Waren die Morde und der Angriff auf die Synagoge in Halle/Saale ein „Alarmzeichen“, wie die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer meinte? Nein, das offensichtlich beabsichtigte Massaker in der Hallenser Synagoge am Feiertag Jom Kippur ist der dramatische Tiefpunkt einer Entwicklung, die seit mindestens drei Jahrzehnten anhält: das Wachsen des Rechtsextremismus, der wesensmäßig im Antisemitismus verankert ist, und seine Verleugnung bzw. Verdrängung („Die Sachsen sind immun gegen den Rechtsextremismus“, Kurt Biedenkopf).
Es sind die kleinen Erlebnisse, die die politische Katastrophe offenbar machen: Wie Anfang 1997 während der Vorstellung des Entwurfs für das Mendelssohn-Fenster in der Thomaskirche eine Gruppe junger Neonazis in die Kirche stürmte und am kleinen Altar mehrfach schrie „Sieg Heil!“ und wieder verschwand; wie 2004 antisemitische Vorurteile auflebten, als die Planungen für das Begegnungszentrum der Israelitischen Religionsgemeinde „Ariowitsch-Haus“ bekannt wurden; wie im gleichen Jahr mein Wagen in der Nacht vom 30.04. auf den 01.05.2004 im Innenhof des Dittrichring mit Hakenkreuzen beschmiert wurde.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Es sind nicht mehr die „kleinen“ Ereignisse, die man doch bitteschön nicht aufbauschen soll. Zwei Tage vor dem antisemitischen Gewaltakt eines rechtsextrem eingestellten Menschen geschah in Dresden Folgendes: Pegida hatte wieder einmal zum montäglichen „Abendspaziergang“ aufgerufen. Teilnehmer u. a.: Jörg Urban, Landesvorsitzender der AfD Sachsen, und André Wendt, der gerade mit CDU-Stimmen gewählte neue AfD-Vizepräsident des sächsischen Landtages.
Damit wird zum wiederholten Mal in aller Öffentlichkeit dokumentiert, dass es zwischen der rechtsextremistischen Pegida-Bewegung und der AfD einen engen Schulterschluss gibt.
Lutz Bachmann, der Sprecher von Pegida, rief auf der Kundgebung am 7. Oktober 2019 dazu auf, die „links-grünen Volksschädlinge und Volksfeinde“ in „den Graben“ zu stoßen und diesen dann „zuzuschütten“. Ein Aufschrei in Sachsen war nicht zu vernehmen. Im Gegenteil: Landtagspräsident Matthias Rößler, der selbst ernannte Patriotismusbeauftragte der CDU, beschwichtigt, dass Wendt „nicht im Rahmen seines Amtes als Vizepräsident teilgenommen (habe), sondern als Abgeordneter“.
Macht es das harmloser?
Zwar ermittelt der Staatsschutz gegen Lutz Bachmann. Doch der eigentliche Skandal sind nicht die sattsam bekannten Hasstiraden eines Lutz Bachmann. Skandalös wie aufschlussreich ist die Teilnahme der AfD-Repräsentanten an der Pegida-Veranstaltung und ihre damit zum Ausdruck gebrachte inhaltliche Übereinstimmung mit den Rechtsextremisten von Pegida und dem mehrfach vorbestraften Lutz Bachmann.
Nun wissen wir seit bald 100 Jahren, dass wesentliche Säulen des Rechtsextremismus Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind. Darum besteht zwischen der Tatsache, dass mit der AfD Rechtsextremisten und Faschisten wie Jörg Urban und Björn Höcke (und viele andere) in den Parlamenten sitzen, und dem Erstarken eines wieder gewalttätigen Antisemitismus ein unmittelbarer Zusammenhang.
Denn mit jedem Mandat, mehr noch: mit jeder Stimme, die bei Wahlen für die AfD abgegeben wird, und mit bald jedem Post eines AfD-Abgeordneten erfährt der Antisemitismus neue Nahrung. Das wird auf schreckliche Weise durch die Gewalttat in Halle offenbar. Daraus kann es nur eine Schlussfolgerung geben: Nicht die Morde in Halle sind ein „Alarmzeichen“, nein: sie sind ein aus dem Rechtsextremismus heraus gewachsenes Verbrechen – und sie sind die schreckliche Konsequenz aus jahrelang übersehenen, verharmlosten Alarmzeichen wie
- die Wahlerfolge für die NPD, DVU und jetzt AfD seit 2000;
- die Auftritte und Reden der Rechtsnationalisten um Urban, Bachmann, Höcke, Kalbitz, Weidel, Gauland;
- das von Anfang an menschenfeindliche Wirken von Pegida;
- die rechtsextremistischen Kapitalverbrechen, denen seit 1990 in Deutschland über 200 Menschen zum Opfer gefallen sind.
Mit ihrem unsäglichen Treiben geben die Rechtsnationalisten der AfD ein Signal an alle aus, die sich im rechtsextremistischen Denken verstrickt haben und in sich den Drang verspüren, zur Tat zu schreiten und zur Waffe zu greifen: Wenn es all die Fremden, die von Merkel gerufenen „Messermigranten“, all die links-grün versifften „Volksschädlinge“, und dann auch all die Juden und ihre weltumspannende Macht nicht geben würde, dann ginge es den Deutschen gut, dann hätte Herr Gauland jeden gerne zum Nachbarn.
Deswegen verfolgt die AfD ein Ziel: Sollte sie an die Macht kommen, „dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet“ (Markus Frohnmaier, AfD-Bundestagsabgeordneter). Alles andere, was die AfD gerade heute verlautbaren lässt, ist nur Ausfluss ihrer perfiden Strategie der „Selbstverharmlosung“ *. Im Kern verfolgt sie die Ziele, die schon einmal Europa in den Abgrund geführt hat.
Hieraus kann es nur eine Konsequenz geben: Jede Stimme für die AfD, jedes Gewährenlassen oder widerspruchlose Hinnehmen ihrer Hetze und Häme, ist eine aktive Unterstützung all dessen, was den Rechtsextremismus ausmacht: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Demokratieverachtung, Verherrlichung autokratischer Systeme, Nationalismus, Antipluralismus, Religionsfeindlichkeit und: Antisemitismus.
Darum gilt es, schnörkellos zu kommunizieren: Jede Stimme für die AfD ist ein Pflasterstein auf dem Weg in einen zuletzt militanten Rechtsextremismus. Darum ist nur zu begrüßen, wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier heute in Halle unmissverständlich klargestellt hat: „Wer jetzt noch einen Funken Verständnis für Rechtsextremismus und Rassenhass zeigt, wer Hass schürt, wer politisch motivierte Gewalt gegen Andersdenkende und Andersgläubige rechtfertigt, der macht sich mitschuldig.“
* Wer wissen will, was hinter der Strategie der Selbstverharmlosung steckt, sollte den Aufsatz von Götz Kubitschek, dem Chefideologen der AfD, lesen.
Ein Tag nach der Tat in Halle: „Wir müssen uns den Nährboden anschauen“
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