Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 63Wer später mal als Medizinerin oder Mediziner tätig sein möchte, muss zuvor mindestens ein Jahr ohne Bezahlung arbeiten. So ergeht es zumindest den Studierenden, die ihr sogenanntes Praktisches Jahr (PJ) am Universitätsklinikum in Leipzig absolvieren. Dieses kommt am Ende der Ausbildung und dient dazu, die zuvor über Jahre erlernten theoretischen Kenntnisse in der Praxis umzusetzen. Im Mittelpunkt steht also der Umgang mit den Patienten, und zwar in den Bereichen Inneres und Chirurgie sowie einem dritten Fachgebiet. Das Universitätsklinikum zahlt den Studierenden, die dort ihr PJ absolvieren möchten, exakt null Euro.
Ähnlich sieht es im Diakonissenkrankenhaus und im Kreiskrankenhaus Delitzsch aus. Dort erhalten die Studierenden immerhin einen Büchergutschein in Höhe von 100 beziehungsweise 150 Euro pro Monat. Im St.-Elisabeth-Krankenhaus und im Klinikum St. Georg gibt’s zwar 100 beziehungsweise 200 Euro pro Monat, im Gegenzug aber kein kostenloses Mittagessen.
Besser ist die Situation beispielsweise in Zwickau und Chemnitz; dort zahlen die Kliniken knapp 600 Euro pro Monat. Die Krankenhäuser in und rund um Dresden zahlen monatlich etwa 400 Euro. Das alles geht aus einer Antwort des sächsischen Wissenschaftsministeriums auf eine Anfrage der Grünenfraktion im sächsischen Landtag hervor.
Einer Übersicht der Internetseite „praktischarzt.de“ ist zu entnehmen, dass das Uniklinikum Leipzig zu jenen 16 Prozent der Lehrkrankenhäuser in Deutschland zählt, die das Praktische Jahr überhaupt nicht vergüten. Lediglich zehn Prozent zahlen den möglichen Höchstsatz in Höhe von 597 Euro pro Monat. Die Seite beruft sich auf eine Studie des Hartmannbundes, einer Interessenvertretung von Ärzten und Studierenden. Dieser fordert eine bundesweit einheitliche Aufwandsentschädigung in Höhe des Bafög-Höchstsatzes, der aktuell bei 735 Euro liegt.
Mit ähnlichen Forderungen sind am Mittwoch, den 16. Januar, zahlreiche Studierende in Dresden auf die Straße gegangen. Im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages unter dem Motto „Für ein faires PJ“ demonstrierten sie für angemessene Arbeits- und Studienbedingungen.
Bereits im Dezember hatte die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland eine Petition gestartet. Darin fordert sie unter anderem den Bafög-Höchstsatz als Aufwandsentschädigung, einen persönlichen Zugang zum Patientenverwaltungssystem sowie eigene Arbeitskleidung und eigene Aufbewahrungsmöglichkeiten für Kleidung und persönliche Gegenstände.
Auch in Leipzig beteiligten sich Studierende. In einem Hörsaal zeigten sie Schilder für eine Fotoaktion, auf denen Botschaften wie „Mindestlohn? Existenzminimum? Nicht für angehende Ärzte“, „Ausbildung statt Ausbeutung“ und „Krankheitstage sind keine Urlaubstage“ zu lesen waren. Letzteres spielt darauf an, dass die Studierenden maximal 30 Tage fehlen dürfen – ob wegen Urlaub oder Krankheit, ist egal.
Der Fachschaftsrat der Medizinstudierenden (SturaMed) veröffentlichte am 14. Januar einen Offenen Brief an mehrere Lehrkrankenhäuser, unter anderem das Uniklinikum. Darin heißt es: „Als Vertreter_innen der Medizinstudierenden an der Hochschulmedizin Leipzig halten wir die aktuellen PJ-Bedingungen für nicht mehr tragbar. Für uns sind die in diesem Schreiben aufgeführten Anliegen von enormer Relevanz, nicht nur um die Bedingungen für die PJler_innen zu verbessern, sondern auch um die Hochschulmedizin Leipzig als Ausbildungs- und Forschungsstandort und fairen Arbeitgeber voranzubringen.“
Im Zentrum der Forderungen steht auch hier eine Aufwandsentschädigung, die sich am Bafög-Höchstsatz orientiert. Der SturaMed betont in seinem Brief auch die soziale Verantwortung des Uniklinikums und die Ungleichbehandlung gegenüber den Studierenden anderer Studiengängen, die ihre Ausbildung ebenfalls mit einem praktischen Teil abschließen, dafür jedoch bezahlt werden. Dies betrifft unter anderem Journalisten und Juristen.
In einem Beitrag des MDR über den Aktionstag am 16. Januar kam Klinikleiter Wolfgang Fleig zu Wort. Er rechtfertigte die nicht vorhandene Vergütung damit, dass die Auszubildenden während des PJ „viel Anleitung“ benötigten und „für den Prozess der Krankenversorgung kein Gewinn“ seien. Der SturaMed zeigte sich „empört“ über diese Aussage.
Gemeinsam mit Fleig veröffentlichte er zwei Tage später eine Pressemitteilung. Der Klinikleiter stellte darin klar: „Die Ausbildung angehender Mediziner ist eine unserer zentralen Aufgaben, der wir uns gern stellen.“ Derzeit prüfe das Uniklinikum „Möglichkeiten einer Unterstützung, die über Sachleistungen hinausgeht“. Auf das Bafög anzurechnende Aufwandsentschädigungen würden jedoch „die soziale Komponente der Ausbildungsförderung eher untergraben“.
Zu der Debatte um eine Vergütung hat sich auch die sächsische Landtagsfraktion der Grünen geäußert. Claudia Maicher, die hochschulpolitische Sprecherin, sagt: „Medizinerinnen und Mediziner sind überall begehrt. Es ist töricht, Medizinstudierende im letzten Studienabschnitt aus Sachsen zu vergraulen, weil die Arbeit von Studierenden im ‚Praktischen Jahr‘ nicht angemessen vergütet wird.“
In einem Antrag fordert ihre Fraktion, „mit den Universitätsklinika Vereinbarungen abzuschließen, die eine allgemeine Vergütungspflicht für alle Teilnehmenden des Praktischen Jahres in Höhe des Bafög-Bedarfes vorsieht und die hierfür notwendigen Mittel bereitzustellen“. Aus Sicht der Staatsregierung ist das rechtlich nicht möglich. Der Vorstand des Uniklinikums müsse über Vergütungen entscheiden.
Zudem fordern die Grünen eine Bundesratsinitiative für eine einheitliche Mindestvergütung und die Einführung eines Urlaubsanspruchs. Die Staatsregierung verweist diesbezüglich auf den „Masterplan Medizinstudium 2020“. Darin seien Änderungen vorgesehen. Eine Bundesratsinitiative sei daher derzeit nicht „zielführend“. Maicher sagt dazu: „Der Verweis auf den Masterplan geht hier fehl. Dieser greift diese konkreten Punkte gar nicht auf, sondern will nur prüfen, wie Arbeits- und Lernbedingungen verbessert werden können.“
Insgesamt attestiert Maicher der Staatsregierung „fehlendes Problembewusstsein“. Das PJ sei in der Regel eine Vollzeitbeschäftigung. „Da bleibt keine Zeit, nebenbei noch arbeiten zu gehen. Wer kein Bafög erhält, muss sich anders finanzieren oder auf Ersparnisse zurückgreifen.“
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