Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 68Christoph Maier ist Pfarrer der Bethlehemgemeinde im Leipziger Süden und gleichzeitig Vorsitzender des Strukturausschusses der Kirchenbezirks-Synode für Leipzig. Und da hat er zurzeit mehr als genug Arbeit. Die Evangelische Landeskirche Sachsen sieht bis 2040 einen großen Exodus aus der Kirche und fordert, dass bis 2020 Gemeinden nur noch aus 6.000 Gemeindegliedern bestehen dürfen. Die Folge: Bis zu acht Kirchgemeinden müssen sich zu einer Großgemeinde, einer sogenannten Region zusammenfinden. Was das für die einzelne Gemeinde und den Gottesdienst-Besucher bedeutet und ob das nicht ein Eingeständnis für nicht getane Kirchen-Arbeit ist, beantwortet Christoph Maier hier.
Sehr geehrter Herr Maier, die evangelische Landeskirche hat im Jahr 2017 das kirchenleitende Papier „Kirche mit Hoffnung“ zur Reform der eigenen Struktur bis 2040 veröffentlicht. Was hat die Landeskirche vor?
Dem Papier geht ein längerer Prozess, der bis zur letzten Strukturreform zurückreicht, voraus. Man hat damals schon festgestellt, dass es so nicht weitergeht, weil die sinkenden Mitgliederzahlen und die Anzahl der Beschäftigten perspektivisch zu weit auseinandergehen. Das Papier will stabile Beschäftigungsverhältnisse für unsere Mitarbeiter.
Deshalb sollen große Strukturen gebildet werden, um sich auf diesen Schrumpfungsprozess vorzubereiten. Die Idee war, mit einem großen Satz dort hinzuspringen, wo man vermutlich 2040 landen wird. Was bis dahin genau passiert, kann niemand sagen, es wird auch schrittweise vorangehen. 2025 wird der nächste Schritt in Leipzig kommen. Der jetzige Prozess soll 2020 abgeschlossen sein.
Was wird bis 2020 passieren?
Das Schmerzliche für die Kirchgemeinden ist, dass es eine neue Richtgröße gibt, ab wann man Mitarbeiter anstellen kann. Das können Kirchen zukünftig nur noch bei 6.000 Mitgliedern. Um diese Gemeindegliederzahl zu erreichen, müssen sich die Gemeinden verbinden und zwar so, dass auch davon auszugehen ist, dass die Gemeinden auch 2040 noch 6.000 Mitglieder haben werden.
Was soll bis 2025 passieren?
Bis dahin geht es um Anpassung des Personalbestandes. Wenn die Kirche sich darauf einstellt, 40 Prozent seiner Mitglieder zu verlieren, muss das Personal entsprechend angepasst werden.
Die Metropolregionen in Sachsen wachsen, auf dem Land kann man mittlerweile sehr einsam leben. Berücksichtigt das Papier diesen Unterschied?
Das ist schwierig zu beantworten. In keinem anderen Gebiet als in Leipzig ist das Verhältnis zwischen Christen und Nicht-Christen so ungünstig. Hier ist die meiste missionarische Kraft, in die man positiv investieren müsste, könnte man sagen. Die Landeskirche sieht aber: Hier sind viele große und gesunde Gemeinden, die diese Dinge noch besser abfedern als auf dem Land.
Dort muss man nur 4.000 Mitglieder haben. Ich habe früher im Kirchenbezirk Oschatz gearbeitet, in dem es zahlreiche Gemeinden gab. Durch die Strukturreform wird der Kirchenbezirk nur noch aus einer Gemeinde bestehen. Damit tragen wir solidarisch den dramatischen Verlust von Gemeindegliedern im Land mit und damit auch den Strukturwandel.
Wie ist es bei allem Bevölkerungswachstum in Leipzig um die Gemeindegliederzahlen der Stadt bestellt?
Dadurch, dass die Stadtteile von Nord nach Süd wachsen, sind hier auch die stärkeren Gemeinden. Aufs Ganze gesehen wächst der Kirchenbezirk wohl bis 2025/2026 noch und wird sich konstant auf dem Niveau halten können. Auf dem Land sind die Mitgliederzahlen stark, stark rückläufig.
Gleichzeitig spricht der Freistaat Sachsen aber auch von „versteckten Perlen“ wie Markranstädt, Zwenkau, Markkleeberg. Dort wird davon ausgegangen, dass je höher die Mieten in Leipzig werden, umso mehr wird dort „die Post abgehen“. Auch wir gehen davon aus, dass die Gemeinden ein großes Potenzial haben.
Wie weit sind die Gemeinden in Leipzig, die Struktur zu reformieren?
Wir sind auf der Zielgeraden. Bis 30. Juni sollen die Verträge laut Vorgabe des Landeskirchenamtes geschlossen sein. Die Gemeinden sind in der Umsetzungsphase.
Eine Fusion von Sportvereinen zieht immer einen Rattenschwanz an Befindlichkeiten hinter sich her. Wie ist das bei Kirchgemeinden?
Es gibt sehr unterschiedliche Reaktionen. Die eine Region will die Chancen nutzen, um den großen Schritt jetzt zu machen und dann Ruhe zu haben. Diese suchen auch ein fruchtbares Miteinander mit den anderen Gemeinden. Und dann gibt es natürlich die Gemeinden, die eigenständig bleiben wollen und darin ihr Heil suchen. Wir haben sehr, sehr kleine Gemeinden, die es bis jetzt mit einer gewissen Hartnäckigkeit immer geschafft haben, ihre Eigenständigkeit zu behalten. Die werden das auch diesmal schaffen, im Schwesternkirchverhältnis als kleine Gemeinde unterzuschlüpfen.
Müssen die Gemeinden auch beim Personal Abstriche machen?
Wir müssen natürlich Kürzungen beim Personal durchführen, aber nicht überall heißt größerer Verbund ist gleich weniger Personal. Manchmal haben Gemeinden durch Eigenfinanzierung auch die Möglichkeit, Personal zu halten. Eine Region von 6.000 Gemeindegliedern bedeutet im Raum Leipzig den Zusammenschluss von zwischen drei und acht Gemeinden.
Je nachdem ob Gemeinden schon vorher Strukturschritte gemacht haben, sind sie gut vorbereitet und kommen relativ ungeschoren durch die Strukturrunde durch. Sie haben schon vorher gewagt, Schritte nach vorn zu gehen. Bei anderen ist wenig passiert und das rächt sich jetzt.
Ist die Anzahl der Gemeinden in einer Region gleich mit der Anzahl der dort tätigen Pfarrer?
An jeder Kirchregion hängen drei Pfarrer und an einer Pfarrstelle hängt immer ein bestimmter Prozentsatz Gemeindepädagogik und Kirchenmusik. Im Bereich der Pfarrstellen mussten wir nur zweieinhalb Stellen kürzen, in der Gemeindepädagogik zwei Vollzeitäquivalente und in der Kirchenmusik anderthalb im Kirchenbezirk.
Das heißt: Das Arbeitsbild des Pfarrers ändert sich nicht unbedingt?
Wir müssen mehr zusammenarbeiten und wer die Zumutung zur Zusammenarbeit als eine Zumutung empfindet, hat seine Probleme. Es gibt den Spruch: „Selig sind die Beene, die vorm Altar stehen alleene“, das soll heißen: Ein junger Pfarrer will heute im Team arbeiten. Pfarrer älterer Generation waren alleinherrschende Pfarrherren und tun sich damit schwer.
Wir haben also mehrere Strukturwandel gleichzeitig. Den Wandel im Berufsbild, den Wandel im Gemeindebild sowie die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die uns drängen. Es ist ein gewaltiges Unternehmen dem ich dort, wo es halbwegs klappt, mit höchstem Respekt begegnen werde.
Was wird sich für den Gottesdienst-Besucher ändern?
Es wird sich in ein paar Gebieten von Leipzig etwas ändern müssen. Wie bereits gesagt wird es Gebiete mit spürbar weniger Stellenumfang geben. In weiten Teilen wird es keine Änderung geben. Es kommt also für das Gemeindeglied an sich auf die Region an. Wir haben Regionen gebildet und nun sollen sich Gemeindeglieder in den Regionen zusammenfinden. Bei der Strukturreform gab es diverse Möglichkeiten, sich als Gemeinden in einer Region zusammenzufinden.
Es gab die Möglichkeit des Schwesternkirchverhältnisses bis hin zur Vereinigung. Für meine Gemeinde bedeutet das: Die Bethlehem-Gemeinde wird nach 107 Jahren aufhören zu existieren. Das ist ein harter Einschnitt, aber was ist wichtig: Die Gemeinschaft vor Ort mit Gebäude, Gottesdienst-Ort und Feste oder die Eigenständigkeit? Wir wollen die kirchlichen Orte stark machen. Es mag keine eigenständige juristische Gemeinde mehr sein, aber ein Teil des Leibes Jesu Christi wird es immer bleiben. Was macht uns als Kirche aus? Die Körperschaft öffentlichen Rechts? Ich sage nein.
Nehmen wir Ihre Gemeinde als Beispiel: Wo wird sie zukünftig kirchenrechtlich verortet sein?
In der Region V als „Evangelisch-lutherische Kirchgemeinde im Leipziger Süden“ mit den Kirchenorten St. Petri, Bethlehem, Connewitz-Lößnig sowie Marienbrunn. Diese werden alle ihren Namen behalten und werden auch nach außen so auftreten, aber in der Verwaltung nicht mehr. Es geht darum, die lokale Identität zu erhalten und zu stärken. Die Kompetenz die wir als Mitarbeitende einbringen, wollen wir schwerpunktmäßig und zielgerecht einsetzen.
Pro Kirchenbezirk, also der Heimat mehrerer Regionen, soll es zwei Missionarspfarrer geben, die vor Ort missionieren sollen. Ist doch eigentlich eine gute Idee, gerade für Leipzig…
Die missionarischen Pfarrstellen sind eine tolle Geschichte, weil es genau das skizzierte Problem aufgreift. Es geht nicht, die Köpfe in den Sand zu stecken, sondern es geht darum, wie wir die Leute erreichen können. Leipzig ist das Gebiet in Sachsen, wo am wenigsten Christen leben und damit missionarische Arbeit sinnvoll wäre. Dass es nur zwei pro Kirchenbezirk sind, das ist für uns in Leipzig ärgerlich, weil wir in Leipzig mit über 70.000 Gliedern weit mehr als doppelt so groß sind als die anderen Kirchenbezirke in Sachsen. Wir hatten gehofft, noch mehr als zwei zu bekommen.
Ist diese Strukturreform nicht ein Eingeständnis, dass die Kirche jahrzehntelang etwas versäumt hat?
Das kann man so deuten. Aber ich sehe es so: Als Gesellschaft sind wir an einem Punkt angelangt an dem die Institutionen, die wir haben, wie politische oder kirchliche, unter Druck gelangen. Wir sind unter Druck, weil die Spezialisierung, Ausdifferenzierung und das Tempo, was die Gesellschaft geht, schlichtweg überfordert.
Man kann natürlich sagen: Kirchen haben zu wenig Glieder geworben. Aber man kann es umdrehen: Eine Gesellschaft, die sich eine starke Kirche wünscht, kann nicht reihenweise austreten. Es gibt gesellschaftliche Megatrends, die man durch ein, zwei Faktoren gar nicht ändern kann, beispielsweise wenn die Institutionen an Wert verlieren und die Individualität an Wert gewinnt.
Die Leipziger Zeitung Nr. 68 ist da: Game over! Keine Angst vor neuen Wegen
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