Was wird hängenbleiben von diesem Lichtfest 2019? Der dunkle Schatten, der darüber lag, weil Stunden zuvor in „unserer Schwesterstadt Halle“ (Burkhard Jung) ein radikalisierter Rechtsradikaler bei einem missglückten Anschlag auf die dortige Synagoge zwei Menschen ermordet hat? Das bestimmt. Tatsächlich war es die Schweigeminute nach Burkhard Jungs kurzer Ansprache, die an diesem Abend das meiste mit dem 9. Oktober 1989 gemein hatte.
Darüber täuschen auch die brillanten Bilder nicht hinweg, die Tom Schulze, Stefan Hoyer und Bertram Kober im Auftrag der LTM von diesem Abend angefertigt haben, der ein leicht regnerischer war. Deswegen dominieren Regenschirme das Bild. Und ein Spruch bleibt hängen, da auch die Redner auf der Treppe der Oper irgendwann im Regen standen.
„Das ist das erste Mal, dass ich von Herrn Jung beschirmt werde.“ Das sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der an diesem Mittwoch nicht nur an der Veranstaltung im Gewandhaus teilnahm, wo Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Rede zur Demokratie hielt, sondern auch am Lichtfest selbst.
Ein Satz, der vieles beinhaltet: Einmal wohl auch das Wichtigste, was Kretschmer in seiner kurzen Ansprache auch ansprach: Die Fähigkeit von Menschen mit unterschiedlichen politischen Positionen zusammenzuarbeiten, Demokratie gemeinsam zu gestalten.
Das klingt jetzt gleich wieder platt, weil dieses Beschwören der Demokratie inzwischen auch schon zur Plattitüde geworden ist. Zu einer Floskel, die im politischen Alltag dann schnell wieder diversen Machtspielchen weicht.
Man kann den Satz auch als kleine Stichelei verstehen. Aber auch als eine Äußerung von Verletzlichkeit. Denn wer schützt eigentlich den sächsischen Ministerpräsidenten, wenn er versucht, einen ganz und gar nicht friedlichen demokratischen Laden zusammenzuhalten? Das geht in seiner eigenen Partei los, die heillos zerrissen ist zwischen einem pragmatischen liberalen Flügel und einem erzkonservativen Flügel, der am liebsten sofort mit der AfD koalieren würde.
Gut vorstellbar, dass sich da auch ein um Zusammenhalt bemühter Ministerpräsident manchmal einen Partner wünscht, der ihm den Rücken stärkt. Oder eben den Schirm hält.
Oder um es einmal so zu formulieren: An diesem Abend standen auch Männerbilder im Fokus. Auch deshalb löste dieser Satz etwas aus. Denn was trieb den 27-jährigen Attentäter in Halle dazu, derart auszuticken? Die Zeitungen berichten von Rap, den er hörte, während er versuchte, seine Anschlagspläne umzusetzen. Er hatte sein Auto mit einem großen Waffenarsenal vollgepackt, fluchte die ganze Zeit, schimpfte auf die Juden, mit denen er in seinem kleinen anhaltinischen Dorf garantiert nie in Berührung kam.
Das Ganze erinnerte ja auch an den ebenso ins Internet übertragenen Anschlag eines Rechtsradikalen in Neuseeland, dort auf eine Moschee. Mit einer Aktion, in der sich der vermeintliche Held scheinbar wie in einem Videogame als erfolgreicher Mörder inszeniert, versucht dieser Mensch in eine Heldenrolle zu schlüpfen und damit zu etwas zu werden, was ihm im Alltag sichtlich nicht gelingt.
Als gäbe es nichts wirklich mehr Wichtiges zu tun und sich zu engagieren. Das Ereignis in Halle korrespondierte an diesem Abend mit einem ganz ähnlichen, an das Burkhard Jung erinnerte, als er Aleksandra Dulkiewicz, Oberbürgermeisterin der Stadt Danzig, das Wort übergab.
Denn Aleksandra Dulkiewicz ist ja die Nachfolgerin von Pawel Adamowicz, der bis Januar Oberbürgermeister von Danzig war und dem Messerattentat eines Mannes erlag, der wegen „mehrerer Banküberfälle mehr als fünf Jahre lang in Haft gesessen“ hatte und „nach Medienangaben zunehmend an psychischen Problemen“ litt.
So zu lesen zumindest bei Wikipedia. Aber Pawel Adamowicz war nicht irgendein Oberbürgermeister. Er sah sich selbst – so wie auch Aleksandra Dulkiewicz – in der Tradition der Solidarnosc-Stadt Danzig, eines europäischen, demokratischen und solidarischen Polens. „Ohne die Polen hätte es die Revolution in Deutschland nicht gegeben“, sagte Jung noch. Und Aleksandra Dulkiewicz machte deutlich, wie unbehaglich ihr die nationalistischen Entwicklungen in einigen Staaten Europas sind.
Denn nicht nur in Deutschland versuchen Rechtsradikale und Nationalisten ja, die Gesellschaft zu unterminieren und zu radikalisieren und gerade die scheinbar abgehängten Männer wieder mit nationalistischen, fremden- und judenfeindlichen Denkweisen zu ködern.
Das Attentat auf Pawel Adamowicz steht genauso für diese Radikalisierung wie der Anschlag in Halle.
„Aber ich habe keinen mit einer Deutschlandfahne gesehen“, wunderten sich einige der mit mir Lauschenden und Laufenden. Da war ich also nicht der Einzige, der erwartet hatte, dass unsere frisch angemalten Nationalisten, die sich so gern als Alternative verkaufen, auch das Lichtfest noch benutzen, um ihre Anmaßung zu zelebrieren. Nur ein einsamer Betrunkener stand stolz-besoffen im trockenen Brunnenbecken vor der Oper und wedelte – mit einem DDR-Fähnchen.
Was hörte man wirklich, wenn man hinhörte?
Die LTM fand die Worte der Leipziger Zeitzeugin Kathrin Mahler Walther zu der angespannten Atmosphäre am 9. Oktober 1989 besonders berührend: „Welche Angst hatten wir damals! Die Luft – zum Zerreißen gespannt. Und dann dieser Abend. Es wurde nicht geschossen. Hier in Leipzig kam es zum Tag der Entscheidung.“
Das war wirklich eine berührende Stelle. Immerhin war sie 1989 erst 18, eine der jüngsten unter den damals wirklich aktiven Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern. Aber sie erinnerte auch daran, dass es damals nicht nur um Demokratie und eine Veränderung der Verhältnisse ging, sondern dass ein wichtiges Anliegen der Bürgerrechtler damals auch der Umweltschutz war. „Heute ist der Leipziger Himmel nicht mehr voller Ruß“, sagte sie.
Merkte dann aber auch an, dass man sich nicht ausruhen darf. Denn zwar geht es den meisten Ostdeutschen heute gut, besser als damals. Aber heute trägt unser Lebensstil dazu bei, die Welt zu zerstören. Wir müssten uns bewusst werden, dass unsere Art zu Leben auch den Klimawandel verschärft. Und deshalb brauche „Fridays For Future“ jede Unterstützung von uns.
Das war die Stelle, an der besonders deutlich wurde, dass das Lichtfest 2019 an einer auffälligen Leere litt. Nachdem man die durchaus diskutablen Inszenierungen von Jürgen Meier aus den Vorjahren gestrichen hat, gab es nun kein Bühnenprogramm mehr, keine Videosequenzen, keine Schauspieler, kein Orchester, kein Ballett. Natürlich auch keinen tanzenden Honecker, der die konservativen Gemüter der Leipziger Highsociety so beleidigt hatte, dass sie gleich mal die schnellstmögliche Ausladung Jürgen Meiers verlangen.
Das ist geglückt.
Aber übrig blieb eine seltsame Leere, die eigentlich noch deutlicher machte, wie sehr das Lichtfest mit seinen Teelichtern, den Reden, dem Ring-Marsch aller fünf Jahre ritualisiert ist. Darüber konnten auch die Lichtcollagen von Victoria Coeln, die auf den Gebäuden am Ring zu sehen waren, nicht hinwegtäuschen. Und auch nicht die Soundcollagen aus den überall aufgestellten schwarzen Boxen. Die schon seit Tagen standen und von wohl extra engagierten Frauen und Männern in orangen Westen seit Tagen bewacht wurden. All diese stillen Helfer drängen sich immer mehr ins Bild.
Seit dem Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt 2016 gehören ja auch Betonsperren zum Bild des Lichtfestes. Taschenkontrollen gab es auch schon, diesmal aber noch gründlicher. Alles Maßnahmen, die natürlich die 75.000 schützen sollten, die diesmal auf den Augustusplatz kamen. Aber die auch daran erinnern, dass seit Jahren etwas gewaltig schiefläuft in unserer Welt. Denn die Gewalt, die 1989 bekämpft und – friedlich – besiegt wurde, war eine andere Gewalt.
Damals war sie greifbar. Heute ist sie diffus, sorgt die zunehmende Radikalisierung an den Rändern der Gesellschaft dafür, dass immer öfter mit solchen radikalisierten Männern gerechnet werden muss, die mit Waffen Amok laufen und versuchen, mit möglichst blutigen Anschlägen möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen.
Die Solidarität in unserer Gesellschaft ist genauso zermürbt wie die (souveräne) Friedfertigkeit. Damals überwanden wir unsere Angst, sagte Kathrin Mahler Walther. Und heute? Heute lassen wir uns von der Angstmache radikalisierter Männer in einen Zustand treiben, in dem wir nicht mehr wagen, Gesicht zu zeigen?
Auch das lag über dem Platz, auch wenn eine gewisse Gelassenheit dominierte. Man war zwar – wie Kretschmer betonte – zusammengekommen, um gemeinsam die Demokratie zu feiern. Immerhin etwas, was in Sachsen eher die Ausnahme ist. Auch Sachsen ist tief zerrissen und in weiten Teilen ganz und gar nicht mehr solidarisch. Aber gerade dieser Hinweis machte deutlich, dass das Gemeinsame verschwunden zu sein scheint: Wofür steht das Lichtfest noch? Nur noch für die Erinnerung an diesen mutigen 9. Oktober 1989?
Ehrlich? Das ist zu wenig. Eigentlich hat es Kathrin Mahler Walther deutlich genug gesagt: Wer den schönen Glanz nur in der Vergangenheit sieht, der hat nicht begriffen, dass die viel gefeierte Demokratie kein Zustand ist, keine Errungenschaft, die man sich einrahmt und an die Wand hängt. Und auch nichts, was einem als Geschenk dauerhaft verbleibt. Dazu zerren zu viele eitle Männer an ihren Fetzen, getrieben von Gier, Macht und jenem Knacks in der Schüssel, der diese ratlosen Geschöpfe zu Attentätern, Maul- und Revolverhelden macht.
Zeit für einen Clip mit Hagen Rether.
Hagen Rether über Werte und Helden – 26.3.2016
https://www.youtube.com/watch?v=nJnag6Sq3YY
Was bleibt?
Das Gefühl, dass das Lichtfest keine Zukunft hat, wenn es es nicht schafft, wirklich zu 1989 zurückzukehren, zu diesem Moment des Übergangs in den aufrechten Gang, den Kathrin Mahler Walther beschwor. Der auch einer der Ermutigung und der Ermächtigung war. Das hat Leipzig eine Zeit lang ausgezeichnet und gestärkt, dieses selbst erlebte Gefühl, dass man menschliche Werte nicht nur im Mund führen darf, in schönen Sonntagsreden platzieren und so tun, als sei nun alles paletti. Was ja Michael Kretschmer so anklingen ließ.
Deswegen war sein nicht geplanter Spruch mit dem Schirm so erhellend. Kretschmer ist klug genug, um genau das zu wissen. Wer ein offenes Land mit freien Menschen (so der Spruch von 1989, der diesmal zum Motto wurde) nicht immer wieder neu gestaltet und auch die Verwirrten, Ratlosen und Verängstigten einbindet und mitnimmt, der verliert es ganz bald. Dann erstickt es unter einer Tonnenlast von Sicherheitsmaßnahmen und verschärften Polizeigesetzen.
Gut – an die Polizeigesetze hab ich an dem Abend nicht gedacht, auch nicht, als ich die hübsch in Froschgrün leuchtenden Verkehrspolizisten bei ihrem angeregten Plausch auf der Kreuzung sah. Da war mir das Herumspazieren auf dem Ring schon etwas aufgedröselt, weil sich die noch am Augustusplatz dicht gedrängte Menge sichtlich verkrümelte.
Zwei etwas ältere Damen kritisierten noch die Lichtprojektion am Hauptbahnhof: „Nein, so kaputt war der Hauptbahnhof damals wirklich nicht.“ Sie erinnerten sich sichtlich noch an den kriegszerstörten Hauptbahnhof nach 1945.
Aber selbst mit diesen sich auflösenden Zehntausenden wirkte der Ring eher verlassen. Er musste ja nicht mehr erobert werden wie 1989. Heute sind solche Ringläufe angemeldet, der OBM muss es nur anweisen, die Polizei sperrt ab, die Straßenbahnen fahren Zickzackkurse drumherum mit exotischen Liniennummern wie 37, 28 …
Und die Leipziger, die so mitlaufen, sind mit einer erstaunlichen Gelassenheit unterwegs. Sie sind angekommen, genießen den Wohlstand und das Gefühl, Teil gehabt zu haben an einem Moment der Geschichte, der sich jetzt in hochprofessionellen Bildern einer durchsanierten Stadt aufgelöst hat. Wo lauert da noch Gefahr?
Feierlichkeiten zur „Friedlichen Revolution“ in Leipzig: Mut würdigen, zu Engagement aufrufen
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Lichtfest 2019: 30 Jahre danach. Bilder und Videos vom Abend in Leipzig
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