Da die Literatur gesellschaftlich relevant sein soll, habe ich mal eine kleine Anleitung verfasst, wie Sie – falls Sie mal Präsident eines großen, mächtigen Staates werden – andere Länder unter Druck setzen können, ohne Gefahr zu laufen, danach des Amtes enthoben zu werden. Vorweg beachten Sie aber bitte eines: Nehmen Sie – zumindest für Ihre ersten Erpressungsversuche – ein Land, das nicht im geopolitischen Fokus steht. Verzichten Sie also auf ... sagen wir ... die Ukraine und probieren Sie Ihre Macht an... zum Beispiel ... Thailand aus.
Haben Sie sich für Thailand entschieden, brauchen Sie erst mal gar nichts zu tun. Sie müssen nur warten, bis die thailändische Regierung etwas macht, dass Ihnen ganz und gar nicht gefällt. Zum Beispiel wenn die thailändische Regierung beschließt, Glyphosat und andere Pestizide zu verbieten.
Und bloß keine falsche Scham, falls auch andere Länder für ein solches Verbot gestimmt haben. Zum Beispiel Malaysia oder Vietnam. Denn wichtig sind nicht die anderen, wichtig sind Sie! Und wichtig ist Thailand, denn da wollen Sie Ihre Macht ausprobieren (Malaysia und Vietnam können sie später noch gesondert erpressen).
Also, was tun Sie, wenn Thailand den Einsatz von Glyphosat auf seinen Feldern stoppt? Genau, Sie stoppen auch etwas, zum Beispiel die Zollfreiheit für über 500 thailändische Produkte. Künftig, das machen Sie unmissverständlich klar, werden die Thais saftige Aufschläge zahlen müssen, wenn sie ihr Zeug in Ihrem Land auf den Markt bringen wollen.
Natürlich werden die Thailänder protestieren. Aber nicht lange. Und auch nicht laut. Denn erstens sind es Thailänder und die sind – im Gegensatz zu Ihnen – nicht als Schreihälse bekannt. Zweitens sitzen Sie wirtschaftlich am längeren Hebel. Und drittens haben Sie eine Erklärung für Ihr Handeln parat (Sie müssen nur dafür sorgen, dass sie Ihnen jemand vorformuliert).
Den Strich durch die Zollfreiheitsrechnung, sagen Sie, haben Sie nicht gezogen, weil die Thailänder aufhören wollen, Glyphosat auf die Felder zu kippen und ein Verbot der Pestizide die Einfuhr von Agraprodukten aus Ihrem Land beeinträchtigen würde, wo das Gemüse nur so in Glyphosat schwimmt. Nein, nein, Sie haben natürlich nur deshalb interveniert, weil die Arbeitsbedingungen in Thailand so schlimm sind und Sie gewerkschaftliche Vertretungen für die Arbeiternehmer vermissen.
Das wird Ihnen vielleicht nicht jeder abkaufen. Das heißt, wahrscheinlich wird es Ihnen gar keiner abkaufen. Aber Sie wissen ja: Auch ein No-Deal ist ein Deal – und manchmal nicht der schlechteste. Also lassen Sie die anderen ruhig rumoren. Das braucht Sie nicht weiter zu stören. Sie sind groß und mächtig und Sie sitzen am längeren Hebel – und der kleine Thai hängt zappelnd in der Luft.
Jetzt können Sie den nächsten Schritt unternehmen. Schreiben Sie der in der Luft hängenden thailändischen Regierung einen Brief. Oder besser noch: Schreiben Sie ihr gleich ein paar Briefe. Aber denken Sie dran – Sie sind Präsident. Niedere Tätigkeiten wie Briefeschreiben sollten Sie anderen überlassen. Benutzen Sie für den Schreibkram also einen Ihrer Staatssekretäre. Am besten den aus dem Landwirtschaftsministerium. Der hat schließlich jahrelang für Dow Chemical gearbeitet und kennt sich nicht nur mit Pestiziden, sondern auch mit als Lobbyismus getarnten Erpressungen aus.
Parallel dazu binden Sie auch Ihre Botschaftsmitarbeiter in Bangkok mit ein und lassen Sie die ebenfalls einen Brief schreiben. Die wissen nämlich genau, an wen sie sich richten müssen und wie sie den Leuten vor Ort Angst machen können. Es wird ihnen eine Freude sein, öffentlich zu erklären, dass die Bauern in Thailand jedes Jahr Milliarden mehr ausgeben müssen, wenn sie kein Glyphosat mehr auf ihren Feldern einsetzen dürfen. Die anderen Pestizide sind nämlich viel teurer. Und wer weiß, ob sie überhaupt wirken.
Die thailändische Regierung wird nicht glücklich über die vielen Briefe und die öffentlichen Erklärungen sein. Sie weiß nämlich, dass die Bauern arm sind und hat versprochen, besser für sie zu sorgen. Wenn es jetzt also heißt, dass die Kosten wegen des Glyphosatsverbots der Regierung steigen, dann werden die Bauern zu protestieren beginnen.
Was dann folgt, können Sie sich leicht ausrechnen. Die thailändische Regierung mag keine Proteste. Davon hatten sie in Thailand in den letzten Jahren nämlich mehr als genug. Folglich wird sie handeln, denn Machterhalt ist ihr vordringlichstes Ziel. Und eine Konfrontation mit Ihnen würde dem nur abträglich sein. Also wird sie das bereits beschlossene Glyphosat-Verbot wieder rückgängig machen.
Und das Verbot der anderen Pestizide verschieben. Erstmal nur um ein halbes Jahr, damit es nicht wie ein Einknicken aussieht (einen Knicks macht man in Thailand nur gegenüber dem König). Aber seien Sie unbesorgt, es läuft alles nach Plan. Die Verschiebung wird bald schon verlängert werden, und irgendwann wird von einem Pestizid-Verbot gar keine Rede mehr sein.
Die thailändische Regierung wird Ihrem Druck nachgeben und einknicken. Aber nur inoffiziell. Offiziell wird sie behaupten, dass die Zeit für ein Verbot noch nicht reif ist und außerdem noch immer 23.000 Tonnen Glyphosat im Land vorrätig sind. Die kann man doch nicht einfach so wegwerfen, das wäre unverantwortlich.
Gewiss, der Kampf gegen die thailändischen Fliegengewichtler wird Sie, den großen Haudrauf der Weltgeschichte, auf Dauer nicht glücklich machen. Aber er verschafft Ihnen zumindest ein wenig Befriedigung bis der nächste große Kampf kommt. Diesmal wird es ein Gerichtsverfahren sein. Mit Gerichtsverfahren kennen Sie sich aus. Sie haben schließlich schon tausende geführt.
Das heißt führen lassen. Aber keine Sorge, bei dem hier geht es nicht um Ihr Amt, sondern darum, die Segnungen des Glyphosats der ganzen Welt zukommen zu lassen. Deshalb hat Ihre Umweltschutzbehörde bereits im Sommer verboten, Warnhinweise auf die Glyphosatbehälter zu drucken, denn das sei – so sagt sie – eine falsche Behauptung. Fake News reinsten Wassers. Bei Glyphosat gibt es nämlich gar keine Krebsgefahr.
Aber damit lassen Sie es natürlich nicht bewenden. Im Gegenteil, Sie gehen jetzt in den Angriffsmodus über. Heute gehört Ihnen Thailand, morgen die ganze Welt. Also sorgen Sie dafür, dass Ihre Umweltschutzbehörde die aktuelle Klage des Glyphosatherstellers Bayer unterstützt. Die wird schließlich in Ihrem Land verhandelt – und es gibt in Ihrem Land keinen Deal ohne Sie.
Die Firma Bayer gehört zwar den Deutschen, aber der Prozess findet in Kalifornien statt. Sie mögen Kalifornien allerdings nicht. Zu viel linkes Movie-Gesindel, zu viele Ökospinner, zu viele liberale Rechtsverdreher. Kein Wunder, dass einer von ihnen Bayer zu 25 Millionen Dollar Strafe verknackt hat, und das alles, weil ein paar Leute durch den Pestizideinsatz angeblich an Krebs erkrankt sind.
Aber Bayer hat keine Lust, die Strafe zu zahlen. Und Sie unterstützen die Firma darin. Sie sind nämlich der Ansicht, dass Bayer auf die Glyphosat-Behälter gar keinen Warnhinweis draufdrucken durfte, denn Warnhinweise dürfen nur Sie verteilen. Und wenn Sie der Meinung sind, dass das Zeug nicht giftig ist – tja, dann gehört da auch kein Warnhinweis drauf. Und dann kann auch niemand klagen, dass er fehlt. Und damit ist das ganze Verfahren hinfällig.
Aber natürlich wollen Sie nicht so lange warten. Und sich auch nicht mit irgendwelchen Details befassen. Sie haben Wichtigeres zu tun. Und müssen außerdem noch Malaysia plattmachen. Und Vietnam (diesmal aber richtig!). Also überlassen Sie das weitere Vorgehen Ihrer Umweltschutzbehörde und dem Justizministerium.
Schließlich haben die dem zuständigen Gericht einen Amicus Brief geschrieben, dem Glyphosat-Hersteller Bayer damit Ihre rechtliche Unterstützung zugesichert und den Richter aufgefordert, die Klage fallenzulassen. Die Aktien von Bayer sind daraufhin in die Höhe geschossen. Tagessieg an der Börse. Aber das kennen Sie ja. Sie sind der Kursfeuerwerksmann. Was immer Sie anfassen, wird zu Gold. Selbst Glyphosat.
Was ein „Amicus Brief“ ist, braucht Sie indes nicht weiter zu interessieren. Lateinkenntnisse sind für Sie nicht notwendig. Es reicht, wenn andere aufgrund Ihrer Macht mit ihrem Latein am Ende sind. Aber falls Sie doch mal jemand fragt, sagen Sie einfach, es sei ein Freundschaftsbrief gewesen. Sie wollen schließlich die Freundschaft zwischen den Ländern fördern.
Besonders mit den Deutschen. Sie wissen schon, Verbesserung der transatlantischen Beziehungen und so. Das ist wichtig, besonders jetzt, wo die Deutschen lieber russisches als amerikanisches Gas kaufen. Überhaupt ein Wunder, dass diese Deutschen noch immer so auf Gas stehen…
Ihrer Ansicht nach sollten sich die Deutschen jedenfalls lieber drum kümmern, dass die Glyphosatversorgung sichergestellt ist. Nach allem, was Sie gehört haben, will die EU das Zeug nämlich verbieten. Aber gut, sollen die Brüsseler Blitzbirnen ruhig machen, dann können Sie Ihre Macht auch mal an der EU ausprobieren. Und keine Sorge: Die kleine, dünne Frau an der Spitze wird es garantiert nicht schaffen, ein Schwergewicht wie Sie aus dem Amt rauszuheben.
Zu den (mit Links angereicherten) Auszügen aus dem „Tagebuch eines Hilflosen“.
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