Immer mal wieder reisen Antifaschisten aus der Groรstadt in die Provinz, um dort auf rechte Angriffe und Strukturen aufmerksam zu machen. Wohl keine andere Stadt nahe Leipzig durfte sich in den vergangenen Jahren so oft รผber Besuch โfreuenโ wie Wurzen. Dort berichten Linke und Migranten von regelmรครigen Angriffen. Anlรคsslich der ersten Sitzung des neuen Stadtrates fand am Dienstag, den 27. August, erneut eine Antifa-Demonstration in Wurzen statt.
Eine kleine Gruppe Jugendlicher taucht kurz nach 16 Uhr am Bahnhof in Wurzen auf. Sie ist gekommen, um Anreisende aus Leipzig zu begrรผรen โ auf ihre Art. Einige von ihnen rufen: โFrei, sozial und nationalโ.
Normalerweise rufen Neonazis diese Parole. In diesem Fall sind es Personen, die teilweise hรถchstens 15 Jahre alt sind. Sie gesellen sich zu einer anderen Gruppe etwas รคlterer Menschen. Auch diese warten an diesem Dienstagabend, den 27. August, auf die Gรคste aus Leipzig.
Einige Minuten spรคter ist der Zug aus Leipzig da . Etwa 150 รผberwiegend dunkel gekleidete Menschen laufen auf die Flรคche zwischen Bahnhof und Park. Mit Bannern schirmen sie sich von fotografierenden Beobachtern ab. Neben dem einheimischen Empfangskomitee sind auch einige Journalisten und Alkohol trinkende Gaffer erschienen.
Auf den Bannern sind antifaschistische Botschaften zu lesen: โWer schweigt, stimmt zuโ etwa oder โRassismus tรถtet!โ. Viele der Anwesenden sind vermutlich nicht zum ersten Mal von Leipzig nach Wurzen gereist. In den vergangenen Jahren fanden hier immer wieder Demonstrationen gegen Legida, rechte Gewalt und neonazistische Netzwerke statt.
Diesmal steht die Veranstaltung unter dem Motto โKeine Stimme den Faschos. Den rechten Foren den Raum nehmen!โ. Das bundesweite Bรผndnis โIrgendwo in Deutschlandโ sowie das Leipziger โLadenschlussbรผndnisโ und die Gruppe โRassismus tรถtet!โ haben dazu aufgerufen. Die linke Stadtrรคtin und Landtagsabgeordnete Juliane Nagel hat die Demonstration angemeldet.
Anlass fรผr die Fahrt nach Wurzen ist die erste Sitzung des neuen Stadtrates. Rechtsradikale Organisationen kommen darin auf etwa ein Viertel der Sitze. Neben der AfD ist auch das โNeue Forum Wurzenโ im Lokalparlament vertreten. Im Vorfeld der Kommunalwahl gab es gemeinsame Veranstaltungen beider Organisationen.
Mitglieder der Forum-Fraktion sind ebenfalls am Bahnhof erschienen, darunter der โImperiumโ-Kampfsportler Benjamin Brinsa, der als wichtiger Akteur der regionalen Neonaziszene gilt. Auf einem Schild nahe dem Bahnhof ist zu lesen: โDas Neue Forum steht Rede und Antwortโ. Seitens der Antifaschisten besteht allerdings kein Bedarf, mit den Rechtsradikalen zu reden.
Etwa 50 Personen haben sich rund um die knapp 200 Demoteilnehmenden versammelt. Die Grenzen zwischen Neonazis, anderen Rechtsradikalen, Betrunkenen, Jugendlichen und Schaulustigen sind flieรend. Spรคter sind auch T-Shirts der โIdentitรคren Bewegungโ zu sehen.
Wรคhrend der etwa anderthalbstรผndigen Demonstration durch Wurzen folgen die Rechten den Antifaschisten auf Schritt und Tritt. Mal posieren sie auf einem Hรผgel, mal stehen sie auf einem Parkplatz oder in einer Seitenstraรe. Hรคufig provozieren sie oder versuchen sich in Einschรผchterungen, indem sie beispielsweise Namen rufen. Viele fotografieren und filmen die Antifa-Demo.
Auf der Wiese vor dem Rathaus findet eine Zwischenkundgebung statt. Ein krรคftiger Mann mit Hund nรคhert sich den Antifaschisten und liefert sich hitzige Wortgefechte. Spรคter droht er einem Fotografen damit, ihn zu tรถten, falls dieser Fotos von ihm im Internet verรถffentlicht. Wenige Minuten nach Beginn der Ratsversammlung um 18 Uhr begeben sich die Teilnehmenden der Demonstration auf den Rรผckweg zum Bahnhof.
Ein Mann steht einsam mit einem Schild am Straรenrand. Darauf ist zu lesen, dass Wurzen seine Gรคste begrรผรe. Es ist ein vergifteter Gruร โ geschmรผckt mit einem gezeichneten Stinkefinger und Behauptungen, dass Antifaschisten unter anderem โasozialโ, โnutzlosโ, โidiotischโ und โarbeitsscheuโ seien. Es ist die Sprache der Nationalsozialisten. Ein anderer Mann zeigt offenbar den Hitlergruร. Die Polizei nimmt seine Personalien und eine Anzeige gegen ihn auf.
In den Redebeitrรคgen auf der Demonstration geht es um Menschen, die seine Ideologie teilen; die Migranten und politische Gegner angreifen. In Wurzen passiert das immer wieder. Zudem fordern die Antifaschisten, den Neonazitreff in der Kamenzer Straรe in Leipzig zu schlieรen. Dort trainiert laut Antifa-Recherchen seit 2017 das โImperiumโ-Team von Brinsa. Im Zweiten Weltkrieg befand sich an dieser Stelle ein Frauenauรenlager des KZ Buchenwald.
Wรคhrend die Demonstrierenden am Bahnhof auf ihren Zug nach Leipzig warten, legen einige der Umstehenden endgรผltig ihre Gesinnung offen. Ein wohl massiv betrunkener Antisemit fordert lautstark, die โGaskammern wieder aufzumachenโ. Auรerdem beschimpft er die Antifaschisten als โZeckenpackโ und โJudenโ und fordert: โLeute, macht euch frei, von der Judentyranneiโ. Die Jugendlichen, die in seiner Nรคhe stehen, lachen.
Dann kommt die Polizei und fรผhrt den jungen Mann ab. Ein weiterer Mann landet ebenfalls in den Fรคngen der Beamten. Dieser hatte einen Journalisten angegriffen, der die Rufe des Antisemiten gefilmt hat. Die Leipziger verlassen Wurzen nun wieder. Zurรผck bleibt eine Stadt, die grรถรtenteils keine Rechtsradikalen gewรคhlt hat, in der genau diese aber den Ton angeben.
Hysterie um geplante Antifa-Demo in Wurzen
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