Das Westwerk in Plagwitz ist zurück in den Schlagzeilen: Mehr als zwei Jahre nach Demonstrationen und Protesten gegen „Entmietung“ und „Gentrifizierung“ warfen Unbekannte mehr als 50 Scheiben einer neu eröffneten Konsum-Filiale ein. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) bezeichnete die Aktion als „schädlich“ für eine öffentliche Debatte. Andere Parteimitglieder fordern die Verwaltungsspitze dazu auf, beim Thema Westwerk die Initiative zu ergreifen.

Mehr als zwei Jahre liegen die hitzigen Diskussionen rund um das „Westwerk“ in Plagwitz mittlerweile zurück. Ende 2016 wurde bekannt, dass zahlreiche Mieter deutlich mehr zahlen oder sogar ausziehen sollen. Davon waren unter anderem der Westpol und das Sublab betroffen. Ersterer ist ausgezogen, letzteres existiert nicht mehr.

Anfang 2017 demonstrierten mehr als 1.000 Menschen gegen die aktuellen Veränderungen im Leipziger Westen. Schlagworte wie „Entmietung“ und „Gentrifizierung“ fielen dabei häufig. Die Initiative „Westen wehrt sich“ organisierte mehrere Veranstaltungen und Diskussionsabende. Der letzte Beitrag auf der Homepage der Gruppe datiert allerdings auf März 2017. Seitdem war es in Plagwitz wieder einigermaßen ruhig geworden.

Das hat sich nun mit der Eröffnung einer Konsum-Filiale im Westwerk geändert. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, den 11. April, zerstörten Unbekannte mehr als 50 Scheiben an dem Gebäude. Zudem hinterließen die Angreifer Buttersäure im Eingangsbereich.

Gefällt uns nicht, machen wir kaputt

In einem auf Indymedia veröffentlichten Bekennerschreiben heißt es: „Das Westwerk war bis vor einigen Jahren ein Ort, in dem viele unterschiedliche Projekte für geringe Mieten Platz hatten und die für Menschen mit wenig Geld offen waren. Das wurde geändert. Nun ist es ein Ort, in dem es vor allem darum geht, Geld zu verdienen und zu konsumieren. Und weil uns das nicht gefällt, haben wir einiges kaputt gemacht.“

Am Donnerstagabend soll es zu einem weiteren Zwischenfall gekommen sein. Laut Polizei bewarfen Unbekannte einen Kassierer mit gekochten Kartoffeln, verfehlten ihn jedoch. Die Polizei sprach gegen acht Personen vor dem Gebäude einen Platzverweis aus.

Wegen des Angriffs auf den Konsum in der Nacht zuvor ermittelt nun eine gemeinsame Gruppe der Polizeidirektion Leipzig und des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums des Landeskriminalamtes. Der Tatvorwurf lautet Sachbeschädigung. Die Höhe des Schadens ist laut Polizei noch nicht bekannt.

Der Konsum im Westwerk nach dem Angriff am 11. April 2019. Foto: Marko Hofmann
Der Konsum im Westwerk nach dem Angriff am 11. April 2019. Foto: Marko Hofmann

Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hat sich am Wochenende zu Wort gemeldet. Er betonte, dass eine öffentliche Debatte über Wohnungsbau und Mieten wichtig und nötig sei. Wer Steine auf das Westwerk wirft, beschädige diese Debatte jedoch.

„Leipzig ist die am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands“, sagte Jung weiter. „Viele Menschen profitieren davon, denn mit dem Wachstum kommen auch tausende neue Arbeitsplätze in die Stadt. Sich dieser Veränderung zu verschließen und mit Gewalt zu reagieren ist kurzsichtig und falsch.“

Auch mehrere andere SPD-Politiker/-innen kritisierten die Aktion. Irena Rudolph-Kokot, Kandidatin für die Landtagswahl und Vizevorsitzende in Leipzig, sagte: „Wer den Angriff auf eine Genossenschaft als Kapitalismuskritik versteht, bekommt von mir dafür die Note 6. Im Übrigen gilt: Wenn man den Kapitalismus nicht verstanden hat, kann man ihn auch nicht verändern oder gar überwinden.“

Dumm, unsolidarisch, inakzeptabel und absurd

Benjamin Göhler, Kandidat für die Stadtratswahl und Vorsitzender der SPD Leipzig-Alt-West, bezeichnete die Aktion als „unfassbar dumm und unsolidarisch“. Dadurch würden keine Freiräume für Künstler geschaffen. „Vielmehr müssen wir es als Stadt hinbekommen, dass alle Institutionen der Kultur von Klein bis Groß nachhaltig unterstützt und der vielfältige Zugang zu Kultur erhalten und ausgebaut wird.“

Als nicht nur „inakzeptabel“, sondern auch „absurd“ bezeichnete Benjamin Schulz den Angriff. Der Vorsitzende der SPD Leipzig-Südwest betonte, dass Eigentümer und Verwalter des Westwerks „weder ein Immobilienhai noch ein Verdränger“ seien. Das könnten zahlreiche Mieter, zu denen auch die SPD gehört, bestätigen.

Nun sei es an der Zeit, dass sich Stadtentwicklungsbürgermeisterin Dorothee Dubrau (parteilos) und Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Linke) um eine „echte Perspektive“ für das Westwerk kümmern. Nötig seien „mehr Grundstücke in kommunalem Eigentum, kooperativ erarbeitete Bebauungspläne, Milieuschutzsatzungen gegen Luxussanierungen, die Aktivierung und Verschärfung der Mietpreisbremse, sozialer Wohnungsbau und ein Staat, der auch auf der Seite der Mieterinnen und Mieter steht und verantwortungsvoll handelt“.

Im Zuge der Debatte meldete sich am 13. April 2019 auch die Leipziger Linkspartei zu Wort. In einem Statement heißt es unter anderem seitens Stadtvorsitzenden Adam Bednarsky: “Die Linke will die Marktmechanismen, welche Wohnen und Mieten explodieren lassen, infrage stellen und finden es irritierend, dass Firmen wie die Konsum-Genossenschaft als die angebliche Speerspitze der Gentrifizierung in Leipzig herausgegriffen werden. Stellen wir den Immobilienmarkt in Frage, kommunalisieren wir Grund und Boden, stoppen wir Privatisierung und unterstützen wir den sozialen Wohnungsbau. Gewalt ist dabei keine Lösung!“

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