Kinder und Narren sagen die Wahrheit. Nichts zeigt das deutlicher als das deutsche Fernsehen. Die Wahrheit gibt es in Satire-Shows. So wie in der โheute showโ, in der meist gar nicht viel รผberspitzt werden muss, um die ganze Narretei unserer Zeit zu zeigen. So wie am 12. April in der eigentlich gar nicht witzigen Szene zu โFridays for Futureโ, in der sich zwei Erwachsene wie รผberdrehte Kinder benehmen, wรคhrend das spรคtabgestillte Kind eigentlich nur noch genervt feststellt, dass es in Schweden seit bald 30 Jahren eine CO2-Abgabe gibt.
Dass die klugen Kinder von heute das wissen, wissen wir. Aber sie sehen sich einer Phalanx alter Menschen gegenรผber, die mit bierernster Miene allerwege erklรคren, warum dies nicht geht und jenes unmรถglich ist. Das Abschalten von Kohlekraftwerken zum Beispiel, das Einfรผhren einer CO2-Steuer, das Abschaffen von Subventionen fรผr Dienstwagen und Diesel und Flughรคfen. Und auch wenn das in der kurzen Szene etwas รผberzeichnet ist โ genau so verhalten sie sich ja. Kindisch.
Denn dass die demonstrierenden Kinder recht haben, kรถnnen sie nicht einmal abstreiten. Die Fakten liegen auf der Hand.
Ach ja: Fakten.
Normalerweise lernt man โ auch im recht schubladenartigen deutschen Bildungssystem โ dass man Fakten akzeptieren muss. Wir haben ja nun 500 Jahre hinter uns, in denen wir gelernt haben, dass so ziemlich alles in unserer Welt messbar ist. Und dass wir die Welt รผber das Messbare begreifen. Und nicht nur begreifen, sondern auch Schlussfolgerungen ziehen kรถnnen. Denn wenn bestimmte Prozesse in Gang sind, kรถnnen wir recht genau sagen, wohin das fรผhrt. Und umsteuern.
Auch beim Klima. Der Klimawandel macht der Erde selbst nichts aus. Die wird sich auch weiterdrehen, wenn es die Spezies Mensch schafft, sich die eigenen Lebensbedingungen zu zerstรถren. Diese seltsamen Erwachsenen, die dann gern mit Schenkelklopfern versuchen, die Ernsthaftigkeit der Debatte zu unterlaufen, kรถnnen zwar gern sagen, dass es Klimawandel schon immer gab auf der Erde und es vor 60 Millionen Jahren auch noch viel wรคrmer war. Und dass auch die Menschen in ihrer 3 Millionen Jahre langen Entwicklung schon heftigere Klimaschwankungen erlebt haben.
Aber fรผr so eine Antwort gibt es im Physikunterricht nun mal eine Fรผnf. Falsche Antwort. Denn es geht nicht um die Erde und auch nicht um die Lebensbedingungen der Menschen vor 1 Million Jahren. Da lebten sie nรคmlich noch in Afrika โ in der Savanne, ziemlich primitiv, weit davon entfernt, auch nur ansatzweise eine Kultur hervorgebracht zu haben.
Das begann nรคmlich erst vor rund 30.000 Jahren. Wirklich ernsthaft aber erst vor 11.000 Jahren, als sich das Weltklima im jetzigen Interglazial so gรผnstig entwickelt und stabilisiert hatte, dass Ackerbau und Viehzucht sich entwickeln konnten und Menschen begannen, Handel zu treiben und Stรคdte zu bauen.
Nicht der Mensch an sich ist gefรคhrdet, sondern unsere Zivilisation, die nur in einem schmalen stabilen Klimakorridor so funktionieren kann. Vielleicht bis zu den maximal 2 Grad Celsius zusรคtzlich zu den Temperaturen des 20. Jahrhunderts, die Wissenschaftler als fรผr unsere Kultur gerade noch verkraftbar definiert haben.
Irgendwie ist das vรถllig aus dem Blick geraten, weil erstaunlich viele Erwachsene in verantwortlichen Positionen sich in der Diskussion verhalten wie โฆ
Na ja, ich wรผrde ja gern โKinderโ schreiben. Aber die Kinder benehmen sich nicht kindisch. Warum sollen sie auch? Sie lernen ja schon in der Schule, dass ihre Zukunft, wenn die bequemen und lernunwilligen Alten so weitermachen, ziemlich schlimm werden wird. Sie werden eine Welt hingeschmissen bekommen, in der die Ernรคhrung in Gefahr ist, weil die Landwirtschaft mit den Wetterextremen nicht mehr zurechtkommt, in der die Meere leergefischt sind, Hungerkatastrophen die Flรผchtlingsbewegungen befeuern und sehr wahrscheinlich heftige Kriege um immer rarere Ressourcen toben.
Fridays for Future: Schule schwรคnzen ist okay! | heute-show vom 12.04.2019
Ich weiร nicht, woher das kommt, dass viele Politiker, denn um die geht es ja hauptsรคchlich, so infantil debattieren, so tun, als mรผssten sie die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen und die Politik nicht daran anpassen.
Angela Merkels Kabinett sitzt ja voller solcher Politiker/-innen. Als wรคren wir 2017 alle zur Wahl gegangen und hรคtten am Ende ein Narrenkabinett bekommen. Eines, das keine Lust hat, einfach logische und nรผchterne Entscheidungen zu treffen. Also auch zu steuern, das Land wirklich zukunftsfest zu machen. Was man nun einmal mit Steuern und Gesetzen macht. Nicht mit Gezรคnk. Wenn man weiร, dass Dinge schรคdlich sind, dann macht man sie teurer, legt eine Abgabe drauf oder nimmt die Subventionen runter.
Aber zurรผck zum Infantilen.
Warum ist das so? Die kleine Szene in der โheute showโ macht es ja deutlich: Alle Fakten liegen auf dem Tisch. Es gibt keine โalternative factsโ, es gibt nur jede Menge Grรผnde, unser Verhalten zu รคndern, einfach verantwortlicher zu leben, die Quengelzone zu verlassen. Denn das kommt ja so schรถn heraus in der Szene: Was diese zutiefst empรถrten alten Menschen verteidigen, sind lauter Sรผรigkeiten aus der Quengelzone, lauter Dinge, die sie sich zugelegt haben, um irgendwie etwas Besonderes im Leben zu sein und zu haben โ Haus, SUV, Yacht.
Ferienflug nach Indien, Businessclass Richtung Amerika, Smart Home, Netflix, all inclusive. Ein Leben in der Komfortzone, da, wo man sich alle Annehmlichkeiten kaufen dรผrfen will, ohne mit der stรถrenden Welt drumherum noch in Berรผhrung zu kommen. Und wo man nicht behelligt werden will mit der Erkenntnis, dass dieses Leben in der Quengelzone unsere Existenzgrundlagen zerstรถrt โ und damit auch die Existenzgrundlagen der Komfortzone. Dass unsere Kinder und Enkel fรผr diese kindische Nur-ich-Haltung teuer bezahlen werden mรผssen.
Wohlstand macht, wie es aussieht, kindisch. Infantil. Und zwar im kompletten Sinn des Wortes, denn er macht abhรคngig. Er schafft augenscheinlich einen Zustand, in dem sich der Rundumversorgte nur noch mit Entsetzen vorstellen kann, dass er daraus vertrieben werden kรถnnte. Dass er sich wieder mit echten Problemen und Menschen und harten Fakten beschรคftigen muss. Und all jene, die die Inhalte dieses Wohlstands-Pakets produzieren, nutzen lรคngst alle Kanรคle, um sich und ihre Wohlstandsproduktion fรผr unersetzlich zu erklรคren, den berieselten Konsumenten das Gefรผhl zu geben, dass ihre Welt untergeht, wenn es diese Wohlstands-Applikationen nicht mehr gibt.
Also irgendwie eine manifeste Angst zu erzeugen, dass die Vertreibung aus der Quengelzone schon die Vertreibung aus dem Paradies ist. Dass es danach irgendwie furchtbar armselig wird โฆ
Weil die Produkte dieser Infantilisierung โฆ.
(Denn nichts anderes sind sie: Sie gewรถhnen Menschen daran, dass sie sich nicht mehr um elementare Dinge kรผmmern mรผssen โ so wie diese Ding-Dong-Werbung, die die Infantilitรคt der Belieferten geradezu auf die Spitze treibt. โIhr Fuรball. Wir Ding-Dong.โ Gehtโs noch behรคmmerter? Aber dieser Faule-Leute-Belieferdienst ist ja nicht der einzige, der die Infantilen von heute daran gewรถhnt, dass ihnen alles ans Bett gebracht wird. Amazon samt seinem Abhรถr-Lautsprecher Alexa gehรถrt genauso dazu wie viele Versicherungen, Krankenkassen, aber auch politischen Parteien, die den Leuten einreden, sie wรผrden ihnen ein Wohlfรผhl-Paket packen, bei dem sie sich dann um nichts mehr kรผmmern mรผssen. Aber wenn man sich nicht mehr kรผmmert, wird man โ ob man will oder nicht โ entmรผndigt. Bis hin zur Unfรคhigkeit, das eigene Leben als selbst gestaltbar zu begreifen โฆ)
โฆ aber zurรผck zu den Produkten der Infantilisierung, die uns so gern als unverzichtbar oder gar alternativlos verkauft werden: Wie schmerzhaft ist es eigentlich, auf sie zu verzichten? Also bewusst wieder herauszutreten aus der selbst gekauften Unmรผndigkeit?
Dass es wehtun soll, versprechen ja die Verkรคufer. Sie sitzen ja รผberall mit am Tisch, wenn eine infantil gewordene Politik darรผber berรคt, wie Gesetze geschnitten werden sollen, lassen ihre Paragraphen und Sanktionen hineinschreiben, nutzen eine ganze infantil gewordene Gesellschaft regelrecht aus, sie auszuplรผndern nach allen Regeln der Kunst. Und damit vor allem ein Gestalten und Verรคndern einer infantil gewordenen Wirklichkeit zu verhindern.
Aber zum Austritt aus der Unmรผndigkeit braucht es ganz sichtlich die Fรคhigkeit ernsthafter Kinder, die sich mit dummen Ding-Dong-Antworten nicht mehr zufriedengeben. Sondern echte und erwachsene Antworten verlangen auf die Frage, wie Zukunft jetzt aussehen soll. Was dann freilich Politiker braucht, die selber geschafft haben, erwachsen zu werden. Das schaffe mal einer in einer infantil gewordenen Gesellschaft in der Dauer-Quengelzone.
Die Serie โNachdenken รผber โฆโ
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