Donald Trump: Imperial Hotel Osaka, 29. Juni 2019, I – Take it easy – nimm's leicht, mach es den Leuten dort nicht so schwer. Take it easy – nimm ihnen alles, nur nicht das Leben. Take it easy – bleib locker und schau sie dir an, sie rennen doch schon, laufen nach Norden, nach Westen. Rennen weg von ihrem einstigen Leben, rennen hin zu einem, das sie niemals erreichen. Take it easy, mein Freund, take it easy.

II

Es war nicht Donald Trump, der die USA in diese Situation manövriert hat. Es war Barack Obama. Als Assad 2013 mit seinen Giftgasangriffen gegen die eigene Bevölkerung jene rote Linie überschritt, die Obama gezogen hatte, und nichts daraus folgte, war es um Syrien und seine Menschen geschehen. Assad hätte dieses Manöver nicht überleben dürfen. Nicht politisch, nicht militärisch, nicht physisch. So aber wartete hinter der roten Linie nur ein roter Korridor – und der führte Assad direkt bis nach Moskau.

III

Es wäre besser gewesen, die Amerikaner hätten der syrischen Hydra den Kopf abgeschlagen. So aber konnte ihr ein zweiter wachsen. Er trug das Antlitz Wladimir Putins.

IV

Putin ging es im Grunde nie um Syrien. Für ihn ist Syrien nur ein willkommener Spielball. Er langweilt sich schon seit Jahren in Moskau. Es gibt dort keine Gegenwehr mehr, keine wirkliche Opposition. Was er will, geschieht. Wladimir Putin hat Russland zu seinem Spielzeug gemacht, und irgendwann ist ihm dieses Spielzeug langweilig geworden. Er brauchte ein neues.

V

Donald Trump braucht keines. Er hat Amerika. Wladimir Putin hat ihm zu diesem aufregendsten aller Spielzeuge verholfen. Aber Putin hat die Präsidentschaftswahlen in den USA nicht manipulieren lassen, weil er Trump so sehr mag. Das war nur der notwendige Teil der Geschichte. Trump war lediglich das Vehikel. Ein fleischgewordener Hohlkörper, in den er schlüpfen und mit dessen Hilfe er sich aus Moskau und seiner Langeweile wegträumen konnte.

Nur durch die Wahl Trumps konnte Putin seiner Imagination einen Anstrich von Realität geben und in seiner Vorstellung zu dem werden, der er gern wäre: der Besitzer des aufregendsten Spielzeugs von allen. Nichts wäre Wladimir Putin lieber als amerikanischer Präsident.

VI

Aber mehr als eine simple Übertragung geht nun mal nicht, und das weiß auch Wladimir Putin. Er kennt seine Macht und ihre Grenzen – und ist gelangweilt von dem, was er hat.

Donald Trump dagegen verkennt seine Macht, allein schon deshalb, weil er nicht daran glaubt, dass sie in irgendeiner Weise begrenzt ist – und das putscht ihn auf.

VII

Im Grunde sind Putins Manipulationen nur eine Reaktion auf eine in seinen Augen falsche Rochade des Schicksals, ein Vollzug nach dem Vollzug, die ebenso späte wie vergebliche Rache eines Fatalisten am Fatum. Aber das kann er der Marionette in Washington nicht erzählen, schließlich hält die sich für den Regisseur der Inszenierung.

VIII

Donald Trump begreift nichts von dem, was in Syrien passiert. Und es interessiert ihn auch nicht. Für ihn ist das Politische nur ein Mittel, das dem Zweck des Ökonomischen dient. Und so geht es auch seinen Worten. Sie sprudeln mit den Ölquellen – oder sie schweigen. Das bisschen, was für die Amerikaner in Syrien noch zu holen ist, reicht gerade mal für ein paar diplomatische Floskeln. Bittgesänge eines Machtlosen, der sich eine Außenpolitik, die nicht vorrangig Handelspolitik ist, gar nicht vorstellen kann.

Für Putin dagegen ist Außenpolitik ein Dominospiel mit Steinen so groß wie die Türme des World Trade Center einst waren. Er stupst sie nicht an, damit sie Schneisen der Verwüstung schlagen, denn die Verwüstungen an sich interessieren Putin nicht. Ihn interessiert immer nur der Moment, wo der eine Stein in den anderen kracht, wo sich etwas bewegt, verändert, seine Ordnung verliert. Denn das ist es, was ihm in Russland fehlt, in seinem festgefrorenen, politisch einbetonierten Russland, diesem achtlos in der Ecke des Kremls liegenden Spielzeug, das der so schrecklich groß gewordene kleine Wladimir nicht mehr anfassen will.

IX

Und Trump? Der kann es sich bequem machen im Weißen Haus. Im Grunde hat Obama die Sache verbockt, als er Assads Giftgaseinsatz unbeantwortet ließ. Er hat nur mit Konsequenzen gedroht, aber keine gezogen. Dabei hätte er Möglichkeiten gehabt. Er hätte die moderaten syrischen Rebellengruppen mit Waffen ausstatten, hätte die syrische Luftwaffe zerstören und eine Flugverbotszone durchsetzen können. Und das haben sie ihm in den USA auch geraten. Aber statt Assad mit aller Härte die Konsequenzen seines abscheulichen Handelns spüren zu lassen, hat Obama mit Putin einen windelweichen Kompromiss ausgehandelt.

Das syrische Giftgas sollte außer Landes gebracht werden. Aber Assad dachte gar nicht daran, von seinen Mörderplänen zu lassen – und Putin half ihm dabei, schnappte sich das Spielzeug namens Syrien, das ihm Assad darbot, und seitdem machen sie es gemeinsam kaputt. Mit einem Unterschied: Assad bekommt nicht genug. Für ihn zeigt sich seine einstige Macht im Ausmaß der Zerstörung, die er jetzt anrichten kann. Sie ist die Basis seiner künftigen Herrschaft. Je mehr er zerstört, desto fester sitzt er im Sattel. Die mörderische Gegenwart ist nur das Scharnier, über das sich die einstige Macht mit der künftigen verbinden lässt. Es ist Assads Form der Übertragung.

X

Wladimir Putin dagegen macht Syrien nur noch kaputt, weil er die Effekte mag, die sich außerhalb zeigen. Die Schneisen der Verwüstung, die er in Syrien geschlagen hat, interessieren ihn nicht. Zerbombte Krankenhäuser, Wohngebiete, Schulen – die Befriedigung, die er im Schrecken der anderen erfährt, hält nie lange an. Der Krieg in Syrien beginnt ihn zu langweilen. Die Bombardements, die er befiehlt, sind in Wahrheit der Ruf nach einem anderen Spielzeug.

XI

Und Trump? Der ist, ohne es zu merken, im Grunde Barack Obama gefolgt. Hat Assad gedroht und Putins Bombenangriffe verurteilt. Nur getan hat er nichts. Er hat bloß ein paar lauwarme Worte verloren. Und Tweets in die Welt rausgeschickt, in denen es heißt, er habe eine Auge auf Syrien. Aber alle haben ein Auge auf Syrien. Die ganze Welt schaut zu wie Syrien kaputtgemacht wird. Wie die Leute flüchten. Wie sie im Raketenhagel unter ihren Häusern begraben werden oder zwischen den Fronten krepieren.

Die ganze Welt sieht es, aber die ganze Welt schaut nur zu. Und Donald Trump ganz besonders. Er schreibt mit Hilfe seiner Tweets ein großes „STOP“ in den digitalen Raum und glaubt, damit das Morden in Syrien beenden zu können. Er hat noch immer nicht kapiert, dass das Twittervögelchen keine Friedenstaube ist.

XII

Und Wladimir Putin? Dem geht es in Syrien schon lange nicht mehr nur um den militärischen Sieg. Den hat er sowieso längst schon errungen. Doch militärische Siege sind teuer erkauft – mit Menschen, Material und Milliarden, die die Kriegstreiberei frisst. Demgegenüber ist der Sieg, den er in Europa erringt, mit Geld nicht zu bezahlen. Ein ganzer Kontinent wird durch die vielen Flüchtlinge destabilisiert – und destabilisiert sich, wenn einmal genug da sind, von da aus permanent weiter. Innere Zersetzung durch äußere Einkehr, nie war es schöner, fernab im kalten Moskau zu sitzen.

XIII

Nur ab und an kommt einer seiner Spielkameraden im Kreml vorbei. Bittsteller, die den roten Teppich selber mitbringen. Wenn sie auf dem Moskauer Flughafen landen, dann rollen sie ihn eigenhändig bis zum Kreml hin aus. Dort, wo Wladimir Putin sitzt und sich langweilt. Seine Spielkameraden, das weiß er, haben immer nur die alten, kaputten Spielzeuge dabei. Er hätte gern neue, aber sie bringen ihm keine. Stattdessen inszenieren sie sich vor seinen Augen als Freunde, Feldherren, richtige Männer. Dabei ist er in der Runde der einzige Mann. Er ist derjenige, der die Spielfiguren übers Schlachtfeld schiebt. Aber das Spiel, von dem ihm seine „Männerfreunde“ erzählen, ermüdet ihn zunehmend.

Im Grunde, das weiß er, während er ihre großen Reden hört, sind es kleine Jungs, die ihm von ihren gigantischen Kriegsmaschinen erzählen, in dem Glauben, dass er dadurch Lust aufs Mitspielen kriegt. Aber Wladimir hat keine Lust mehr darauf. Was sie ihm als riesige Maschinerien verkaufen, sind für ihn bloß Spielzeuge, lächerlich klein, altbekannt und verbraucht.

Deshalb kann er ihren Besitzern auch nie auf Augenhöhe begegnen. Deshalb bleibt immer eine Distanz zwischen ihnen. Eine Distanz, die die schrecklich kleinen Herrscher niemals erkennen. Aber was kann er, Wladimir Putin, schon tun? Für ihn sind diese Freundschaften reine Zweckgebilde. Notwendige Teile der Geschichte, so wie Donald Trump einer war.

XIV

Putin weiß, dass die Differenz zu den kleinen Herrschern, denen er seine Gnade gewährt, einen Vorteil besitzt. Es bleibt immer ein wenig Raum zwischen ihnen. Es ist der Raum, den er sucht. Der Raum, den er liebt. Der Raum, den der Tod zum Eindringen braucht. Das bekommt Erdogan gerade zu spüren. Und eines Tages bestimmt auch Assad. Der Tod macht die Spielzeuge der kleinen Anführer in Putins Augen einen Moment lang lebendig.

Als wären es echte Länder mit echten Menschen darin. Aber dann reisen die kleinen Staatsmännchen wieder ab, und dann ist der schrecklich große Wladimir wieder allein mit seiner Langeweile, die wie ein ausgerollter roter Teppich vor ihm liegt und immer schon da ist, wohin er auch geht.

XV

Donald Trump dagegen minimiert die Differenzen. Tief in seinem Innern kann er noch immer nicht glauben, dass all diese Staatsmänner nur kommen, um ihn zu treffen. Ihn ganz persönlich. Deshalb erklärt er sie auch alle zu Freunden. Zu Freunden, die er immer schon hatte und auch in Zukunft haben wird. Sie sind das Scharnier, das seine eingebildete Vergangenheit mit der Imagination einer großen Zukunft verbindet. Und warum auch nicht?

Die Geschichte ändert man schließlich nur im gegenwärtigen Erzählen. Und nur so ändert man sie auch für die Zukunft. Kein Wunder also, dass Trump und seine Männerfreunde ganz eng miteinander sind. Selbst zwischen einen nordkoreanischen Diktator und ihn passt kein Blatt Papier – und falls doch, dann ist es nur dazu da, um sich darauf gegenseitige Treueschwüre zu schreiben. Der Tod bleibt dann zu Hause. In Nordkorea. Wo die Menschen verhungern.

XVI

Und in Syrien? Da hat Putin, der Stratege, seine Leute im Einsatz. Und seine Waffen. Damit wird er dem kleinen Augenarzt aus Damaskus zu einem großen Sieg verhelfen, auch wenn der den Preis dafür noch gar nicht durchschaut und auch den wahren Zweck für Putins Einsatz nicht kennt. Denn der ist und bleibt die Destabilisierung der Welt. Denn nichts wäre schlimmer für Putin, als wenn die ganze Welt so festgefroren wäre wie das politische Russland. Dann hätte er nichts mehr zu spielen.

Dann gäbe es nicht mal mehr die Aussicht auf etwas, das er wenigstens kaputtmachen kann. Deshalb kann er Europa und Amerika auch nicht in Ruhe lassen. Selbst wenn er, Waldimir Putin, die westlichen Demokratien verachtet. Tief im Innern braucht er sie trotzdem, denn im Gegensatz zu Russland versprechen sie ihm einen Spielgenuss, den er sonst nirgends bekommt. Eine Herausforderung, wie er sie weder in Russland noch in Syrien hat.

XVII

Und Trump, was macht der? Der hält sich raus aus dem Schlachten in Syrien. Er ist kein Stratege. Er hat seine Leute abgezogen. Und seine Waffen auch. In Syrien ist bis auf Weiteres nichts mehr zu holen. Dann doch lieber der Jemen. Da kann er den Saudis Waffen verkaufen. Und das ist letztlich auch sein einziges Ziel: Geschäfte zu machen. Nur dann weckt eine Auseinandersetzung sein Interesse. Kriege an sich interessieren Donald Trump dagegen kein bisschen. Im Gegenteil. In seinem Innern verabscheut er die Gewalt. Er erträgt sie nur in geskripteter Form. Wenn sie dagegen real wird, macht sie ihm Angst.

Allein schon der Gedanke an echte Gewalt lässt ihn erschaudern. In seiner Vorstellung war Vietnam damals genau so weit weg wie der kleine, knöcherne Auswuchs an seinem Fuß, der ihn – mit Hilfe eines befreundeten Doktors – davor bewahrt hat, in den Krieg ziehen zu müssen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegensatz zu Wladimir Putin geht es Donald Trump nämlich nicht um die Destabilisierung der Welt. Oh nein, ihm geht es um die Stabilisierung seiner Außenhandelsbilanz.

XVIII

Und trotzdem ist auch Amerika unter Trump im Nahen Osten aktiv, nur nicht in Syrien. Aber das macht nichts. Trump hat Syrien verlassen, weil es für ihn dort nichts zu holen gibt, genau wie Putin dort bleibt, weil er momentan kein anderes Spielzeug hat und er zumindest auf diesem Weg die Welt ein bisschen destabilisieren kann. Donald Trump ist dagegen an stabilen Verhältnissen gelegen. Und die sind erreicht, wenn er mehr einnehmen kann, als er ausgeben muss. Also spielt er Kaufmannsladen mit Saudi-Arabien. Und irgendein Siedler-Spiel mit Israel, das er zwar nicht versteht, bei dem man ihm aber gesagt hat, dass er großen Gewinn damit macht.

XIX

Und wenn mal etwas nicht so läuft, wie es sich Trump und Putin vorgestellt haben, wie sie es sich wünschen und von anderen fordern? Dann werden die Unterschiede zwischen dem Maul- und dem Revolverheld nur noch deutlicher. Denn so gehen die beiden nun mal mit Menschen und Situationen um, die ihnen nicht passen: Der eine mault, der andere mordet.

XX

Aber so läuft das nun mal: Trump nimmt den Mund immer ganz voll, spuckt das meiste davon aber danach wieder aus. Nur um anschließend zu erklären, andere hätten ihn dazu gezwungen. Mal sind’s die Demokraten, dann der Kongress oder irgendein Richter…

Putin dagegen nimmt immer nur Happen für Happen, kaut dafür aber jedes Mal auf. Nur um anschließend nach einem neuen Happen zu suchen, denn satt ist er noch lange nicht, satt wird er nie. Mal ist es Syrien, dann ist es die Krim, irgendeiner wird immer verschlungen…

XXI

Und die Moral von der Geschicht’?

Eine Moral hat die Geschichte nicht.

Nein, das wäre zu wenig. Ich will dich nicht in der Luft hängen lassen. Wenn das Öl sprudelt, fängt man es auf. Und wenn die Bombe fällt, schlägt sie auch ein. Aber keine Sorge, dich trifft sie nicht. Deshalb:

Take it easy – nimm es leicht, es sind andere, von denen ich hier erzählt habe.

Take it easy – entspann dich, es ist alles nur ein ganz großes Spiel.

Take it easy – bleib locker, du hast doch dein Leben.

Take it easy, mein Freund, take it easy.

Zum Zitat aus der Überschrift: To President Putin I said: „Please, take it easy with Idlib.“

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