Wer hätte das gedacht?! Die für die volkswirtschaftliche Entwicklung zuständige staatliche Plankommission der DDR erlebt in den USA unter Donald Trump ein Revival! Zumindest was die Planerfüllungsquoten betrifft. Die sind nämlich hier wie da gigantisch.
In der DDR oder – um genau zu sein – der Sowjetischen Besatzungszone war es der Bergmann Adolf Hennecke, der am 13. Oktober 1948 über 600 Meter tief in einen Stollen einfuhr und in seiner siebenstündigen Schicht exakt 24,4 Kubikmeter Kohle aus einem großen Erzgebirgsflöz haute, wodurch er 387% der vorgegebenen Arbeitsnorm erfüllte.
Für die staatliche Plankommission der DDR, die wenig später entstand, war der propagandistische Wert von Henneckes Hochleistungsschicht unbezahlbar. Hennecke selbst bekam von den staatlichen Behörden für seine Leistung 50 Mark, dazu eine Fettzulage von 1500 Gramm, drei Schachteln Zigaretten, einen Blumenstrauß und eine Flasche Branntwein.
(Der Branntwein war eine mutige Entscheidung wenn man bedenkt, dass die meisten Bergmänner auch so schon zur Sauferei neigten, da sie jeden Monat zwei Liter Branntwein als Deputatlohn erhielten und Henneckes „Vorbild“ – der russische Kohlehauer Alexei Stachanow, der seine Arbeitsnorm 1935 zu unglaublichen 1300% erfüllt hatte – zu diesem Zeitpunkt bereits ein schwer gezeichneter Alkoholiker war.)
Von seinen Kollegen bekam Hennecke dagegen keine Fettzulage, sondern – wie von ihm schon vorab befürchtet – sein Fett weg. Die Bergmänner verliehen ihm den Titel eines „Normbrechers“, warfen ihm die Fensterscheiben ein und ließen ihn im Schacht so lange Spießruten laufen, bis Adolf Hennecke den Kohleabbau aufgab, die Grube verließ und – nach einer schier endlosen Serie an Preisen, Auszeichnungen und Ehren durch die Staats- und Parteiführung – leitender Beamter der staatlichen Plankommission der DDR wurde.
Die DDR existiert nicht mehr, aber Planübererfüllungen beim Abbau gibt es noch immer. Zum Beispiel in der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA. Dort werden – dem ehemaligen Kohlelobbyisten und jetzigen Behördenchef Andrew Wheeler sei Dank – nicht nur Maßnahmen zum weiteren Abbau der Kohle gefördert, sondern auch Vorschriften, Verordnungen und alle anderen Formen von Regulierungsmaßnahmen abgebaut, wobei der Grad der Normerfüllung durchaus die Sphären von Hennecke und Stachanow erreicht.
Und das alles, weil Donald Trump zu Beginn seiner Amtszeit ein klares Abbauziel vorgegeben hatte. Für jede neue Regulierung, so hatte Trump am 30. Januar 2017 in einem präsidialen Dekret verfügt, müssen zwei alte Regulierungen abgebaut werden.
Was daraufhin begann, war ein wahrer Wettbewerb unter den amerikanischen Behörden bzw. ihren jeweiligen Chefs. Jeder wollte Trump mit seinen Leistungen beeindrucken und Sieger beim großen Regulations-Rodeo werden. Denn die Sache war klar: Wer nicht genug Regulierungen abwirft, läuft Gefahr, von Trump persönlich aus dem Chef-Sattel geworfen zu werden.
2017 ging der Sieg an die Umweltschutzbehörde EPA. Ihr damaliger Direktor – der Klimawandelleugner und vormalige Cheflobbyist der amerikanischen Öl- und Gasindustrie Scott Pruitt – hatte das Verhältnis von abgebauten und neu geschaffenen Regulierungen auf 16:1 hochgetrieben, was einer Planerfüllung von 800% entsprach. Damit setzte die EPA, wie sie stolz verkündete, „unter allen Bundesbehörden die höchste Zahl von Deregulisierungsvorhaben in die Tat um.“
(Beim Innenministerium betrug das Verhältnis zwar sagenhafte 12:0, aber erstens sind zwölf absolut gesehen weniger als sechzehn und zweitens kann man nicht durch Null dividieren, weshalb sich die Umweltschutzbehörde als Gewinner ansah).
2018 verlor die EPA ihren Spitzenrang jedoch wieder und kam nur noch auf eine Quote von 10:3, was auch an der Tatsache lag, dass Pruitt im Juli nach diversen Skandalen aus dem Amt geflogen war. Der Sieg ging in diesem Jahr an das Gesundheitsministerium, das zwar vier neue Vorschriften geschaffen, aber dafür auch 25 alte über Bord geworfen hatte und sich somit – gemessen an den absoluten Zahlen – Amerikas oberste Deregulierunsgbehörde nennen durfte.
Die relationale Wertung gewann dagegen das Transportministerium mit der sensationellen Quote von 23:1, was einer Planerfüllung von 1150% entsprach und in der systemübergreifenden Bestenliste Platz zwei hinter dem ewig besoffenen Alexei Stachanow bedeutet.
Stachanow war der Legende nach übrigens auch von einem politischen Führer zu seinem Rekord angestachelt wurden, nur dass es in seinem Fall kein Präsidialerlass Donald Trumps, sondern eine Rede Josef Stalins war, die ihn zur Normübererfüllung trieb. Für seinen Fabelrekord bekam Stachanow 1935 einen Monatslohn extra ausbezahlt, dazu noch ein schickes Haus und einen Abteilungsleiterposten im Kohleministerium, was ihn allerdings nicht davor bewahrte, vollends dem Alkohol zu verfallen und schließlich aus dem Ministerium geworfen zu werden.
Woraufhin Alexei Stachanow nichts anderes übrig blieb, als Gehilfe in einer Kohlenzeche zu werden und sich nach getaner Arbeit in diversen Kneipen den Frust von der Seele zu zechen.
Als die Kommunisten in der Sowjetunion 1975 den 40. Jahrestag der Stachanow-Bewegung begingen, luden sie ihren Begründer und einstigen Helden nicht mal mehr zu den Feierlichkeiten ein. Zwei Jahre später starb Alexei Stachanow als einsamer, gebrochener und vergessener Mann in einer ostukrainischen Steinkohlestadt.
In der amerikanischen Umweltschutzbehörde, so nehme ich an, wissen sie nichts von Alexei Stachanow und seinem traurigem Schicksal. Aber warum auch? In der amerikanischen Umweltschutzbehörde haben sie anderes zu tun. Da müssen lange Berichte geschrieben und mit großem Pomp veröffentlicht werden. Es sind Berichte, die Namen wie „Die Umweltschutzbehörde übertrifft die Deregulierungsziele“ tragen und die davon künden, um wie viel Prozent die Behörde Donald Trumps Vorgaben übererfüllt hat.
Trump liest zwar keine Berichte (er liest überhaupt nichts, was wie eine behördliche Mitteilung aussieht), aber vielleicht, so hofft Behördenchef Andrew Wheeler, teilt ihm einer seiner Berater die behördlichen Prozentzahlen mit. Dann wäre er glücklich. Dann würde Donald Trump die Prozentzahlen vom einem Blatt Papier ablesen, das ihm einer seiner Berater gereicht hat, und dann wäre er – Andrew Wheeler – nicht mehr nur ein Erfüllungsgehilfe der Kohlelobby, sondern ein Ãœbererfüllungsgehilfe des Präsidenten!
Als solcher säße er noch fester im Sattel und müsste keine Angst haben, beim großen Regulations-Rodeo aus dem Amt geworfen zu werden. Stattdessen könnte er sich entspannt zurücklehnen, sich im Fernsehen Donald Trumps Wahlkampfreden anhören und seinen Ausführungen über die volkswirtschaftlichen Entwicklungen lauschen.
Dann würde er hören, dass alles nach Plan läuft, dass die Deregulierungsvorgaben den Jobmarkt entfesselt haben, die Börsenkurse in unbekannte Höhen vorgedrungen sind und die amerikanische Wirtschaft brummt. Und genau das macht sie ja auch. Sie brummt. Angetrieben von den Deregulierern. Den Kohlelobbyisten. Den alle Normen brechenden Behörden. Die amerikanische Wirtschaft – sie brummt wie ein russischer Bär.
Zu den Auszügen aus dem „Tagebuch eines Hilflosen“ (mit Links).
Direkt zum „Tagebuch eines Hilflosen“.
Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 1. November 2019): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.
Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen und ein Freikäufer-Abonnement abschließen.
Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.
Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 400 Abonnenten.
Keine Kommentare bisher