Dieser Verantwortung muss sich die Gesellschaft bewusst sein und Werte, die sie vermitteln will, tรคglich leben. In Walt Disneys โMary Poppinsโ (1963) wird fรผr die schwer hรคndelbaren Geschwisterkinder eine โKinderschwesterโ gesucht. Um genau zu sein, die sechste Kinderschwester in Folge. Der Vater ist der Meinung, er verfรผge รผber genรผgend Urteilsfรคhigkeit, Einsicht und Menschenkenntnis, um eine geeignete Kinderschwester fรผr seine โBrutโ zu finden.
Er wรผnscht sich eine Kinderschwester, die agiert wie ein Feldherr, da die Zukunft des Staates in ihren Hรคnden liege. Sie soll seriรถs, verantwortungsbewusst, geordnet, prรคzise, diktatorisch und nicht charmant sein.
Seine Kinder hingegen wรผnschen sich eine Frau zum Spielen, die nicht nur bรถse zu ihnen ist. Eine die lustig und klug ist und dies nicht nur drinnen, sondern auch drauรen zeigt. Eine Kinderschwester, die, wenn sie Bauchschmerzen haben, ein liebes Wort fรผr sie bereithรคlt und nicht nur Rizinusรถl und Tee. Sie soll kochen kรถnnen und ihre Versprechen halten. Im Gegensatz dazu versprechen sie, ihr keine Krรถten ins Bett zu legen oder Pfeffer in den Tee zu streuen.
Kinder und Jugendliche suchen sich selbstbestimmt ihre Vorbilder. Innerhalb der Familie kรถnnen dies beispielsweise die Eltern sein, die sich enthusiastisch streiten und danach wieder versรถhnen und respektvoll miteinander umgehen oder die Oma, die phantasievoll bรคckt.
Auch die Trainer eines Vereins, die motivieren sowie Respekt und Zuversicht ausstrahlen, kรถnnen als Vorbild dienen, oder aber Menschen die fรผrsorglich in der Straรenbahn den Platz fรผr eine schwangere Frau freigeben oder im Straรenverkehr auf die gegenseitige Rรผcksichtnahme achten und sich auch einmal zurรผcknehmen.
Wer sich an seine eigenen Vorbilder erinnert, denkt mรถglicherweise mit einem Schmunzeln an den ersten Starschnitt, krisenbehaftete Lovestories, schrille Girlbands oder mutige Comichelden zurรผck. Ganz gleich, was unsere Eltern davon hielten oder gerade weil sie davon nichts hielten, fanden wir sie toll.
Das gleiche Phรคnomen ist auch in der heutigen Generation zu beobachten. Kinder und Jugendliche folgen und orientieren sich begeistert an Influencer*innen, seltsam wirkenden Rap-Hip-Hop-orientalisch-angehauchten Gruppen mit gebrochenem Deutsch und nehmen virtuell an deren Leben teil, eifern ihnen nach und beurteilen deren Verhalten, Lifestyle, Status und Beliebtheit an der Anzahl ihrer Follower.
Groรe Teile der nachfolgenden Generationen verbรผnden sich weltweit und fordern ein erweitertes Denken รผber die Nachhaltigkeit unseres tรคglichen Seins. So ist aktuell die Tochter einer schwedischen Opernsรคngerin Vorbild von Jugendlichen in der ganzen Welt. Jede Generation hat die Mรถglichkeit, eigene Werte selbst zu erleben.
Das bekannte Modellernen nach Albert Bandura beschreibt die Bezeichnung kognitiver Lernprozesse, wenn ein Wesen als Folge der Beobachtung das Verhalten anderer Wesen nachahmt oder annimmt. Es erweitert die bereits bestehenden Verhaltensmuster, ungeachtet ob positive der negative Verhaltensweisen โkopiertโ werden.
Auch wir als Teil der Mobilen Jugendarbeit, die junge Menschen lebensnah mit Respekt annehmen und ihnen mit Empathie, Wachsamkeit, Pflichtgefรผhl, Professionalitรคt, Teamgeist und Gerechtigkeit gegenรผbertreten, sollten uns bewusst sein, dass wir unbewusst eine Vorbildrolle einnehmen. Gewiss muss man auf den schmalen Grat innerhalb unserer Arbeit zwischen โRecht und Unrechtโ aufmerksam machen.
Wir begegnen Jugendlichen im รถffentlichen Raum, welche den Missbrauch durch organisierte Radikale erfahren haben oder sogar Teil davon sind. Jene Vereinigungen, die sich ebenfalls an den sehnsรผchtigen Werten bedienen, wie zum Beispiel Zusammengehรถrigkeit, Gerechtigkeit, Autoritรคt, Anerkennung, Freiheit und so die Umgangsformen und inneren Strukturen regeln.
Jene Radikale, die aufgrund organisierter Freizeitmรถglichkeiten, ihrer Lautstรคrke, Sport, Musik, Status und ihrer Mitglieder als Gruppe fรผr junge Menschen hoch attraktiv sind. Die Herausfoderung ist dabei, seine eigenen Werte nicht ungehรถrt zu lassen.
Durch den tรคglichen Diskurs mit jungen Menschen kann wertschรคtzend รผber Alternativen gesprochen werden, ganz gleich, wie die eigenen Vorstellungen und Rollen sind. Gerade weil der Ton in der Politik gefรผhlt immer rauer wird und das Vertrauen in die Gesellschaft vermeintlich schwindet, besteht ein erhรถhtes Risiko fรผr Unsicherheit und Unzufriedenheit. Doch auch wir haben die Chance, selbstwirksam und selbstbestimmt zu leben, geprรคgt durch unsere eigene Biografie, Kultur und Sozialisation.
Wenn wir tรคglich die fรผr uns wichtigen Werte (er-)leben, wie zum Beispiel Freiheit, Selbstbestimmung, Disziplin, Ehrlichkeit, Nรคchstenliebe, Zuverlรคssigkeit, Loyalitรคt, Freundschaft, Hilfsbereitschaft, Integritรคt, Mut, Pรผnktlichkeit, Fรผrsorglichkeit, Geduld, Toleranz und Rรผcksichtnahme, kรถnnen wir eine Orientierung und Vorbild fรผr die nachfolgenden Generationen sein.
Eine weitere Auswirkung kรถnnte sein, dass unsere Werte innerhalb der Gesellschaft trotz des โIndividualisten-Hashtag-Wahnsโ, Verrohung und sinkenden Hemmschwellen erhalten bleiben und im besten Fall vermischt oder gar verbessert werden.
Welche Werte und Normen sind Dir wichtig und in welcher Gesellschaft willst Du Leben?
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Infos zur Thesen-Aktion: Anlรคsslich seines 25-jรคhrigen Bestehens hat der Mobile Jugendarbeit Leipzig e.V. einen Kalender mit 25 Thesen aus der Praxis zusammengestellt. Diese beziehen sich auf aktuelle Gegebenheiten und Entwicklungen in Gesellschaft und Jugendarbeit, auf die die Streetworker des Vereins in ihrer tรคglichen Arbeit stoรen. Die Thesen sollen zum Nachdenken und zur Diskussion anregen โ und im Idealfall den Anstoร fรผr einen Verรคnderungsprozess geben.
Mehr Infos zur Mobilen Jugendarbeit Leipzig e.V.:
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