Er war der war Star des 12. GRK Golf Charity Masters am 27. Juli: „Der Anbräuner“, das Gemälde von Neo Rauch, das zumindest im deutschen Feuilleton in letzter Zeit gewaltige Wellen schlug, eine Art Antwort auf einen Artikel in der „Zeit“, in dem der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich den Leipziger Maler irgendwie in die rechte Ecke stellte. Dafür wurde Ullrich, wie es die „Zeit“ sieht, nun zu einem eher Karikierten in einem Rauch-Gemälde, das sich CG-Chef Christoph Gröner nun ins Foyer eines neuen Vereins hängen will.
Den er erst „Verein für den gesunden Menschenverstand“ nennen wollte, jetzt soll es es ohne „gesund“ gehen. Dahinter will er eine Art Redaktion platzieren, die im Netz eine Art mit Fakten arbeitende Aufklärungswebsite betreiben soll. Noch eine, könnte man sagen.
Ob das den noch anzuheuernden Redakteur/-innen gefallen wird, jeden Tag an diesem Bild vorbei zu müssen, das selbst ein Missverständnis ist. Eine Art Rauch’scher Seitwärts-Ausbruch aus einer Debatte, in der es die ganze Zeit um den Osten geht und die Sichtweise auf das, was da nun vorgeht und wie die Menschen dort ticken.
Gleichzeitig ist es eine Debatte über Moderne, Vormoderne und Restauration. Eine Interpretation, die Rauch selbst befeuert hat, als er vor einem Jahr in einem „Zeit“-Interview sagte:
„Für mich sind sie eine Art Sehnsuchtszone, in die ich mich in schwachen Momenten zurückziehe. Vielleicht habe ich schon einmal eine Existenz fristen dürfen. Es tauchen hin und wieder auch preußische Landsturm-Männer auf oder zumindest Figuren, die so interpretiert werden können. Dieser nationale Zusammenhalt gegen Napoleon, dieser Befreiungskrieg, rührt mich immer noch an. Darüber hinaus ist es in formal-ästhetischer Hinsicht eine Zeit, in der ich lieber leben würde als in der heutigen. Da war alles noch in bester Ordnung. Es gab keine einzige hässliche architektonische Ausformung. Es war alles einem harmonischen Maß unterworfen.“
Da gehört schon einiges dazu, das Preußen des Jahres 1813 als eine Art Sehnsuchtzone zu betrachten. Aber es sind ja nicht nur die Landsturmmänner, die immer wieder in seinen Bildern auftauchen. Das war schon 1997 zu beobachten, als Neo Rauch den Kunstpreis der LVZ bekam, aber noch gar nicht mit den großen Ölbildern präsent war, die heute sechsstellig auf dem Kunstmarkt gehandelt werden.
Da waren es eher kleine Arbeiten, in denen Rauch eine grafische Collagetechnik verwendete und die Zeitebenen ineinanderfließen ließ, Menschen in den Kostümen des 19. Jahrhunderts in heutigen, technischen Kulissen abbildete wie Gestrandete, Verirrte, aus der Zeit gefallen. 1997 durfte man dabei durchaus auch noch an die Menschenbilder der DDR-Propaganda denken, an den Arbeiter als Schöpfer der Neuen Zeit oder die „Ingenieure des Geistes“. Die ingenieurtechnischen Träume der Vergangenheit wurden kühn in die Zukunft projiziert – nur war diese Zukunft nirgendwo zu sehen, nicht greifbar, eine dunkle, unerforschte Landschaft, wie sie oft auch in Rauchs Bildern zu sehen ist. Eine Art (Alb-)Traumlandschaft, in der noch die Baracken der Bauarbeiter stehen, das Scheitern allein an den Dimensionen der Welt genauso spürbar wie der Versuch, der atmenden Welt seine Macht aufzuzwingen.
Das Figurenensemble Rauchs ist seitdem deutlich reicher geworden, auch wenn seine Gestalten nach wie vor so wirken, als seien sie aus Bildern Schwinds oder Runges unglücklicherweise in eine Welt geraten, in der sie sich fremd und ratlos fühlen. Und ziemlich einsam. Selbst wenn sich die Personen im Bild drängen, entstehen keine echten Kontaktaufnahmen, schauen die Gemalten fast traumwandlerisch aneinander vorbei. Als wären sie im Geist ganz woanders. Zum Beispiel im Hunger- und Kriegsjahr 1813.
Nur nicht hier und jetzt, schon gar nicht im direkten Gespräch mit dem Betrachter.
Vielleicht muss man die Bilder tatsächlich mit dem östlichen Blick sehen, um darin auch eine ostdeutsche Wirklichkeit zu erkennen, ein Durcheinander der Zeitebenen, das entsteht, wenn eine komplette Gesellschaft aus einer unvollendeten Vergangenheit in eine Zukunft geschleudert wird, die nicht als die eigene empfunden wird, sondern als eine fremde, übergestülpte, in der man durchaus soziale Sicherheit finden kann und sich trotzdem nicht geborgen fühlt, nicht eins mit dem aktuell im Kalender zu lesenden Jahr. So, als laufe das Ländchen immerzu um mehrere Jahre, gar Generationen hinter einer Moderne hinterher, die nur als Einbruch in das eigene Leben empfunden wird, das dazu nicht passen will.
Ein kühner Anspruch, die Zeit solle sich anpassen, wenn man selbst sich nicht anpassen will.
In Sachsen hat das eine durchaus politische Ebene.
Und wer sich die sächsische Politik seit 1990 anschaut, der weiß eigentlich, wie sehr der ganze Freistaat in seiner eigenen Vergangenheit verhaftet blieb, stets die Imagination einer verlorenen Geborgenheit auch Politik wurde. Oder politische Verheißung. Eine Verheißung, die man auch in die Worte fassen könnte: „Ihr bekommt die Segnungen der blühenden Landschaften, aber ihr müsst eure Orte der Geborgenheit nicht verlassen.“
Obwohl auch das Kabinett Biedenkopf wusste, dass die Anpassung des neu erschaffenen Landes Sachsen an das neue, westlich konnotierte Gebilde Bundesrepublik genau das würde verlangen müssen: das Verlassen der Geborgenheit. Den Aufbruch in eine herausfordernde Unbequemlichkeit, die für viele regelrecht zur Zumutung wurde. Und wie die Ostdeutschen diese Zumutung annahmen, lag immer an ihnen selbst. Das reichte von Verweigerung bis zur blinden Anpassung. Und natürlich gab es auch die jungen Ostdeutschen, die die Herausforderungen annahmen und die hereinbrechende Moderne als Chance begriffen.
Wie tief gerade die sächsische CDU und die AfD in der sentimentalen Verklärung der Vergangenheit stecken, zeigte ja erst jüngst die Leipziger Schweinefleisch-Affäre. Dieser medial begleitete Versuch, von außen einen ganzen Kindergarten erziehen zu wollen. Auch das ist ostdeutsch, dieses eingebaute Verbot, aus der Reihe tanzen zu dürfen. Und dann dieser König Kurt, der „seine Sachsen“ auch deshalb hinter sich versammelte, weil er ihnen immer wieder suggerierte, sie müssten sich nicht ändern, sie müssten nur anpacken wie früher, und dann blühe das Land von ganz allein, würden sie die Früchte ihre Fleißes ernten. Und ansonsten bliebe alles beim Alten.
Obwohl gerade der Wirtschaftsprofessor nur zu gut wissen musste, dass gar nichts beim Alten bliebe. Aber er war halt nur Wirtschaftsprofessor und Politiker. Er musste sich nicht ändern (und dann zurücktreten, als er sich nicht ändern wollte). Es wundert deshalb auch nicht, dass gerade viele Dresdner sich zurücksehnen in eine heilere Vormoderne, in eine Zeit ohne all die Zumutungen, die sie als „zu viel“ empfinden. Als etwas, das sie so 1990 gar nicht bestellt hatten, als doch augenscheinlich eine schillernde Bundesrepublik zur Wahl stand, die sie bestens aus dem Fernsehen kannten.
Rauchs Bilder machen es ja sichtbar: Der Osten ist zu einem Konfliktfeld der Vormoderne mit einer Moderne geworden, die sich eben nicht auf Autos, Flugzeuge und Smartphones beschränkt, sondern ins tägliche Leben selbst eingreift, die Kulissen in Bewegung setzt. Jene Kulissen, die Rauch für die Zeit der Befreiungskriege als harmonisch begreift. Harmonie als ein Gefühl des Gleichgewichts, des Zur-Ruhe-Kommens, das die Bewohner des Ostens eigentlich nicht mehr kennen. Sie leben in zwei Zeiten und immerfort möchte etwas in ihnen zurück in als harmonisch erinnerte Zustände irgendwo in der Vergangenheit.
Genau so, wie vor 200 Jahren die Spätromantiker mit den Disharmonien ihrer Gegenwart umgingen: Sie erfanden sich eine romantische Vergangenheit, ein von allen Schrecken bereinigtes Mittelalter.
Natürlich ist es Fakt, dass sich die Sachsen 1990 lieber diese Retro-Variante gewählt haben, die ihnen zumindest gedanklich die Last nahm, über all die Herausforderungen nachzudenken, die eine wie auch immer geartete Transformation in die (westliche) Moderne mit sich bringen würde. Dieser Wunsch beherrscht noch immer die Hälfte aller Sachsen. Als könnten sie damit vermeiden, darüber nachzudenken, wie ein modernes Sachsen eigentlich aussehen könnte. Eines, das man nicht einfach geschenkt oder aufgebürdet bekommt, sondern selbst schafft, organisiert und gestaltet. Ein Sachsen, das kein zu bewahrender Ort aus der glorifizierten Vergangenheit ist, sondern eine Arbeitsaufgabe, die man mit Lust annimmt …
Das lasse ich als offene Frage stehen. Weil es darin um etwas geht, was die große, bräsig gewordene Bundesrepublik ebenso betrifft. Sie ist kein wirklich modernes Land. Sie führt keine modernen Diskussionen und gestaltet das Kommende auch nicht, sondern lässt es über sich ergehen und bremst und verhindert und vertagt, als sei das Gestalten möglicher Zukünfte eine Zumutung. Etwas Unerhörtes. Dieses Denken in alten Mustern beruhigt irgendwie. Aber nur einen Moment lang. Denn die Welt verändert sich trotzdem weiter. Die Sehnsuchtsorte gibt es nur in der Erinnerung, egal, wie fremd wir uns in der Gegenwart fühlen. Die Frage ist nur: Wer prägt dann eigentlich unser Denken über diese ungleichzeitige Gegenwart?
Überwiegt letztlich die Sehnsucht in eine Geborgenheit, die es nicht mehr gibt? Hat sie mehr emotionale Überzeugungskraft? Oder lähmt sie uns, so, wie diese ganze Diskussion um rechts und links lähmt, wo es doch immer nur um Moderne geht oder den Versuch einer Restauration. Und man weiß die ganze Zeit, dass es nicht funktionieren kann, dass es ein Zurück nicht gibt. Und wer zurückwill, bekommt im günstigsten Fall einen neuen Metternich und eine preußische Zollkontrolle.
Neo Rauch, Lohengrin und ein Kommentar, der nie den Grünen Hügel erreicht hat
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