Am 14. Dezember schickte uns auch Amazon wieder eine hübsche Nachricht. Eine, die davon ausgeht, dass wir faul, dumm und verführbar sind. Eine, die uns daran erinnert hat, dass unsere Welt deshalb vor die Hunde geht, weil wir sie dem Moloch „Muss ich haben“ zum Fressen vorwerfen. Und sie passt natürlich in die neueste Schiene, mit der Amazon gerade unseren Einzelhandel zerstört. Gründlich. Und keinen scheint es zu interessieren.

Disruption heißt der Vorgang, der darin besteht, dass ein Konzern, der bei Steuern und Sozialstandards alle deutschen Standards unterläuft, all seine Marktmacht dazu nutzt, einer kompletten Branche das Wasser abzugraben. So wie Facebook die Medienbranche aufrollt, weil der seltsame Konzern aus Amerika glaubt, den Leuten eine bessere Tageszeitung bieten zu können (sie aber am Ende in ihrer Konsumblase versauern lässt), so zerstört Amazon mit seiner „Ist doch bequem“-Masche auch eine Handelsbranche nach der anderen.

Der Buchhandel leidet darunter schon lange massiv, die Verlage ebenso. Tausende qualifizierte Arbeitsplätze sind verschwunden, ersetzt durch schlechter bezahlte und qualifizierte Arbeitsplätze in den Amazon-Packfabriken.

Und das genügt diesem schnieken IT-Konzern nicht mehr. Er will, dass alle Konsumenten ihr Kaufverhalten ändern und nicht mehr in die Läden (der anderen) gehen, sondern zu Hause bleiben und alles bei Amazon bestellen.

Und das soll jetzt noch schöner werden, geradezu virtuell. So virtuell, dass man sich fragt: Warum fahre ich dann nicht in mein Lieblingsgeschäft und kaufe, was ich brauche, bei einem freundlichen Menschen, den ich kenne?

Muss nun auch noch diese Begegnungswelt mit richtigen Menschen durch glattgewienerte Avatare und virtuelle Projektionen ersetzt werden?

Ja, meint das „Amazon Team bei Zucker. Kommunikation“ und behauptet: „Amazon.de präsentiert innovative Shopping-Funktionen, die das Einkaufen leichter und unterhaltsamer machen: Dank maschinellem Lernen und Augmented Reality“.

Seit wann will ich mich zu Hause in einen virtuellen Verkaufsraum versetzen, wenn ich in Leipzig lauter echte Verkaufsräume mit echten Leuten drin erleben kann? Nur weil es im Advent so rammelvoll ist? Das kann doch keine Ausrede sein.

Aber der heftig angesäuselte Einladungstext dazu: „Kunden bei Amazon.de können Lieblingsprodukte für ihr Zuhause ab sofort über 3D-animierte, innovative Shopping-Funktionen finden. Die Funktionen erlauben es ihnen, Tische, Stühle oder Lampen schon vor dem Kauf in den eigenen vier Wänden zu betrachten, sie aus allen Blickwinkeln anzuschauen und personalisierte Produktempfehlungen basierend auf ihren Stilvorlieben zu erhalten.“

Ja, genau so ein „tolles 3D-Einkaufserlebnis“ wurde ja jüngst erst bei Karstadt präsentiert – ein mehr als seltsamer Vorgang: Mitten in einem funktionierenden Kaufhaus, das schließen muss, weil der Hausbesitzer die Miete nach oben jazzt, zu zeigen, wie schön man auch ohne Kaufhaus in 3D einkaufen kann.

Und ohne all die bezahlten Verkäuferinnen und Verkäufer  …

Wollen das die Leute wirklich?

„Die Funktionen ‚Amazon Scout‘ und ‚Amazon AR View‘ sind ab sofort auf der Website Amazon.de und in der Amazon App für eine wachsende Auswahl an Produkten der Kategorien Wohnen, Küche und Essen, Beleuchtung, Bettwäsche, Gartenmöbel und mehr verfügbar“, so das jubelnde Kommunikations-Team, das dann auch noch Gerrit Nolte, Director Hardlines Amazon.de, zu Wort kommen ließ, der natürlich seine Lamawolldecken in höchsten Tönen anpries: „Als Unternehmen nutzen wir die neusten Technologien wie maschinelles Lernen und Augmented Reality, um hochmoderne Einkaufsfunktionen zu entwickeln, die das Leben unserer Kunden einfacher und komfortabler machen. Die neuen Funktionen ermöglichen es Kunden, inspirierende Produktempfehlungen zu erhalten, die ihrem Stil entsprechen und perfekt zu ihrer Einrichtung passen – und sie in ihrem Zuhause schon vor dem Kauf größen- und maßstabsgetreu zu sehen. Dadurch können Kunden Zeit und Geld sparen.“

Auf gut deutsch also: Mit den neuen Funktionen werde man den Leuten noch mehr Zeug aufschwatzen, das sie bestellen, obwohl sie es gar nicht brauchen. Und noch mehr Päckchenauslieferer werden noch mehr Päckchen durchs Land karren müssen und mit ihren Lieferfahrzeugen keinen Parkplatz finden. Und einen Großteil von diesem Zeug am nächsten Tag wieder abholen, weil es auch in 3D besser aussah als in Wirklichkeit und eigentlich kein Mensch das ganze Zeug braucht.

Was aber verschwindet, wenn der Einzelhandel seine Kundschaft verliert, das merken wir erst, wenn die Ladengeschäfte verschwinden. Und in den Landkreisen um Leipzig ist das Ladensterben längst im Gang. Mit Fachgeschäften kann man sich kaum noch in den Zentren der kleinen Städte halten. Dafür sind immer mehr Lieferfahrzeuge unterwegs, immer mehr Leute damit beschäftigt, die ganzen Pakete auszufahren.

Und Amazon ködert die Leute natürlich weiter mit solchen Blasen wie: Man könne dadurch noch mehr Zeit und Geld sparen. Obwohl man weder Geld spart (man gibt es dann doch nur für anderen Schnickschnack aus), noch Zeit. Denn wofür verwendet man die „eingesparte“ Zeit?  Doch auch wieder nur für irgendwelche digitalen Beschäftigungen, die einen immobil und einsam machen.

Das ist vielleicht das Schlimmste an dieser neuen Disruption: Dass sie wieder ein Stück sozialer Begegnung kappt und Menschen noch mehr einsperrt in ihrer ganz persönlichen digitalen Blase. Was übrigens auch bedeutet, dass Amazon noch mehr persönliche Daten von seinen Kunden sammelt, sonst funktionieren nämlich die „inspirierenden Produktempfehlungen“ nicht.

Man hat den neugierigen Konzern dann quasi direkt in der Wohnung (wenn er mit Alexa nicht sowieso schon da ist). Eine höchst unangenehme Gesellschaft, wenn man so richtig drüber nachdenkt. Aber wer tut das schon, wenn alles so „perfekt zu Ihrer Einrichtung“ passt?

Streik bei Amazon in Leipzig bis Weihnachten

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