In Interviews haben in den vergangenen Wochen verschiedendste Engagierte auf der Seite "Wir bleiben hier" aus ihren ganz persรถnlichen Blickwinkeln beschrieben, warum sie sich wofรผr einsetzen. In einer einmaligen Aktion vor der Landtagswahl in Sachsen wollen so die Initiatoren Sandra Strauร und Schwarwel deutlich machen, wie viele verschiedene Grรผnde und Perspektiven es gibt, sich fรผr eine offene und zugewandte Gesellschaft einzusetzen. Auch und gerade im Osten. Mit dabei, der Dresdner Musiker und Architekt Michal von Banda Internationale/Comunale.
wbh: Magst du unseren Leser/-innen kurz von deiner Arbeit und deinem Leben erzรคhlen.
Ich heiรe Michal, komme gebรผrtig aus Polen, lebe seit 1989 in Deutschland, davon seit 20 Jahren in Dresden. Ich bin Architekt und Musiker.
wbh: Wo bist du aktiv, wofรผr engagierst du dich und trittst du ein?
Ich bin Klarinettist in der Banda Internationale/Comunale und spiele mit meiner Band seit fast 20 Jahren mit Blasmusik gegen Rechts an, gegen Fremdenfeindlichkeit und fรผr eine tolerante, offene Gesellschaft.
wbh: Wie fรผhlt es sich an, in Sachsen Politik aktiv mitzugestalten?
Manchmal demotivierend, anstrengend, enttรคuschend, erschreckend, frustrierend. Auf der anderen Seite aber auch ganz gegenteilig. Wir machen in erster Linie Musik, unterhalten Menschen, schaffen Momente des Frohsinns und der Unbekรผmmertheit, des Beisammenseins. Hier fรคngt es vielleicht an, interessant zu werden: Gemeinsames Musizieren, positive Erlebnisse bringen Menschen nicht nur zusammen, sondern schaffen Rรคume und Aufmerksamkeit fรผr Botschaften und Bilder, die aktuell untergehen.
Da wir Einflรผsse aus verschiedenen Kulturen und Stilrichtungen in unsere Musik einflieรen lassen, hรถrt uns manchmal sowohl der Punk, das Kindergartenkind wie auch die betagte Dame aus dem Erdgeschoss zu. Unter Umstรคnden erreichen wir gleichzeitig Menschen, die mit anderen Formen des Dialogs nicht erreichbar wรคren oder sich nicht begegnen wรผrden und kรถnnen unsere Position nicht nur loswerden, sondern auch auf der Bรผhne vorleben.
wbh: Warum ist es wichtig, dass sich jede*r mit Politik beschรคftigt und diese aktiv mitgestaltet und wie?
Weil sonst Hass, Frust, autoritรคre Weltbilder, Ausgrenzung, Rassismus und Grรถรenwahn unser gemeinsames Leben bestimmen. Diese รuรerungen scheinen momentan nicht nur an Popularitรคt zu gewinnen, sondern auch รผberproportionale Aufmerksamkeit zu bekommen. Man muss sie bekรคmpfen und auch die รberzeugung, sie hรคtten eine Berechtigung, laut und dominant zu sein. Das haben sie nicht. Wenn man diese Position teilt, muss man sich mit Politik beschรคftigen und die Meinungsbildung beeinflussen.
wbh: Wie kann man die Themen Politik, Beschรคftigung mit Demokratie und unseren Grundwerten stรคrker ins Bewusstsein der รffentlichkeit bringen?
Wir haben es mit praktischen Handlungen versucht: Nachdem wir an unzรคhligen No-Pegida-Demonstrationen teilgenommen haben, Orte wie Bautzen, Riesa oder Freital besucht haben, eingeschritten sind in angespannte Situationen, in Geflรผchtetenunterkรผnften gespielt haben, ist es bei uns deutlich angekommen: Das reicht nicht bzw. das kann nicht alles sein. Also haben wir die Band geรถffnet, geflรผchtete Musiker aufgenommen und haben uns verdoppelt.
Seit fast drei Jahren machen wir nun gemeinsam weitere Projekte: Wir fahren an sรคchsische Schulen im Umland und machen mit den Kindern Krach und erzรคhlen unsere Geschichten. Mit unbegleiteten minderjรคhrigen Geflรผchteten haben wir eine neue Band gegrรผndet und versuchen sie in dem Bewusstsein zu stรคrken, mit ihren Geschichten und kultureller Prรคgung dazuzugehรถren und gesellschaftlich relevant, wichtig und geschรคtzt zu sein.
Aktuell stellen wir gemeinsam mit dem Auslรคnderrat Dresden e.V. einen groรen Fรถrderantrag, um auch in den nรคchsten drei Jahren diese musikpรคdagogischen Angebote durchziehen zu kรถnnen. Die Amadeu Antonio Stiftung konnten wir dafรผr als weiteren Partner gewinnen. Dazu gehรถrt jetzt auch interkulturelle musikalische Arbeit in Gefรคngnissen. Und da haben wir so oft es geht professionelle Fotografen oder Filmemacher dabei und versuchen Gegenbilder zu erzeugen, unsere Arbeit sichtbar zu machen und so auch andere zu ermutigen, sich zu beteiligen und Werte wie Gleichberechtigung, Toleranz und Offenheit zu verteidigen. So traurig es klingt: Das, was wir uns als Normalitรคt wรผnschen und als normal, als deutsche Realitรคt vielleicht betrachtet haben, muss sichtbar gemacht werden.
Bericht von 3Sat รผber die Banda Internationale bei einem Konzert in Freital. Video: Youtube-Channel Banda Communale
wbh: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft?
Das kann ich nicht einfach beantworten. Das ist sehr individuell und รคndert sich mit jeder Erfahrung, die man macht. Unser gemeinsames Erbe ist gewiss unsere Geschichte, kulturelle, geistige Errungenschaften. Nicht nur unsere deutsche oder europรคische Geschichte, sondern mit zunehmender digital-individueller Vernetzung auch eine gemeinsame Geschichte aller Menschen untereinander. Und dieses sich Wiederfinden in globalen Zusammenhรคngen ist auch unsere Zukunft und Verantwortung: eine fรผr mich nur gemeinsam zu betrachtende Zukunft und Verantwortung.
Ich glaube, das versuchen wir auch mit unserer Musik zu vermitteln: Dass von heterogenen Gesellschaftskonstrukten jeder und jede profitiert und dass davon weder regionale Prรคgungen untergehen und schon gar nicht ein ganzes Volk (das es im รbrigen in der von Rechtspopulisten erdachten Homogenitรคt niemals gab). Was ist unsere Zukunft? Auf jeden Fall nicht ein Europa der Nationen oder Vaterlรคnder. Die Zukunft ist die รberwindung solcher Konstrukte, nicht nur ideell, sondern auch sozial und ethisch.
wbh: Was wรผnschst du dir fรผr ein besseres menschliches Miteinander?
Soziale und kulturelle Gleichberechtigung. Die Einsicht darin, dass der Schutz von Minderheiten, die Gleichheit aller und nicht die รberlegenheit einer vermeintlichen Mehrheit die Leitidee unserer Gesellschaft verkรถrpern sollte.
wbh: Was bedeuten fรผr dich Freiheit, Schutz der Menschenwรผrde und Gleichberechtigung?
Das Fundament der Gesellschaft, in der ich leben will und in der ich mich engagiere und an der ich Teil haben will.
wbh: Wie wichtig sind Kunst und Kultur, Bildung, Medienkompetenz, Soziales, Jugendhรคuser und psychologische Betreuung fรผr unser Zusammenleben?
Sehr wichtig. Das sind Ebenen, auf denen aktiv unser Zusammenleben betrachtet, verhandelt und gelebt wird.
wbh: Im Hinblick auf die Landtagswahl im Sep 2019: Was kann jede/r Bรผrger/-in aktiv tun, um dem Rechtsruck mit demokratischen Mitteln entgegenzuwirken?
Kรคmpfen, laut sein, auf die Kacke hauen, rote Linien ziehen, diejenigen, die Verantwortung tragen, an diese Linien immer erinnern (zuvorderst die Polizei und die regierenden Parteien), Teilnehmen am Diskurs, demonstrieren, Gesicht zeigen, solidarisch sein. Jeden Tag. Wรคhlen gehen.
wbh: Was sind deines Erachtens in Sachsen und Brandenburg die Grรผnde fรผr den Aufstieg der AfD bei der Europa- und Kommunalwahl?
Da kรถnnte man Bรผcher mit fรผllen. Eine fast wichtigere Frage ist, warum man es nicht schafft, der AfD mit positiven Visionen das Wasser abzugraben. Ich frage mich wirklich, wo diese Aussichten bleiben und ob das wirklich alles ist, was Team Kretschmer und leider auch die SPD aufs Parkett bringen wollen in Sachsen. Wenn es so ist, dann hat Sachsen vielleicht auch die AfD verdient? Na gut, das wรคre zu hart. Drei Viertel der Wรคhlenden wรคhlen nicht die AfD. Die Grรผnde fรผr den Zuspruch fรผr rechtsextreme Weltsichten sind vielschichtig.
Abgesehen von historischen Grรผnden, sympathisieren Menschen in vielen Lรคndern gerade wieder mit autoritรคren Despoten, weil diese so gut mit gekrรคnkter Wรผrde jonglieren kรถnnen. Im Grunde ist das einer der wichtigen Punkte: Wertschรคtzung. Baue einen Feind auf, der es vermeintlich auf die Wรผrde deiner potentiellen Wรคhlerschaft abgesehen hat, und du hast das Volk bei den Klรถten: die EU, die Presse, die Flรผchtlinge, die Wessis, die Homosexuellen, die Juden. Hat schon oft funktioniert. Dann beginnt sich eine paranoide Spirale an zu drehen, die kaum aufzuhalten ist. Der Ausgangspunkt ist eine Gemeinschaft, deren Horizont vor allem auf sich selbst bezogen ist.
wbh: Angenommen, die AfD zieht in Sachsen zur Landtagswahl mit den gleichen Ergebnissen wie nach der Europa- und Kommunalwahl in den Sรคchsischen Landtag ein, welche Auswirkungen kann das fรผr die Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Soziales haben?
Dann werden sie uns ziemlich auf die Nerven gehen und vieles kaputt machen, wofรผr sehr viele Menschen hart gearbeitet haben, ohne wirkliche Lรถsungen fรผr tatsรคchlich existente Probleme zu bieten. Denn die gibt es natรผrlich. Nur nicht im Programm der AfD.
wbh: Wie kann man Demokratie-Initiativen und Protagonist/-innen vor Ort aktiv unterstรผtzen und ihr Engagement stรคrken?
Wer ist mit โmanโ gemeint? Man selbst als Bรผrger, Deutscher, Demokrat? Die Bundesregierung? Der Bundesanwalt? Die Kulturstiftung des Bundes? Die Bundespolizei? Ich glaube und hoffe, dass es auf Bundesebene รberlegungen gibt, wie man solche Fail-States wieder in den Griff bekommt. Denn wenn die AfD an Justiz oder Bildung anfรคngt rumzufummeln, dann sind ganz grundsรคtzliche Bereiche der Ordnung gefรคhrdet, auf die man sich in Deutschland immer und trotz AfD verlassen kรถnnen muss. Da helfen Engagement oder Demokratie-Initiativen vielleicht gar nicht mehr.
Da muss der Staat ran. Aber prinzipiell muss die Arbeit engagierter Menschen unterstรผtzt werden โ ideell und monetรคr โ und sichtbar sein. Da mรผssen wir gemeinsam durch. Da reicht es nicht aus Kรถln, Bonn oder Frankfurt seine Expertenmeinung loszuwerden. Da muss man die Sachsen als das betrachten, was sie sind: mehrheitlich freiheit- und demokratieliebende Mitbรผrger, die konkrete Unterstรผtzung gegen Rechts brauchen. Da muss man auch mal nach Sachsen reisen, zusammenhalten und zusammenwachsen. Denn die Verรคnderungen in Sachsen fallen am Ende allen auf die Fรผรe.
wbh: Wie kann man Nichtwรคhler/-innen erreichen, damit sie wรคhlen gehen?
Weiร ich nicht. Ich weiร auch nicht, ob das eine so wichtige Frage ist. Die Frage nach Partizipation an demokratischen Prozessen, an der Gesellschaft an sich, auf die jeder Einfluss haben kann, finde ich irgendwie wichtiger. Um diese Bereitschaft muss man sich bemรผhen und dazu gehรถrt natรผrlich auch die Wahlbereitschaft, aber auch vieles andere mehr.
wbh: Wie kann man Menschen, die sich benachteiligt und abgehรคngt fรผhlen, bspw. Menschen, die nach dem Mauerfall viel verloren haben, Angst um ihre Existenz und vor รberfremdung haben, erreichen und in die Gesellschaft zurรผckholen?
Man muss leider konstatieren: Nach 30 Jahren ist die Vision eines zusammengewachsenen Deutschlands nach wie vor weit entfernt. Fรผr mich als Auslรคnder sind da noch einige andere Fragen offen, die von emotional-nationalen Bedรผrfnissen nicht bedient werden: Wo war der Platz in dieser Vision fรผr diejenigen, die hier seit Generationen leben oder erst seit kurzem, einen betrรคchtlichen Teil der Gesellschaft darstellen, sich aber innerhalb dieses Ost-West-Traums niemals befunden haben? Die Frage ist also: Wie finden wir alle einen gemeinsamen Status Quo, eine gemeinsame Vision, die alle einschlieรt? Diese kann fรผr mich nur jenseits solcher nationalen Zuschreibungen liegen. Und sie birgt, wenn sie ernst gemeint ist, fรผr niemanden mehr einen Grund fรผr Existenzรคngste.
wbh: Warum haben deines Erachtens Menschen Angst vor โdem bรถsen schwarzen Mannโ, vor Migrant/-innen und Muslimen?
Heutzutage? In Europa? Weiร ich nicht. Paranoia. Internet. Ignoranz. Grรถรenwahn.
wbh: Meinst du, viele Menschen fรผhlen sich von Politiker/-innen nicht entsprechend ihrer Meinung vertreten und abgeholt? Herrscht eine groรe Kluft zwischen Politiker/-innen und Bรผrger/-innen?
Das trifft vermutlich zu, je hรถher der Dienstgrad. Angela Merkel wรผrden manche Sachsen ja schon lรคnger gern lynchen, weghaben, verbannen, entsorgen. Aus eigener Erfahrung in Sachsen kann ich sagen, dass jede Politikerin und jeder Politiker erreichbar und ansprechbar ist. Das sollte man wirklich wahrnehmen und nutzen. Auf der anderen Seite ist es natรผrlich vermessen, diese Berufsgruppe fรผr alles verantwortlich machen zu wollen. Vor allem fรผr sein eigenes Schicksal oder das, was man dafรผr hรคlt. Und sich herauszunehmen, jemanden zu bedrohen, verletzen zu wollen oder gar es tatsรคchlich zu tun, weil man nun die Ursache fรผr seine eigene gekrรคnkte Wรผrde bei demjenigen zu finden glaubt. Da hat man etwas ganz grundsรคtzlich missverstanden.
wbh: In den sozialen Medien war zu lesen, dass man weniger auf die โBedรผrfnisseโ der besorgten und Wutbรผrger/-innen eingehen soll, sondern eher auf die unserer Jugend. Wie siehst du das?
Wenn man sich die rechtsdrehenden Montags-Prozessionen in Dresden anschaut, fragt man sich schon, wen diese Leute reprรคsentieren und ob es sich um die eigene Zukunft handelt, die da vorbeimarschiert. Zum Glรผck gibt es eine wirklich positive, zukunftsweisende, junge Gegenveranstaltung. Jeden Freitag.
wbh: Wie wichtig sind Zivilgesellschaft und Zivilcourage?
Sehr wichtig und in Sachsen manchmal leider Mangelware.
wbh: Wie kรถnnen wir unsere Demokratie schรผtzen und stรคrken?
Viele Leute denken ja, das wird schon wieder alles irgendwie von ganz allein. Das glaube ich nicht. Gerade in solchen herausfordernden Zeiten sollte jeder ein wenig Zeit fรผr gesellschaftlichen Zusammenhalt zu finden versuchen, ein wenig mehr Mut fรผr Zivilcourage, ein wenig mehr Begeisterung fรผr Solidaritรคt.
wbh: Was verbindest du mit: Wir sind mehr!
Schรถn wรคrโs.
wbh: Was bedeutet fรผr dich: Wir bleiben hier!
Schรถn wรคrโs. Glaube ich aber nicht uneingeschrรคnkt dran und werde auch nicht jeden und jede versuchen, davon zu รผberzeugen. Wenn Rassismus, Wut, Hass, Nationalstolz, Verachtung die Oberhand gewinnen, dann heiรt es fรผr mich auf jeden Fall: nichts wie weg hier. Und dann hoffe ich, dass andere ebenfalls die Weitsicht besitzen, sich rechtzeitig vom Acker zu machen.
#wirbleibenhier (1): Bleiben. Aushalten. Widerstehen.
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