Der gute alte Zweifrontenkrieg, er hat Tradition hierzulande. Aktuell sind es zwei Epidemien, die bekämpft werden. Die eine heißt Corona und zersetzt den Körper. Die andere nennt sich Pessimismus und zersetzt den Geist. Zumindest wenn man der evangelischen Kirche glauben darf, denn dort wird seit Ende Februar „Zuversicht!“ gepredigt und die Anhängerschaft dazu aufgefordert „Sieben Wochen ohne Pessimismus“ zu leben.
Was mich, als ich davon erfuhr, direkt an den ollen Zausel Eduard von Hartmann erinnert hat, der 1880 ein Buch „Zur Geschichte und Begründung des Pessimismus“ verfasst und darin erklärt hat, die durchschnittlichen Vertreter des liberalen deutschen Protestantismus seien zwar „tolerant gegen Leute, welche die Persönlichkeit Gottes und die Unsterblichkeit der Seele leugnen, aber der Zweifel an der Behaglichkeit der Welt gilt ihnen als verruchte Blasphemie gegen den allgütigen Schöpfer, als eine Sünde gegen den heiligen Geist.“
Für Hartmann war es daher nicht weiter verwunderlich, dass das Wörtchen „Pessimismus“ auf die meisten Protestanten „eine ähnliche Wirkung übt wie die rothe Farbe auf den Puther“.
Soll heißen: Der gemeine Protestant dreht teufelsmäßig frei, wenn jemand in seiner Nähe auch nur von Weltuntergangsstimmung spricht, wobei die evangelikale Erregung nach Ansicht von Hartmann vor allem deswegen groß sei, weil die pessimistische Weltanschauung inzwischen eine „epidemische Verbreitung“ gefunden habe.
Was irgendwie schon wieder nach Corona klingt und zu historischen Vergleichen herausfordern könnte. Allerdings liest heutzutage niemand mehr Eduard von Hartmann. Allein schon deshalb nicht, weil nur noch Leute mit zu viel Zeit in Originalquellen reinschauen. Außerdem gilt es in weiten Kreisen als unschicklich, konservative Philosophen zu lesen, besonders dann, wenn sie hier und da „sexistischen, rassistischen, sozialdarwinistischen und bellizistischen Phantastereien“ nachhängen. (Als würde man sich die Seele schmutzig machen, wenn man ein paar alte Dreckswerke liest.)
Geschenkt. Eduard von Hartmann kam mir jedenfalls in den Sinn, als ich über Corona, Epidemien und den Protestantismus nachdachte, wobei die „Sieben Wochen ohne Pessimismus“-Kampagne der evangelischen Kirche eigentlich nicht derart viele Gedanken verdient, schließlich ist die ganze Aktion im Grunde nichts anderes als die theologisch verbrämte Form jenes dümmlichen Du-musst-an-dich-glauben- und Lifestyle-Gequatsches, das einem in jedem Bücherladen vom Ramschtisch anschreit. Wobei es in diesem Fall schwer werden dürfte, den Optimismus-Schick wie geplant bis Ostern durchzuhalten.
Zumindest müssen sich die Landesbischöfe, die bisher das Gute-Laune-Bärchen gemimt haben, angesichts des Corona-Virus’ was einfallen lassen, um die Leute bei der hoffnungsfrohen Stange zu halten und sie aus der vermeintlichen Sicherheit ihres Hauses in die heiligen Hallen der Kirche zu locken.
Vielleicht beim Abendmahl nicht mehr alle aus einem Kelch saufen? Oder aufhören, sich Essen in den Mund zu stecken, das andere Leute vorher angetatscht haben?
Na, wie auch immer, in den USA kümmern sich die evangelikalen Kirchenführer jedenfalls nicht um derartige Kleinigkeiten, da wird der pseudo-theologische Optimismus um einiges grundsätzlicher gedacht und gelebt. Trotz Corona. Oder gerade deswegen. Für die meisten amerikanischen Kirchenführer ist das Virus jedenfalls kein großes Problem.
Zumindest keines, dass sie hier auf Erden nicht mit Hilfe ihres Herrn Donald Trump zu lösen vermögen. Für die Kirchenführer steht nämlich fest, dass es nicht Gott war, der ihnen das Virus geschickt hat. Schließlich ist Gott gerade ganz gut drauf, was sich allein schon daran zeigt, dass er ihnen Donald Trump geschickt hat.
Bei Ebola lagen die Dinge dagegen ganz anders. Als das Virus 2014 aufgetaucht ist, war Barack Obama an der Macht, und da hatten die Kirchenführer eine ganze andere Lesart parat. Das Ebola-Virus, erklärten sie, sei Gottes Strafe für Obamas Kritik an Israel. Zwar gab es in den USA nur ganze elf Ebola-Fälle, von denen zwei starben, während das Corona-Virus aktuell schon 31 Todesopfer gefordert und mehr als 1.000 Amerikaner infiziert hat, aber der (politische) Glaube ist für die Kirchen-Kings keine Frage der Zahl. Zumindest nicht, wenn sie auf den Präsidenten zählen können – und der auf sie.
Kein Wunder also, dass sie steif und fest behaupten, das Corona-Virus werde die USA nur minimal schädigen, und ihre optimistische Sicht auf die Dinge damit begründen, dass Trump gut zu Israel ist. Und falls doch ein paar Leute sterben, na gut, dann waren sie eben vorher schon krank. Oder nicht richtig gläubig. Oder beides. Der Optimismus unter den TV- und Mega-Church-Pfarrern ist jedenfalls ungebrochen. Der Herr hat bereits Dutzenden von ihnen das baldige Ende der Epidemie verkündet – und die Leithammel haben seine Botschaft an ihre Schäfchen weitergegeben.
Auch Trumps Haus- und Hof-Pfarrer Robert Jeffress ist sich sicher, dass das Ende nah ist. Allerdings nicht das der Welt, sondern das des Virus’. „Ich sage voraus, dass es schon bald unter Kontrolle sein wird.“
Eine gewagte These, um nicht zu sagen eine regelrechte Volte, denn noch vor ein paar Jahren war Jeffress angesichts von Ebola (und Barack Obama) davon überzeugt, dass der Welt das letzte Stündlein geschlagen hat. Jeffress hat sogar ein ganzes Buch über das drohende Ende geschrieben und es „Countdown zur Apokalypse“ genannt. Aber jetzt haben sich die Zeiten geändert. Der Countdown wurde trotz Corona gestoppt. Die Apokalypse fällt aus. Donald Trump ist erschienen.
Eudämonologischer Optimismus, würde Eduard von Hartmann das nennen. Aber den liest, wie gesagt, heute keiner mehr. Dafür hat einfach niemand mehr Zeit. Die Leute müssen sich schließlich den ganzen Tag die Hände waschen. Und aufpassen, dass sie sich nicht die Seele verderben …
Alle Auszüge aus dem „Tagebuch eines Hilflosen“.
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