nicht ungefรคhrliches Geschwรคtz. Niemand stellt sich dem Publikum entgegen und weist auf das Licht hin, in dem Fall die freiheitliche Demokratie, das trotz allem durch den Riss hindurchscheint.

Das ist das Problem, das auch das Ergebnis der OBM-Wahl offenlegt: Bรผrger/-innen setzen leichtfertig das aufs Spiel, was von denen erkรคmpft wurde, die im Oktober 1989 als Minderheit auf die StraรŸe gegangen sind, und von dem sie in den vergangenen 30 Jahren profitiert haben, ohne sich daran zu beteiligen: politische, soziale, wirtschaftliche Teilhabe in einer freiheitlichen Demokratie. Sekundiert (meist passiv) wird dies von einer Fรผhrungsschicht in der Stadtgesellschaft, die es leider an Haltung mangeln lรคsst.

Denn das ist im OBM-Wahlkampf auch sichtbar geworden: Viele, die eigentlich die Arbeit von Burkhard Jung und seinen Einsatz fรผr eine weltoffene Stadtgesellschaft schรคtzen, waren nicht bereit, sich รถffentlich fรผr ihn auszusprechen und so das Licht durch den Riss sichtbar werden zu lassen.

Wenn aber Burkhard Jung als alter und โ€“ Gott sei Dank โ€“ neuer Oberbรผrgermeister fรผr eines steht, dann fรผr dieses Licht der Demokratie, der Weltoffenheit, der Vielfalt und der Zivilcourage.*

Ohne diese Eigenschaften und die Bereitschaft, sie zu leben und fรผr sie einzutreten, werden wir den Riss nur vertiefen, aber nicht รผberbrรผcken kรถnnen โ€“ einmal abgesehen davon, dass sich im Wahlergebnis eine fรผr die Demokratie ganz normale Mehrheitsentscheidung widerspiegelt.

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* Diese Ziele sollten ergรคnzt werden durch praktizierte Bรผrger/-innennรคhe:

  • Jeder Brief, jede Mail an die Stadtverwaltung muss beantwortet werden.
  • Man kann von Bรผrger/-innen nicht erwarten, dass sie wissen, welche Abteilung fรผr ihr Anliegen zustรคndig ist. Deswegen sollte der, der das Anliegen als erster erhรคlt, die Verantwortung dafรผr tragen, dass dieses an die zustรคndige Abteilung der Stadtverwaltung weitergeleitet und zeitnah beantwortet wird.
  • Der Oberbรผrgermeister sollte pro Jahr mรถglichst einmal in einer รถffentlichen Veranstaltung in den Stadtteilen Leipzigs den Bรผrger/-innen zum Gesprรคch zur Verfรผgung stehen. Veranstalter sollte ein รถrtlicher Verein, eine Initiative oder Institution sein, die auch die Thematik mitbestimmen.

 Video: Im Gesprรคch mit Leipzigs OB Burkhard Jung

Video: Im Gesprรคch mit Leipzigs OB Burkhard Jung

 

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Ein neuer Messias ist geboren โ€“ und Leipzig hat das Glรผck, dass er weitere 7 Jahre alles auf seinen Tisch ziehen kann, was ihm gefรคllt (das geht natรผrlich auch nur mit einem Stadtrat, der โ€œseinem OBMโ€ nicht in den Rรผcken fallen will).
Herr Wolff kรถnnte ja mal recherchieren: es gab auch per se links Wรคhlende, die einen Wechsel an der Spitze der Stadtverwaltung wollten und das รถffentlich kundtaten. Und er kรถnnte auch mal 1 und 1 und 1 zusammenzรคhlen: diesen zweiten Wahlgang gewann Herr Jung nur und ausschlieรŸlich mit den Stimmen der LINKEN und der GRรœNEN. Was die wohl dafรผr bekommen werdenโ€ฆ Aber natรผrlich lag das nur daran, dass Herr Gemkow die professioneller Werbeagtentur unter Vertrag hatte. Demokratie ist auch zu aktzeptieren, dass die Menschen sich vielleicht einfach Verรคnderung wรผnschen, weil 14 Jahre Herrschaft genug sind (anderswo darf nicht mehr als zweimal fรผr das selbe Fรผhrungsamt kandidiert werden: die Dummen, sie sich das ausgedacht haben, wollten natรผrlich auch nur langjรคhrige Leistung nicht anerkennen!) . Bei weitem war in den letzten 14 Jahren keineswegs alles so groรŸartig: die schรคndlichen Skandale um die sog. Herrenlosen Hรคuser sind natรผrlich lรคngst vergessen, die Zockereien eines Leipziger Eingenbetriebes samt kostspieligem Gerichtsverfahren ebenfalls, das systematische Vergammelnlassen von Schulen, Kitas und dann das jรคhe Erwachen, als wรคren die Kinder entsprechenden Alters vom Himmel gefallen. Es wurden mehrfach โ€œBรผrgerbeteiligungenโ€ simuliert und dann einfach nur gemacht, was sowieso schon feststand. Es gibt weder ein Konzept fรผr den stรคdtischen Verkehr, noch einen zu tatsรคchlicher Integration fรผhrenden Umgang mit den in die Leipziger Weltoffenheit kommenden Menschen, die das nicht zum Studieren tun, die Zahl armer Kinder nimmt zu, die Kluft zwischen reich und arm ebenfalls, die Fallzahlen in der Jugendhilfe auchโ€ฆ So what โ€“ alles Bestens.

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