Ob es in Connewitz immer mehr Graffiti gibt und ob diese immer schöner oder immer hässlicher werden, ist Ansichtssache. In jedem Fall scheint das Thema zahlreiche Menschen zu bewegen – Aktivisten, Künstler, Betroffene, Sympathisanten und Gegner. Um eine Diskussion über Sinn und Zweck von Graffiti in Gang zu bringen, lud das Linxxnet am 10. Dezember 2018 zur Diskussion ins UT Connewitz.

Wie viele andere Stadtteile auch besitzt Connewitz einen eigenen Wikipedia-Artikel. Begibt man sich zum Abschnitt „Kultur und Sehenswürdigkeiten“, findet man dort diverse Fotos. Eines davon zeigt den Streetballplatz am Connewitz Kreuz mitsamt der darauf gesprühten Botschaften „Antifa Area“, „No Cops“ und „No Nazis“. Es ist derzeit wohl über die Grenzen des Stadtteils hinaus das bekannteste Graffito. Aber es ist nur eines von unzähligen.

Viele Menschen, die in Connewitz wohnen, haben damit kein Problem. Einige dürften genau deshalb in den Süden Leipzigs gezogen sein. Sie freuen sich über die Kunstwerke beziehungsweise die politischen Botschaften. Bei anderen ist die Freude weniger ausgeprägt, wenn sie ein neues Graffito an jenem Haus vorfinden, in dem sie wohnen.

Um diese beiden und andere Perspektiven zueinander zu bringen, veranstaltete das Linxxnet am Montag, den 10. Dezember, eine Diskussionsveranstaltung im UT Connewitz.

Moderatorin Juliane Nagel, zugleich Stadträtin und Landtagsabgeordnete der Linkspartei, beschrieb den „Unmut“ im Stadtteil. Einige Menschen hätten sich im Linxxnet gemeldet, bei anderen sei klar, dass sie die Sorge um die „Aufwertung“ des Stadtteils beschäftige. Eine weitere Gruppe fürchte sich, dass die Kosten für die Beseitigung der Graffiti auf die Miete umgeschlagen werden.

Gegen Nazis, Investoren und Polizisten

Einer der Podiumsgäste war Harald Homann. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig und wohnt nach eigenen Angaben seit 2005 in Connewitz. Den Stadtteil habe er sich als Kulturwissenschaftler bewusst ausgesucht. Er wohnt in einer Straße mit Häusern, die häufig bemalt werden, unter anderem mit Aufforderungen, dass die angeblich dort lebenden „Bonzen“ abhauen sollten. Aus der Sicht von Homann wären solche Botschaften und „Antifa“-Graffiti in anderen Stadtteilen als politisches Statement sinnvoller.

„Wir sind nicht an einer Eskalation interessiert und fühlen uns teilweise falsch adressiert“, sagte Homann. „Die Polizei fordert uns auf, Anzeigen zu erstatten – das mache ich nicht.“

Ein „Tom“, der zum Schutz der Anonymität selbst nicht auf dem Podium saß, aber gelegentlich in das Gespräch mit einbezogen wurde, gehört zu jenen, die solche oder ähnliche Botschaften hinterlassen. Er bekräftigte, dass es darum gehe, das Viertel für Investoren unattraktiv zu machen und dafür zu sorgen, dass sich Neonazis und „Bullen“ unwohl fühlen.

Eine Frage der Kommunikation

Aber vertreibt man damit überhaupt Investoren und andere unerwünschte Personen? So genau konnte das niemand sagen, da es dazu keine wissenschaftliche Forschung gebe. Homann würde mit den Urhebern der Kunstwerke beziehungsweise Botschaften gerne ins Gespräch kommen, sagte er. Bei zwei zufälligen Begegnungen mitten in der Nacht sei das bislang nicht möglich gewesen.

Von „Tom“ kam daraufhin der Vorschlag, doch einfach selbst eine Botschaft daneben zu schreiben. Die Reinigung würde ja sowieso erst in einigen Tagen erfolgen. Alternativ könne man Handzettel in nahe gelegenen Geschäften verteilen. „Mal schauen, wie ich die Kommunikationsangebote nutze“, entgegnete Homann.

Weitere Themen an diesem Abend waren eine neue Gruppe namens „Vernetzung Süd“, die sich mit genau solchen Aspekten beschäftige, die sozialen Erhaltungssatzungen, deren Einführungen die Stadt prüfen möchte, und Fragen der Prävention und der Ästhetik. Es zeigte sich, dass das Thema facettenreich ist. Die Diskussion darüber wurde von allen Anwesenden begrüßt.

Der Stadtrat tagt: Graffiti-Krieg in Connewitz noch nicht beendet + Video

Der Stadtrat tagt: Graffiti-Krieg in Connewitz noch nicht beendet + Video

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Korrektur zur Überschrift “Gegen Nazis, Investoren und Polizisten”: als Antwort auf den (links-)liberalen Kulturwissenschaftler stellt der anonyme Tom diesen nicht in eine Reihe mit “Investoren” – was für den Hauseigentümer falsch gewesen wäre – sondern mit “Denunzianten”: https://youtu.be/KGIe2jnCIRo?t=1682 Die Frage war kurz vorher von Jule bei Minute 26. Später wird das von “Tom” wiederholt.

Zur Behauptung, dass es zum Zusammenhang von Graffiti und Gentrification keine wissenschaftliche Forschung gäbe, empfehle ich – gerade in Richtung des kritischen Geografen (Minute 42: “Ich hab da mal selber recherchiert dazu.”) – basale Medienkompetenz: http://bfy.tw/LN2E

Ansonsten kann ich zustimmen: facettenreiche Veranstaltung. 🙂

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