„Deutsche Wähler zunehmend populistisch eingestellt“, titelte die F.A.Z. am Montag, 1. Oktober. Sie bezog sich dabei auf eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung, das „Populismusbarometer 2018“. Mit dem versucht die Stiftung die populistischen Einstellungen der Deutschen abzufragen. Irgendwie. Denn Populismus ist ja eigentlich keine politische Einstellung, sondern nur ein politischer Stil. Ein ganz mieser. Aber wirksamer.
Denn er appelliert nicht an den Verstand der Menschen, sondern an ihre Gefühle. Er putscht sie regelrecht auf, schafft Aversionen und Aggressionen, malt falsche und viel zu simple Feind-Bilder, macht Minderheiten zu Opfern und suggeriert den Menschen, mit billigen Lösungen bekäme man komplexe Probleme in den Griff.
Politik verwandelt sich in ein Schmierentheater. Genau so, wie es die AfD im Bundestag gerade durchexerziert.
Und Populismus ist eben nicht nur das Repertoire der AfD. Was seit 2015 ja in aller Öffentlichkeit zu beobachten war, nachdem diese rechtslastige Partei begann, die Stimmung in Deutschland aufzuheizen und mit fremdenfeindlichen Ressentiments Wahlerfolge einzufahren, was ja bekanntlich vor allem die CDU und die CSU erschreckt hat. Wie ein Kaninchen starren diese einst großen Volksparteien auf diesen kläffenden Hund an ihrer rechten Seite, der mit Lärm und Angriffslust scheinbar Erfolge einfährt und die eigenen Wähler abspenstig macht.
Aber ist das so?
Die meisten Wahlumfragen kommen zu einem differenzierten Bild, denn der große Stimmenverlust bei der Union hat mehrere Gründe. Er begann schon Jahre vorher und hat mit dem Verlust sozialer Kompetenz zu tun.
Was die Bertelsmann-Studie übrigens indirekt bestätigt. Auch wenn sie die Vergangenheit nicht analysiert und untersucht, wie sich die einstigen Volksparteien in den letzten Jahrzehnten verändert haben, wie sie durch ihre zunehmend neoliberale Wirtschaftspolitik inhaltlich regelrecht entkernt wurden. Wer sich schon beim Nennen sozialpolitischer Reparaturprogramme davor fürchtet, was die großen Konzernvereinigungen dazu sagen würden, der wird immer vorsichtiger und feiger. Der traut sich nichts mehr.
Deswegen gibt es keinen großen Wurf mehr in der Sozialpolitik. Und das ist eine Leere (Leerstelle wäre wirklich untertrieben), die die Menschen natürlich spüren.
Was die Bertelsmann-Studie zeigt, ist: Nicht alle Wähler reagieren dabei irrational und laufen gleich zu den Heilsversprechern von rechts über, folgen also dem populistischen Geschnatter.
„Die Wählerschaft in Deutschland ist zunehmend populistisch eingestellt. Knapp jeder dritte Wahlberechtigte (30,4 Prozent) in Deutschland unterstützt laut dem neuen Populismusbarometer alle abgefragten populistischen Positionen. Das ist etwas mehr als im Vorjahr (29,2 Prozent)“, meint die Bertelsmann-Stiftung in Auswertung ihrer Studie. Aber wer aus solchen Zehntelverschiebungen solche Schlüsse zieht, übertreibt natürlich.
Tatsächlich besagt dieser Wert: Es hat sich nicht wirklich viel verändert. Auch nicht im Vergleich zu den großen „Mitte“-Studien aus Leipzig. Ein Drittel der Wahlberechtigten ist für vereinfachende und populistische Politikansätze verführbar. Aus unterschiedlichen Gründen. Der Wichtigste bleibt nach wie vor: der niedrige Bildungsstand.
Aber es kommt noch etwas hinzu, was die „Mitte“-Studien auch belegt haben: Die Anfälligkeit von Teilen der sogenannten Mitte für fremdenfeindliche und nationalistische Vorurteile. Die waren dort immer lebendig, nie verschwunden. Nur gab es über Jahrzehnte keine Partei, die diese Wähler neben der Union je gewählt hätten.
Trotz aller Vorurteile war Neofaschismus immer ein „No go“. Und bis 2015 wirkte die Union auch noch integrierend, schaffte sie auch – Vorbild: Helmut Kohl – den Spagat, den nationalen (vor allem mit Wirtschaftserfolg verbundenen) Stolz mit einer europäischen Perspektive zu verbinden. Ein starkes Deutschland in einem starken Europa war eigentlich Grundkonsens.
Aber den haben die Unionsparteien aufgegeben. Eigentlich schon vor 2015. Aber seitdem ist es offensichtlich, dass nicht nur Landesverbände wie der sächsische zunehmend die luftigen Parolen und Thesen und Wortgebilde der AfD übernommen haben. Nicht nur aus Angst. Angst entwickelt man dann, wenn man selbst eine Kernbotschaft hat, die man zu verteidigen bereit ist.
Aber die ist immer schwerer wahrzunehmen. Und da verblüfft natürlich nicht, dass die Wähler verunsichert sind. Wofür steht diese Union eigentlich noch, wenn sie sich von den rechtsradikalen Scharfmachern so leicht in Panik versetzen lässt? Wo ist der Markenkern dieser Partei geblieben?
Die SPD hat ein ganz ähnliches Problem. Aber die Bertelsmann-Studie zeigt auch, dass tatsächlich die alte Volkspartei der Mitte derzeit in einer tiefen Krise steckt. Denn alle Versuche, mit der Übernahme des populistischen Repertoires der AfD wieder Wähler zurückzugewinnen, scheitern. Ganz offenkundig und überall – in Bayern genauso wie in Sachsen.
Was sichtlich daran liegt, dass auch die Wähler der Mitte von der Union etwas anderes erwarten als einen völkischen Rechtsruck.
Und da macht die Studie eine wichtige Unterscheidung, denn Populismus ist nicht Populismus. Jedes Politikfeld eignet sich eigentlich dafür, auch populistisch genutzt zu werden. Motto: Simple Lösungen für überforderte Teilnehmer einer rasend gewordenen Informationsgesellschaft.
Nur haben die Neuen Rechten ihr Instrumentarium geschärft. Sie haben nämlich die Propaganda-Instrumente des NS-Reiches intensiv studiert. Sie wissen bestens, wie man für rechtsradikale Themen Stimmung macht – mit Themen, die Minderheiten verunglimpfen, „Eliten“ definieren und angreifen (Gauland: „Wir werden sie jagen.“) und wieder homogene „Volksgemeinschaften“ definieren, ganz zu schweigen vom verbalen Hass auf Andersdenkende, Andersliebende, auf bürgerliche und demokratische Freiheiten.
Das kann man alles fortsetzen, aber es zeigt, dass das Sprech-Instrument Populismus wirkt, wenn man es systematisch anwendet.
Damit schafft man es in die Aufmerksamkeit, in die Talkshows und in die Köpfe.
Und zwar erst recht dann, wenn dann auch noch die anderen Parteien auf diesen Kurs einschwenken, was einige leider nur zu auffällig getan haben. Besonders eklatant – wie die Studie zeigt – auch die FDP. Alle glauben, wenn sie nun die nationalistische Karte spielen, dass sie damit die Wähler wieder für sich gewinnen. Aber was, bitteschön, sollen wir mit drei oder vier nationalistischen Parteien? Eine ist schon zu viel.
Was ebenfalls die Bertelsmann-Studie sichtbar macht. Denn die befragten Wähler wissen genau, was sie vermissen. Und das ist eindeutig nicht der neue nationalistische Rückfall in dumpfe Einheits-und-Gleichmach-Zeiten.
„Mit welchen Themen und Positionen die etablierten Parteien auch populistisch eingestellte Menschen erreichen könnten, zeigt das Populismusbarometer anhand von Fragestellungen zu verschiedenen Sachthemen. Wie schon vor der Bundestagswahl 2017, eignet sich die Forderung nach ‚mehr Europa‘ auch 2018 zur Mobilisierung, bleibt aber von allen Parteien bislang ungenutzt“, schätzt die Bertelsmann-Stiftung ein.
Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bedauert heute zutiefst, dass er auf das Thema Europa in seinem Wahlkampf verzichtet hat. Seine Berater hätten ihm das ausgeredet, sagt er. Die SPD hat also sichtlich ziemlich dilettantische Wahlkampfberater. Logisch, dass der Markenkern der SPD nicht nur im Bundestagswahlkampf 2017 immer mehr verschwand. Hat diese alte Partei das Kämpfen verlernt?
Augenscheinlich schon.
Denn die Erwartung der Bürger ist eine andere, als alle die neu-nationalistisch Umgeschwenkten heute gern behaupten: Sie erwarten endlich wieder eine greifbare soziale Politik.
Oder mit den Worten der Bertelsmann-Stiftung: „Laut Studie sind es aber vor allem sozialpolitische Themen, wie ‚steuerpolitische Umverteilung‘ und ‚Wohnungsbau‘, mit denen die Parteien populistische wie auch unpopulistische Wähler gleichermaßen erreichen könnten. Allein die Forderung nach ‚viel höheren Investitionen in den sozialen Wohnungsbau‘ erhöht die Zustimmung zu einem Kandidaten bei Populisten und Nicht-Populisten um jeweils 15 Prozentpunkte.“
Und das von der Bertelsmann-Stiftung, die ja sonst gern für eher neoliberale Konzepte wirbt. Aber hier wird es offensichtlich: Wähler sind weder blind noch taub. Sie wissen in ihrer Mehrheit sehr genau, was fehlt, wo die riesige Leerstelle in der deutschen Politik seit nun mindestens 20 Jahren ist. Das ist der dicke fette Elefant, der mitten im Raum steht. Aber alle reden nur über den kleinen kläffenden Köter rechts am Rand.
„Die sozialen Fragen sind die wichtigsten Brückenthemen für eine Gesellschaft, die sich kulturell und sozial immer tiefer spaltet. Sollten sich die etablierten Parteien nicht um diese sozialen Themen kümmern, werden die Populisten das übernehmen“, sagt auch Studien-Mitautor Wolfgang Merkel.
Das ist zuallererst eine Botschaft für die Union, die mit zunehmend populistischer Rhetorik gerade ihre für Populismus nicht ansprechbaren Wähler verloren hat – andererseits aber am rechten Rand auch kein Land gewonnen hat. Und das erklärt auch den Zuwachs der Grünen, die wie derzeit keine andere Partei die rationale Karte bedienen und an die Vernunft und das Demokratieverständnis der Wähler appellieren.
Das Fazit der Studie: „Das passive Hinnehmen oder gar aktive Betreiben eines weiter anschwellenden Populismus in ihren Reihen wäre deshalb für die Union eine höchst riskante Strategie mit sehr ungewissem Ausgang.“
Und die SPD? Der empfiehlt die Studie indirekt sogar ein bisschen mehr Populismus – für linke und soziale Politikthemen. Denn da ist die alte Dame erstaunlich kleinlaut geworden in den letzten 20 Jahren. Da wäre noch Luft nach oben.
Es gibt 2 Kommentare
Naja, noch ein, zwei Wahlperioden, dann sind wir die SPD los, sie verschwindet im Nirwana der 5%-Hürde. Ich glaube, das ahnen sie selbst und beteiligen sich bis dahin an jeder möglichen oder unmöglichen Regierung, Hauptsache es gibt warme Sessel.
Die SPD hat nicht wegen des fehlenden Themas Europa verloren (vermutlich hätte sie bei Konzentration darauf noch mehr Wähler verloren, denn es wäre zu recht als Ablenkung verstanden worden). Sie hat verloren, weil sie nicht den Arsch in der Hose hatte, Fehler einzugestehen. Statt dessen war ein “weiter so” das Wahlprogramm. Das Fortführen Schröderscher, Münteferingscher neoliberaler Politik. Und da wählen die Einen das Original, die anderen eine (vermeintlich) Alternative und Dritte wenden sich ganz ab.
Scholz, Nahles und Heil führen diese Politik nahtlos fort. Ergebnis absehbar.